Macht-Lust

Weil Clinton den Backlash nicht aufhalten kann, sollte er zurücktreten.

Es gibt gute Gründe dafür, warum Bill Clinton schleunigst zurücktreten sollte. Sie haben aber nichts mit einer "unziemlichen Beziehung", nichts mit Meineid oder Amtsmißbrauch zu tun.

Da Foucault zufolge Macht nicht etwas ist, was man bekommt, hat oder verliert, kann es nicht ernsthaft darum gehen, ob der Sonderermittler Kenneth Starr die Macht hat, mit seinem 445 Seiten schweren Report dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die Macht zu nehmen. Starr und Clinton stehen in Beziehungen, auch zueinander, in denen sich Macht vollzieht. Und beide sind gleichermaßen in die Macht-Lust verstrickt, denn es gibt nicht nur die Erotik der Macht, die Lust, Macht zu zeigen, sondern es gibt auch die Lust, "eine Macht auszuüben, die ausfragt, überwacht, belauert, erspäht, durchwühlt, betastet, an den Tag bringt" (Foucault). Wie sexy diese Lust ist, hängt nicht von einer schlüpfrigen, gar puritanischen Phantasie ab, sondern liegt in den Begehrensstrukturen der Sache selbst, und die macht Clinton und Starr einander ähnlich.

Die Pornographisierung der gegnerischen Politik und ihrer Repräsentanten ist keine Erfindung Starrs. Seit der Französischen Revolution sind Karikaturen zu diesem Thema Legion. Und so geht es im Starr-Report auch nicht um die Affären eines Präsidenten, sondern um eine neuerliche kulturelle Normierung von normalem und abnormalem, von gesundem und pervertiertem Sex. Die Sex-Rede wird zum Mittel, um politische Positionen zurückzudrängen, um veraltete Werte zu bewahren und um dringend anstehende Reformen zu verhindern. Weder Clinton noch die Demokraten haben es geschafft, diese eigentlichen Ziele offensiv zu politisieren und die Allianz des Sex- und Machtdiskurses zu lösen. Der Grund liegt darin, daß Präsident und Partei eine Position preisgegeben haben, die einer kulturellen Revolution in den USA hätte gleichkommen können.

Seit Bestehen der USA haben Präsidenten und die First Ladies den imaginierten Status eines Königs und einer Königin. Der Slogan der Clintons "Two for one" aber, für den die Idee der "co-presidency" von Franklin und Eleanore Roosevelt ebenso Vorbild war wie die des Teamworks von Jimmy und Rosalyn Carter, versprach, mit dieser feudalen Tradition zu brechen, weil er suggerierte, daß mit dem Präsidentenamt zwei eigenständige politische Aktivisten für den Lohn von einem zu erhalten seien und die alte Teilung zwischen dem Präsidenten und seiner Ehefrau als "White-House-keeper" beendet würde. Statt dessen aber wurde Hillary Clinton zur Politikergattin zurückgestutzt und dadurch, daß zugelassen wurde, daß mit dem Gerede über Sex Politik gemacht wird, ist sie nun nichts weiter als eine gedemütigte, betrogene Ehefrau. Das ist nicht mehr privat, das ist Folge der Ignoranz und Respektlosigkeit eines Präsidenten gegenüber den Positionen, die die bürgerliche Frauenbewegung in den USA in langen Jahren errungen hat.

Wenn Feministinnen feststellen, daß das Private politisch ist, so öffnen sie damit nicht Tür und Tor für die pornographischen Reden eines Starr, sondern befragen die Ideologeme und die Formen struktureller Gewalt, die im Privaten herrschen. Laut Starr-Report hat Clinton Dienstleistungen von Monika Lewinsky erhalten, für die er eine Prostituierte hätte bezahlen müssen, egal ob er nun Blow-jobs als Sex betrachtet oder nicht. Sein Umgang mit diesen Leistungen läßt nun eine Praktikantin zur Haussklavin verkommen und trägt dazu bei, daß sie es ist, die der Gewalt obzöner Reden ausgesetzt ist.

Der Präsident hat sich auf die autoritäre Position des Souveräns zurückgezogen; und die Unmöglichkeit, von diesem Ort aus Politik zu machen, zeigt, wie überkommen diese Position heute geworden ist. Gerade weil Clinton Privates und Politisches auseinanderzuhalten versucht, behindert er jetzige und zukünftige politische Entscheidungen.

Natürlich müssen bei jedem Generationenwechsel, zumal dort, wo Söhne die Autorität des Vaters beanspruchen, die psychoanalytischen Begriffe vom Vater- oder Königsmord mitgedacht werden, weil dabei um die Unversehrtheit dieser Machtpositionen gerungen wird. Etwas anderes ist es, mit dieser Freudschen Parteinahme für die väterliche Autorität Politik zu machen. Die Idealisierung der politischen Souveränität und "Königswürde" verhindert nämlich den Blick auf deren Kontingenz und Überscheitungsmöglichkeiten; sie tut so, als gäbe es nur diese eine kulturelle Norm und vernaturiert sie. Am Beginn ihrer Amtszeit haben aber Hillary und Bill Clinton versucht, diese scheinbar natürliche Ordnung außer Kraft zu setzten und sie konnten dies, weil feministische und soziale Bewegungen diese Macht destabilisiert haben - nicht zuletzt, weil die ebenso vernaturierte männliche Vergeschlechtlichung dieser Position destabilisiert wurde.

Ich weiß nicht, welche parallel zur Lewinsky-Affäre stattfindenden politischen Entscheidungen vertuscht werden, sicher scheint mir aber, daß sie zum Anlaß genommen wird, um geradezu in einem Gewaltakt Veränderungen, die die feministischen und sozialen Bewegungen in den USA erreicht haben, wieder rückgängig zu machen. Wenn es an der Person Clinton scheitert, diese Backlash-Bewegung aufzuhalten, dann sollte er abdanken.