Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Peggy Parnass lebt und arbeitet als Autorin und Schauspielerin in Hamburg

Ich lebte mit dem schönen Josef. Ein ganzes Jahr und nicht viel mehr. In einem kleinen Fachwerkhaus, das Josef aufs entzückendste ausgebaut hatte. Mitten in der Stadt, nur ein paar Schritte von der Strafjustizanstalt entfernt.

Der schöne Josef hatte schöne Vorgänger. Den schönen Peter, den wunderschönen Ahmed, den wahnsinnig schönen Derval. Auch mit denen war's kein Honigschlecken. Aber am 22. Juni 1974 war nun wirklich die Hölle los. Josef hat mir dies angetan und auch das - vielleicht auch ich ihm. Geflucht, geschrien und mit Selbstmord gedroht hab' aber nur ich. Das heißt, drohen tat er auch, nur nicht mit Selbstmord.

Ein deutsches Essen, von ihm gekocht, stand auf dem Tisch. Irgendwas Deftiges mit viel fettem Speck. Auch damit konnte er mich nicht gemeint haben. Irgendwann stürzte ich raus, warf mich am Karl-Muck-Platz laut heulend auf den Grünstreifen und litt. Spät, aber doch legte sich mein Geschluchze, und ich war wieder ich selbst. Fühlte mich schuldig. Der arme Josef litt sicher genau so.

Zurück in unser Häuschen. Um ihn zu trösten und mich mit ihm zu versöhnen. Es war ziemlich laut. Josef traurig? Daß ich nicht lache. Völlig konzentriert, guter Dinge vorm Fernseher. Fußball. BRD - DDR. Mensch, ja, das wollte ich ja auch unbedingt sehen. Spannender als Schmollen.

Oj oj oj - was für ein Spiel! Es geht dem Ende zu, immer noch 0:0. Da Tooor, Tooor!!! Sparwasser für die DDR. Wahnsinn!!! Ich juble und hüpfe auf und nieder.

"Du doofe Nuß!" Auch Josef springt auf. "So was Verblödetes wie dich hab' ich noch nie gesehen! Seit wann verstehst du was von Fußball? Verschwinde, bevor ich mich vergesse!"

Schon war ich wieder draußen. Aber nicht auf dem Weg zum Grünstreifen. Sondern zu Freunden, um das Tor zu feiern.