Schwitzen im Atomkondom

Der Abschlußbericht zum Atomtransportskandal wartet mit einer alten Idee auf: Plastikhüllen sollen künftig die Kontamination von Atombehältern vermeiden

Hätten die deutschen Atomspezialisten doch einfach mal in alten Forschungsberichten gestöbert: Sie wären auf die Ergebnisse von H.W. Curtis gestoßen, der bereits 1977 das Problem von Atomkrusten untersucht hatte, der sogenannten cruds. Eine Menge Zeit und ein gutes Stück Arbeit hätten sich die Experten der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) erspart: Von Mai bis September hatten sie nach den Ursachen für die grenzwertüberschreitenden Kontaminationen bei Atomtransporten gesucht - dem Auslöser des jüngsten Atomskandals.

Was die von der Bundesregierung beauftragten Forscher Anfang letzter Woche der Öffentlichkeit präsentierten, hatte Curtis schon vor 22 Jahren entdeckt: "Crud", eine "nicht unbeträchtliche partikelförmige Aktivität", könnte "eine wesentliche Kontaminationsquelle für die Außenseite des Behälters" darstellen, so die Forscher in ihrem Abschlußbericht.

Auch die technischen Konsequenzen, die die Atomforscher aus dem Skandal ziehen wollen, sind nicht neu. Um Atommüllbehälter künftig vor der Kontamination mit strahlenden Teilchen zu schützen, schlagen sie vor, diesen ein Schutzhemd aus Plastikgewebe anzuziehen. Bereits vor dem Beladen im strahlenverseuchten Kühlwasser solle dieses Hemd - auch "Atomkondom" genannt - den Behältern übergestülpt werden. Nichts anderes hatte Curtis im Sinn, als er 1977 "Plastik- oder Metallshirts" forderte, um das radioaktive "Schwitzen" aus Ritzen, Schraubenlöchern, Poren, Hohlräumen und Verbindungsspalten der Behälter einzudämmen.

Umweltministerin Angela Merkel (CDU) griff die Vorschläge begierig auf. So schnell wie möglich, so die für Reaktorsicherheit zuständige Ministerin letzte Woche, würden die Vorschläge der GRS auf ihre Praxistauglichkeit getestet. Kurz vor der Bundestagswahl konnte sich Merkel als Sauberfrau präsentieren: Strahlenverunreinigungen, wie sie die Atomkonzerne im Frühjahr zugegeben hatten, ließen sich damit in Zukunft vermeiden.

Trotz dieser alten neuen Erkenntnisse wollte sich Merkel vor der Bundestagswahl nicht zu weit vorwagen: Der im Mai erlassene Transportstopp für hochradioaktiven Atommüll bleibt vorerst bestehen. Zunächst müsse ein abgestuftes Meldesystem "je nach Höhe der Überschreitung von Grenzwerten" eingeführt werden. Darüber hinaus müßten die Verantwortlichkeiten für den Transport neu gestaltet werden: Merkel will, daß die Transportfirma in Zukunft von den Betreibern der Atomkraftwerke unabhängig ist.

Welchen Zweck ein abgestuftes Meldesystem erfüllen soll, wenn kontaminierte Transporte künftig ausgeschlossen werden, sagte die Ministerin jedoch nicht. Auch Wilhelm Collin vom Bundesamt für Strahlenschutz wußte, von Jungle World dazu befragt, nicht weiter: "Bei meinem jetzigen Kenntnisstand halte ich ein abgestuftes Meldesystem nicht für richtig."

Auch sonst läßt der GRS-Berichts viele Fragen offen, deren Beantwortung der Ministerin kurz vor der Bundestagswahl nicht ins Konzept passen. Etwa die, warum seit über 25 Jahren "der Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen dem mit der Behälterabfertigung betrauten Personal in den einzelnen Kraftwerken bisher unbefriedigend" war, wie die GRS schreibt, ohne daß das Umweltministerium je eingegriffen hätte.

Durch abgelöste strahlende Partikel verursachten Lungenkrebs bei Atomarbeitern und Polizisten schließt der GSR-Bericht aus. Der Behauptung der Atomforscher, daß große lose Partikel mit erhöhter Strahlung nicht in die Lunge gelangen könnten, widerspricht jedoch Wolfgang Neumann von der Hannoveraner Gruppe Ökologie: "Die addierte Strahlenexposition in der Lunge durch die Aufnahme einer Anzahl kleinerer Partikel kann keinesfalls ausgeschossen werden", sagte er der Jungle World. Vielmehr lasse der Abschlußbericht vermuten, daß "die Fragestellung des Ministeriums an die GRS zum Thema 'Strahlenexposition und Lungekrebs' nur ein negatives Ergebnis zuließ".

Zumindest für einige Journalisten enthielt der Bericht ein interessantes Detail: Die "Kühlstachelzone mit bis zu 60 000 Kühlstacheln" stelle, so die GRS, bezüglich "einer Kontamination einen Problembereich" dar. Eine Gruppe Medienvertreter hatte noch vor gut einem Jahr kräftig in die Kühlstachelzone eines schwedischen Atommüllbehälters gegriffen, "um die erhebliche Wärmeabfuhr aus dem Inneren zu fühlen" - natürlich ohne Schutzhandschuhe. Beim Besuch der schwedischen Atomanlage "Clab", in der auch deutscher Atommüll lagert, hatte der Rundgangsleiter dazu aufgefordert.