Auf den Spuren der IRA

Fünf Tage nach der Erklärung von Estella verkündet die baskische Guerilla Eta einen Waffenstillstand

Wer in der Sommerpause in der spanischen Presse auf sich aufmerksam machen wollte, erklärte, über vertrauliche Informationen zu verfügen, daß es in der linksnationalistischen Baskenguerilla Eta ernsthafte Überlegungen zu einem Waffenstillstand gebe. Mitte vergangener Woche war es soweit: Die Eta erklärte in einem Kommuniqué, den bewaffneten Kampf ab Freitag für unbefristete Zeit einzustellen. Mindestens sechs Monate wolle Eta ihn einhalten, schrieb die spanische Tageszeitung El Mundo am Sonntag unter Berufung auf eine der Eta-Führung nahestehende Person. Politische Kommentatoren bemühen sich, dies als taktisches Manöver vor den anstehenden Wahlen zum baskischen Regionalparlament am 25. Oktober abzutun.

Schon am Tag vor der Eta-Erklärung hatte die Zeitschrift Tiempo die Nachricht veröffentlicht, daß ein Waffenstillstand in Geheimverhandlungen zwischen der autonomen baskischen Polizei Ertzaintza und der Eta-Spitze ausgehandelt worden sei. Bei diesen Gesprächen dürfte es allerdings lediglich um die Absprache gewisser Garantien für beide Seiten gegangen sein. Denn die Entscheidung von Eta ist die Konsequenz aus den Entwicklungen der vergangenen Monate.

In den letzten Wochen hatte die linksnationalistische Koalition Herri Batasuna (HB) sogenannte Irland-Foren veranstaltet, auf denen alle baskischen nationalistischen Parteien sowie die Vereinigte Linke (IU) des Baskenlandes, die baskischen Mehrheitsgewerkschaften ELA und LAB sowie 15 weitere linke politische Gruppen diskutierten. Fünf Tage vor der Eta-Erklärung hatten diese 23 Formationen die sogenannte Vereinbarung von Estella veröffentlicht. Darin wurde erklärt, daß es sich "bei der Auseinandersetzung im Baskenland um einen historischen Konflikt politischer Herkunft und Natur handelt, in den sowohl der spanische als auch der französische Staat verwickelt ist". Folglich bedürfe der Konflikt einer politischen Lösung unter Einbeziehung aller Betroffenen.

Als zentrale Elemente für eine Konfliktlösung markiert das Papier von Estella drei Punkte: die Anerkennung des baskischen Territoriums, das über die heutige autonome Region Euskadi hinaus auch die Provinz Navarra und die drei nördlich der Pyrenäen in Frankreich gelegenen Provinzen Lapurdi, die niedere Navarra und Zuberoa umfasse. Das Beispiel Nordirland habe gezeigt, so HB-Führungsmitglied Pernando Barrena in einem Gespräch mit Jungle World, daß im Rahmen der EU in Zukunft neue Formen territorialer Souveränität jenseits der traditionellen Nationalstaaten möglich werden könnten.

Zweitens fordert der Pakt für die baskische Gesellschaft das "letzte Wort bei der Bestimmung der eigenen Zukunft", ein Referendum ähnlich dem nordirischem Vorbild. "Darin sehen wir den Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes eines Volkes", sagte Barrena, "und nichts anderes fordern wir für uns."

Schließlich sieht die Vereinbarung zwei Phasen für die Verhandlungen vor. In der ersten soll ein offener multilateraler Dialog ohne Vorbedingungen stattfinden. In der Folge ist die "Abwesenheit sämtlicher für den Konflikt typischen Manifestationen von Gewalt" vorgesehen.

Mit den vagen, auf Konsens zielenden Formulierungen versucht die Eta, auf die Umsetzung des eigenen Verhandlungsangebotes "Demokratische Alternative" zu orientieren. In dieser Initiative - der gesamte Vorstand von HB war wegen deren Verbreitung im vergangenen Dezember zu sechs Jahren Haft verurteilt worden - wird unter anderem der Abzug der Sicherheitsorgane des spanischen Staates aus dem Baskenland gefordert. Deren Repressionsmaßnahmen sowie die zahlreichen von Gefangenen öffentlich gemachten Folterungen prangerten die pazifistischen baskischen Gruppen Elkarri und Gesto por la Paz in der vergangenen Woche auf der Uno-Menschenrechtskonferenz in New York an.

Die neue Mehrheit des sog. nationalen Paktes bezeichnet Eta in der Waffenstillstands-Erklärung als eine "unvergleichliche Möglichkeit", ein gemeinsames baskisches Projekt zu verfolgen. Die Gesellschaft wird von Eta aufgefordert, das Ziel der eigenen Souveränität ins Auge zu fassen. Die Wahlen im Oktober werden vor diesem Hintergrund zu einer Art Referendum über die Initiative.

Für Barrena hängt der weitere Erfolg des Friedensprozesses maßgeblich von der Haltung der konservativen PNV ab. "Die PNV steht am Kreuzweg und muß sich entscheiden, ob sie weiter an der Hand von Madrid laufen will, oder ob sie den begonnen Schwenk zu Ende führt und ein eigenes Projekt in Euskal Herria (dem Baskenland) unterstützt."

Entscheidend für die Bewegung an den bislang verhärteten Fronten sind die Ereignisse um die Entführung und spätere Erschießung des PP-Stadtrates Miguel Angel Blanco im Juli vergangenen Jahres. Nach dieser Aktion gab es im Baskenland erstmals Massendemonstrationen gegen die politische Gewalt der Eta. Und auch der eigenen Basis konnte Eta die Kampagne gegen die unterste Riege der konservativen Regierungspartei nie überzeugend plausibel machen.

Gleichzeitig versuchte die Aznar-Regierung durch ihren Innenminister Jaime Mayor Oreja, die angeheizte Stimmung zu einem Großangriff auf alles, was in irgendeiner Form mit dem Attribut "baskisch" belegt werden konnte, zu nutzen. Eine Erfahrung, die in der PNV zu der Erkenntnis führte, daß die Imitation des "katalanischen Modells" - Unterstützung der spanischen Zentralregierung, im Gegenzug Vergünstigungen für die eigene Region - sich schließlich gegen die eigene Basis wenden könnte.

Beim Versuch der politischen Neuorientierung rannte die PNV bei HB offene Türen ein. Spätestens nach den pogrom-artigen Überfällen auf Parteikneipen und -büros in den Tagen nach dem Tod Blancos mußte die linksnationalistische Koalition erkennen, daß sie in ihrer Strategie, die sozialen Spannungen an allen Fronten bis an die Grenzen des Erträglichen zu steigern, gescheitert war: HB hatte sich in die politische und soziale Isolation manövriert.

Entscheidend war zudem, daß die von den extremen Spannungen jener Tage aufgeschreckte baskische Gesellschaft nicht weiter bereit war, sich in eine der beiden Fronten - Eta oder spanischer Staat - einzureihen. Politische Kommentatoren sprachen zunehmend von einem "dritten Raum", einer selbstbewußter gewordenenen baskischen Gesellschaft, die erkannt habe, daß weder die eine noch die andere Seite eine dauerhafte Konfliktlösung garantieren könne.

Die Repressionsmaßnahmen von Innenminister Mayor Oreja haben die nationalistische Linke nicht entscheidend geschwächt. Im Dezember letzten Jahres landete der gesamte nationale Vorstand von HB wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" im Gefängnis. Damit war der Weg frei für eine neue Führungsgeneration, die mittlerweile die von ihren Vorgängern eingeleitete Linie der politischen Öffnung durchgesetzt hat.

Im Juli schloß der spanische Untersuchungsrichter Balthasar Garzon die der Koalition nahestehende linke Zeitung Egin wegen derselben Vorwürfe; nur wenige Wochen später wurde zu einer Kampagne für ein neues Blatt mobilisiert, das spätestens im Dezember erhältlich sein soll. Und als Gerüchte laut wurden, daß der spanische Innenminister vorhabe, HB noch im Herbst zu verbieten, stellte die Koalition flugs eine neue Wahlplattform, Euskal Herritarrok (Baskische Bürger), vor.

Das neue Wahlbündnis sorgt durch die Kandidatur unabhängiger, bekannter Persönlichkeiten für einen gewissen Schutz der Partei vor einem Verbot, und verbindet dies mit dem Beginn der politischen Öffnung. "Der Sektor des nicht-parteigebundenen baskischen Nationalismus soll Schritt für Schritt für ein linkes politisches Projekt zurückgewonnen werden", so Barrena. Damit will sich die Partei vor allem jenen linken Kräften nähern, die dem bewaffneten Kampf in den vergangenen Jahren kritisch gegenübergestanden haben.

Die Reaktionen von Regierung und der sozialdemokratischen PSOE-Opposition auf den Waffenstillstand sind bislang verhalten. Der spanische Innenminister jedenfalls sagte am Freitag in Madrid, die Fahndung nach Eta-Mitgliedern werde zunächst nicht eingestellt.