Akbar Shalgony

"Krieg wäre für Khamenei eine Gabe Gottes"

Exil-Iraner, Sprecher der marxistischen Organisation Rahe Kargar, Paris

Im Iran wird für den Krieg gegen die Taliban mobilisiert. Wer trommelt denn zur Zeit am lautesten?

Das Regime bemüht sich, den Nationalismus der Bevölkerung zu mobilisieren. Am stärksten bemühen sich die Anhänger von Khamenei, also der herrschende Flügel. Um die Tötung der neun Iraner in Mazar-i-Scharif wird riesiger Wirbel gemacht, die Vorbereitungen für einen möglichen Krieg sind getroffen. Für Khamenei wäre der Krieg eine Gabe Gottes, wie es für Khomeini damals der Iran-Irak-Krieg war. Denn der stärkte die Herrschaft der Geistlichkeit und hat sie bis heute zementiert.

Also will Khamenei den Krieg mit Afghanistan?

Der Khamenei-Flügel wäre der sichere Gewinner in einem solchen Krieg. Aber auch wenn sie den Krieg nicht wollen, die Verbreitung einer kriegerischen Stimmung wollen sie gewiß.

Das scheint nicht allein der Wunsch Khameneis zu sein. Am Wochenende gab es Massen-Demonstrationen gegen die Taliban. Bei Studentendemonstrationen vor wenigen Wochen wurden jedoch Anti-Taliban-Parolen gerufen, die selbst den Khamenei-Anhängern nicht gefielen.

Die Regierung weiß, daß die iranische Bevölkerung die afghanischen Taliban als Manifestation der Steinzeit betrachtet. Das hat eine lange Tradition: die Erfahrung mit dem Regime im eigenen Land, also, wie soll man sagen, den iranischen Taliban. Wenn die Bevölkerung die herrschende Geistlichkeit angreifen will, weist sie auf die Taliban in Afghanistan. Bei den Demonstrationen riefen die Studenten "Tod den Taliban" und "Taliban, gebt das Land frei". Mit solchen Parolen meinen sie auch die iranischen Taliban.

Das ist jetzt aber weit hergeholt ...

Nein, das Regime ist wegen des Hasses der Bevölkerung gegen die iranischen und afghanischen Taliban besorgt. Also argumentieren sie mit der Rückschrittlichkeit der Afghanen und versuchen, die Bevölkerung auf einen Krieg gegen sie vorzubereiten. Viele Iraner wissen, daß die Taliban von Pakistan geheimdienstlich, von Saudi-Arabien finanziell und von den USA strategisch unterstützt werden. Und daß sie ihre Macht nach dem Modell der Islamischen Republik Iran errichten wollen. Doch die meisten Iraner sind gegen den Krieg. Sie haben die Folgen des Iran-Irak-Krieges mit über einer Million Toter und Schwerverletzter noch nicht vergessen.

Letzte Woche wurden afghanische Flüchtlinge im Iran angegriffen.

Die Afghanen werden diskriminiert, weil sie Flüchtlinge sind. Viele wurden in jüngster Zeit gewaltsam vertrieben. Ein großer Teil der iranischen Bevölkerung hat kein gutes Verhältnis zu Afghanen. Weil sie ärmer sind. Die Angriffe sind zwar nicht direkt auf die Regierung zurückzuführen, aber diese schürt die anti-afghanischen Ressentiments. Als ob die Flüchtlinge an der sozialen Krise im Iran schuld wären.

Die Kriegsvorbereitungen überlagern die Widersprüche innerhalb der iranischen Geistlichkeit. Gibt es unterschiedliche Interessen bei den Kriegsvorbereitungen?

Die Widersprüche sind nicht geringer geworden, die Kriegstreiberei ist ein Ausdruck davon. Khatami und seine Anhänger haben sich zurückhaltend über den Krieg geäußert. Sie versuchen den Konflikt auf die militärische Unterstützung der afghanischen Schiiten zu begrenzen. Für Khamenei hingegen kommen die Kriegsvorbereitungen wie gerufen. Letzte Woche wurden bereits Zeitungen, die Khatami nahestehen, verboten. Dies muß nicht heißen, daß Anhänger von Khatami von der Bildfläche verschwinden sollen. Sie sollen nur der herrschenden Politik Khameneis folgen. Bei einem Krieg aber würden Khatami und sein Flügel vermutlich die Hauptverlierer sein.

Im Oktober wird im Iran der Expertenrat gewählt, der für die Wahl des religiösen Oberhauptes zuständig ist. Die Ratsmitglieder müssen wiederum vom Wächterrat bestätigt werden. Bisher werden beide Institutionen von Anhängern Khameneis dominiert. Haben die Wahlen für den Konflikt eine Bedeutung?

Das Regime kann bei den Wahlen sein Gleichgewicht verlieren. Denn der Führungsanspruch Khameneis wird nicht nur von einem Teil der Bevölkerung in Frage gestellt, sondern auch von einem beträchtlichen Teil der Geistlichkeit. Diese könnten im Expertenrat die Mehrheit bekommen und Khamenei nicht mehr wählen.

Eine andere Möglichkeit ist, daß Kandidaten, die auf der Seite des Präsidenten Khatami stehen, vom Wächterrat nicht bestätigt werden. Die Bevölkerung könnte dann nur noch Khamenei-Anhänger wählen, was sich in der Wahlbeteiligung widerspiegeln könnte. Und Absenz kann man als Verweigerung an die Adresse Khameneis bewerten. Also muß das Regime Verwirrung schaffen und die Bevölkerung ablenken. Zumal die Proteste der Bevölkerung stärker geworden sind. Die Arbeitslosigkeit ist gewachsen, der Ölpreis ist gesunken, und die steigende Inflation bringt katastrophale Zustände mit sich.

Könnte der Iran einen bewaffneten Konflikt mit Afghanistan überhaupt führen?

Die Islamische Republik Iran ist dem Bankrott nahe. Kriegsausgaben wären aber nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für das Regime gefährlich. Wenn man das nicht militärisch betrachtet, kann der Iran ohnehin nur verlieren. Nein, nicht der Iran, die iranische Bevölkerung.

Und militärisch?

Wichtigstes Ziel für das Regime wäre, die afghanischen Taliban zum Rückzug zu zwingen und die pro-iranischen Kräfte in Afghanistan zu unterstützen. Aber Afghanistan hat eine Stammesgesellschaft, die städtische Entwicklung ist nicht besonders fortgeschritten. Die Eroberung eines solchen Landes ist fast unmöglich. Die verschiedenen Stämme können über Jahre gegen ihre Feinde kämpfen, so wie sie es bereits seit zwei Jahrzehnten tun. Die Taliban könnten sich auch als Verteidiger Afghanistans gegenüber dem schiitischen Regime in Teheran profilieren, was für sie ein Geschenk Gottes wäre. Die konfessionellen Unterschiede der Sunniten und Schiiten sowie der Nationalismus in Afghanistan würden stärker. Dazu kommt die Unterstützung der Taliban durch Pakistan und Saudi-Arabien.