Abstoßen!

Achtung, Revolutionäre! Jetzt Kleinanleger agitieren.

Nie war die Gelegenheit günstiger. Jahrzehntelang bemühten sich Generationen von Revolutionären vergeblich, dem System endlich den verdienten Gnadenstoß zu versetzen. Sie schrieben blaue und rote Bände voll, besuchten Priesterseminare, froren in Sibirien vor sich hin, verkleideten sich als Fisch im Wasser, fuhren mit ihrer Großmutter auf eine Karibikinsel oder - wenn ihnen gar nichts anderes übrig blieb - sogar mit einem Zug durch Deutschland. Aber das alles nützte nichts, die Weltrevolution blieb aus, die Proletarier wollten nicht so wie sie sollten.

Es ist also an der Zeit, sich nach einem neuen revolutionären Subjekt umzuschauen. Und das steht weder am Fließband noch zu Monatsbeginn pfeifend und protestierend vor dem Arbeitsamt. Nein, im Herzen der Bestie, in der Hochburg des Kapitalismus selbst, da formiert es sich: Die Aktionären aller Länder sind es, denen sich nun die einzigartige Chance bietet, Schluß zu machen mit dem elenden System!

Dafür müssen sie sich allerdings frei machen von ideologischer Verklärung und falschem Bewußtsein. Von wegen, irgendwann würde es schon wieder aufwärts gehen, die nächste Hausse sei nur eine Frage der Zeit - all das ist nichts als reine Propaganda, der kümmerliche Versuch, zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist. Hinweg damit!

An welch armselige Hoffnungen soll sich der Klein(re)aktionär denn auch noch klammern? Die trügerische Aussicht auf Statussymbole wie ein Eigenheim mit Gartenzwerg, die goldene Armbanduhr oder den Urlaub auf den Bahamas hindert ihn noch daran, sein wahres Bewußtsein zu entwickeln. Die Aussicht auf materielle Dinge, sie blendet das entfremdete Subjekt und nährt die Illusionen auf Rendite.

Aber: Wer jetzt noch Aktien kauft, um zu den Gewinnern zu gehören, steht ganz klar auf der Verliererseite. Warum die Aktien der Deutschen Telekom behalten, nur um sich davon eine Befehlsgewalt über das Team Telekom zu versprechen, damit auch nächstes Jahr Marco Pantani die Tour de France gewinnt? Das ist doch genauso dumm wie der Erwerb von McDonalds-Anteilen, in der Hoffnung, dann eine Preissenkung nach der anderen befehlen zu können. Und SAP, dieser Geheimfavorit, der angeblich eine Lösung hat, wie Computer auch nach der Jahrtausendwende weiter funktionieren - was nützt das schon, wenn demnächst sowieso alles zusammenbricht? Genauso wenig wie die Aktien von London: vögeln tun die Leute ja immer, notfalls auch ohne.

Denn die Kleinaktionäre, sie sind nicht mehr weit davon entfernt, sich von der Klasse an sich zur Klasse für sich zu formieren. Dann wird das falsche Bewußtsein endlich und endgültig überwunden und weltweit werden sich die Aktionäre formieren und mit ihrer gewaltigen Stimme einfordern, was man ihnen bisher vorenthielt. Deswegen ist Aktien verkaufen die revolutionäre Tat dieser Stunde! Und zwar alle! Alle auf einmal!

Nur keine falschen Hoffnungen: Sichere Häfen gibt es nicht, denn die Zeichen stehen auf Sturm; ein wahrer und revolutionärer Orkan kündigt sich an. Vergessen seien jene Lüftchen, verursacht durch den Appell des großen Steuermanns an alle Chinesen, gleichzeitig in die Luft zu springen, um damit die Erdachse gewaltig zu verschieben. Oder die Öko-Aufrufe, alle Heizgeräte gleichzeitig anzuschalten, damit die Energieversorgung zusammenbricht. Das waren Peanuts. Kleine, unbedeutende Scharmützel. Nun aber ergibt sich die Möglichkeit, den Krieg zu gewinnen - durch den gleichzeitigen Verkauf aller Aktien weltweit das System wirklich in Bedrängnis zu bringen, es von innen heraus auszuhebeln, ihm den finalen Kick zu geben.

Was das für Folgen hätte! Das Kapital der großen Firmen wäre einfach weg, Investitionen unmöglich, der Kauf von Rohstoffen und Arbeitskraft auch. Und wie schnell würden Kapitalisten ohne Kapital zu anderen

-isten werden, wenn man ihnen nur eine entsprechende Perspektive böte - eine revolutionäre natürlich. Die natürlichen Verbündeten der Aktionärsklasse gilt es mit dieser Aktion zu gewinnen: Heere von Aktienhändlern, Bänkern, Unternehmensberatern, Managern und Vorstandschefs würden von einen Tag auf den anderen überflüssig, arbeits- und brotlos. Eine Lumpenbourgeoisie bisher unbekannten Ausmaßes würde entstehen und der revolutionäre Umbruch ein reines Kinderspiel.

In dem Bündnis aus Kleinaktionären und der verelendeten Bourgeoisie liegt das gewaltige revolutionäre Potential der Zukunft, die Möglichkeit den Fetischcharakter der Aktienkurse zu entzaubern und damit die Entfremdung der Börsenökonomie zu brechen.

Die Kleinaktionäre aller Länder sind unser aller Zukunft, sie müssen ihre Chance erkennen und alle Aktien verkaufen! Gleichzeitig! Dann ist es aus und vorbei mit dem Kapitalismus, solange sie ihre Wertäquivalente nicht wieder in Rentenpapiere re-investieren. Denn daß die Renten nicht sicher sind, weiß schließlich jede Oma.