Lug und Trug

Bundesgerichtshof verhandelt über Zulassung von Lügendetektoren in Strafverfahren
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Wenn im alten China alle drei Söhne bestritten, dem Hund die Äste an den Schwanz gebunden zu haben, ließ der Vater die drei gemahlenen Reis kauen. Schließlich untersuchte er, wessen Reismehlbrei am wenigsten eingespeichelt war. Ähnlich verfuhren die Beduinen, um aus einer Gruppe von Verdächtigen den Täter herauszufiltern. Alle mußten an einem heißen Eisen lecken. Wer sich die Zunge verbrannte, war überführt.

Diese Verfahren dürfen als Vorläufer des Lügendetektors gelten. Sie basieren auf der Beobachtung, daß Lügen offenbar eine physische Anstrengung bedeutet, die körperliche Veränderungen bewirkt, so etwa eine verminderte Speichelproduktion. Auf dieselbe archaische Erkenntnis stützt sich der moderne Lügendetektor. Allerdings registriert er gleichzeitig mehrere Körperfunktionen, weshalb er in der Fachsprache Polygraph (Mehrkanalschreiber) genannt wird. Bei der Vernehmung mischt man tatrelevante mit Kontroll- und (je nach Praxis) Fangfragen. Schlägt die Nadel bei den tatrelevanten Fragen aus, gilt der Verdächtige als Lügner.

Ob Lügendetektoren zur Beweissicherung bei Strafverfahren taugen, darüber streiten sich nicht nur Wissenschaftler, die bei der Frage nach der Zuverlässigkeit der Geräte zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt sich derzeit mit dieser Angelegenheit. In einer Revisionsverhandlung versuchen zwei Rechtsanwälte, die Ergebnisse von polygraphischen Gutachten ihrer Mandanten nachträglich als Beweismittel anerkennen zu lassen.

In beiden Fällen waren die Mandanten wegen sexuellen Mißbrauchs an Kindern zu Haftstrafen verurteilt worden. Sie bestritten die Tat und unterzogen sich freiwillig einem Test mit dem Lügendetektor, der für sie positiv ausfiel. Die Richter lehnten das Beweismittel als unzulässig ab. In dem BGH-Verfahren vergleicht die Bundesanwaltschaft den Erkenntniswert mit dem Werfen einer Münze und warnt zudem vor einer "Rückkehr zur Inquisition".

Nur ein einziges Amtsgericht - im mecklenburgischen Malchin - ließ bisher ein polygraphisches Gutachten zu, was zu einem Freispruch für einen der Vergewaltigung Angeklagten führte.

Damit verstieß das Gericht jedoch gegen Entscheidungen des BGH und des Bundesverfassungsgerichtes, die in den Jahren 1954 und 1981 den Einsatz des Testes unter Hinweis auf die Menschenwürde abgelehnt hatten. Trotzdem findet der Lügendetektor in Zivil- und Familienprozessen schon lange Zeit Verwendung. In den meisten Fällen versuchen damit Väter, sich vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs freizumachen.

Die Diskussionen um Kindesmißbrauch sind es denn auch, die die Debatte um den Einsatz von Polygraphen wieder aufleben lassen. Bei Vergewaltigungs- und Mißbrauchsvorwürfen steht in der Regel Aussage gegen Aussage. Gerade den Angaben von Kindern oder über sie angefertigten Gutachten wird dabei häufig mißtraut. Zahlreiche Angeklagte hoffen, mit dem Polygraphentest ihre Unschuld beweisen zu können. Wohl nicht zufällig gehört gerade der Kölner Polygraphenlobbyist Prof. Udo Undeutsch zu denjenigen, die behaupten, daß Männer immer häufiger zu Unrecht des Verdachts des Kindesmißbrauchs ausgesetzt werden. Undeutsch selbst besitzt einen Polygraphen. In beiden jetzt in Karlsruhe verhandelten Fällen hatten sich die Verurteilten an den Apparat von Undeutsch anschließen lassen.

Während über den Lügendetektor in Deutschland also hauptsächlich im Zusammenhang mit Mißbrauchsprozessen diskutiert wird, gehört er in den USA fast schon zum Alltag. Rund eine Million Verdächtige werden dort Jahr für Jahr mit einem solchen Gerät verkabelt. Doch auch außergerichtlich wird der Lügendetektor in den Staaten gerne eingesetzt. Bei Polizeibehörden, CIA und FBI sind Polygraphentests beim Einstellungsgespräch keine Seltenheit. Auch der BRD-Agent Werner Mauss soll sich laut stern 1982 beim CIA vorgestellt und einem Lügendetektortest ausgesetzt haben. Er sei jedoch durchgefallen.

Dennoch hält die Regierung William Clintons nicht viel von der juristischen Verwertbarkeit polygraphischer Gutachten. Mag es aktuell auch naheliegende Gründe dafür geben, so ist die offizielle Argumentation des Weißen Hauses, daß die Maschine ziemlich einfach auszutricksen sei. Mit dieser Einschätzung ist die US-Regierung nicht alleine: Der ehemalige Kriminalbeamte Doug Williams vertreibt im Internet (www.polygraph.com) für rund 70 Mark eine umfangreiche Anleitung, wie der Lügendetektor zu überlisten ist. Williams: "If you are scheduled to take a polygraph, relax! It can be beaten rather easily." Der Kriminalist, der in den Siebzigern selbst Tausende solcher Tests durchführte, behauptet, innerhalb weniger Stunden jedem die nötigen Tricks beibringen zu können. "Ich warte immer noch auf die erste Person, die nicht in der Lage ist, ein 'wahrhaftiges' Diagramm auf dem Polygraphen zu erzeugen", behauptet Williams.

Während auch in Deutschland hauptsächlich die Zuverlässigkeit der Polygraphen diskutiert wird, spielt die ethische und politische Bedeutung kaum eine Rolle. Die Gefahr: Ist der Polygraph erst als Beweismittel anerkannt, fehlt nur noch ein kleiner Schritt von der freiwilligen zur zwangsweisen Anwendung - zumal Polygraphen inzwischen technisch soweit entwickelt sind, daß sie auch unerkannt bei Verhören eingesetzt werden können.

Der Kriminalexperte Berndt Georg Thamm berichtet in seinem Buch "Mehrzweckwaffe Rauschgift" (Verlag Deutsche Polizeiliteratur), daß schon seit Mitte der sechziger Jahre Verfahren existieren, mit deren Hilfe sämtliche relevanten Körperfunktionen auch aus einigen Metern Entfernung durch versteckte optische Kameraüberwachung und Infrarotmessungen kontrolliert werden können.

Auch andere Methoden, zu einer "wahren" Aussage zu gelangen, werden durch die Diskussion um den Lügendetektor wieder denkbar. So ist es sicher kein Zufall, daß im selben Laboratorium für wissenschaftliche Verbrechensaufklärung in Evanston bei Chicago, in dem man 1930 einen der ersten Polygraphen entwickelte, auch am ausgiebigsten mit "Wahrheitsdrogen" experimentiert wurde. Der Einsatz von Rauschmitteln gilt in der polizeilichen, geheimdienstlichen und militärischen Praxis weltweit teilweise bis heute als übliches Mittel, um vernehmenden Personen die Zunge zu lockern. Die fehlende Selbstkontrolle soll das Lügen unmöglich machen. Es ist eine Entwicklung, die wegführt von Urteilen durch Beweisen hin zu Urteilen durch Geständnisse. Am Ende dieses Weges steht die Folter.

Juristisch spricht gegen den Einsatz von Polygraphen vor allem, daß er eine Umkehrung der Beweislast befördert. Nicht mehr die Anklage muß die Schuld nachweisen, sondern der Angeklagte seine Unschuld. Interessanterweise argumentieren die Befürworter des Lügendetektors ganz ähnlich: Bei Kindesmißbrauch, so Prof. Undeutsch, habe die Gesellschaft inzwischen die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt. Männer müßten gerade bei Sexualdelikten ihre Unschuld nachweisen. Dabei sei der Polygraph eine Hilfe.

So oder so. Finanziell lohnt sich der Einsatz von Lügendetektoren für Befürworter und Gegner gleichermaßen. Während immer mehr Menschen bei Undeutsch in der Schlange stehen, um sich an seine Kiste anschließen zu lassen, werden im gleichen Maße immer mehr bei Doug Williams eine Internetschulung zur Polygraphentäuschung absolvieren.

Das BGH-Verfahren wird am 25. September fortgesetzt. Beobachter erwarten für diesen Termin bereits eine Urteilsverkündung.