Geld gewinnt

Bei den brasilianischen Präsidentschaftswahlen geht es eigentlich gar nicht um den Präsidenten, sondern um die Währung Real

Die brasilianischen Präsidentschaftswahlen schienen vor dem Urnengang am vergangenen Sonntag bereits so gut wie entschieden. In den Meinungsumfragen führte der Präsident Fernando Henrique Cardoso mit 46 Prozent, seine Verfolger kamen zusammen gerade mal auf 38 Prozent der Befragten. Fraglich war eigentlich nur noch, ob Cardoso bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erhält oder ob ein zweiter Wahlgang gegen den Zweitplazierten nötig wird.

Für Korrespondenten aus aller Welt sind vor allem die Erfolge in der Wirtschaftspolitik Ursache dafür, daß Cardoso beste Chancen auf Wiedergewahl hat. Luiz Ignacio "Lula" da Silva - mit 24 Prozent der Umfrageergebnisse wichtigster Konkurrent von Cardoso - hält diese Erfolge allerdings für reine Luftblasen. Allerdings fragt den Ehrenvorsitzenden der Arbeiterpartei kaum jemand nach einer Analyse der politisch-ökonomischen Situation in Brasilien. Denn viele trauen dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Arbeiterführer keine Wirtschaftspolitik zu, die das Land aus der finanzpolitischen Bredouille führen könnte. Außerdem lastet nach zwei erfolglosen Präsidentschaftskandidaturen das Stigma des "ewigen Zweiten" auf ihm.

Die eigentliche Ursache für die schon vorher absehbare Wahlniederlage sieht "Lula" allerdings darin, daß die Medien sich von Cardoso instrumentalisieren ließen. Der Präsident würde den Wählern "ein Märchenland versprechen und die Realität in rosaroten Farben ausmalen. Das Problem ist, daß wir nicht nur Cardoso gegenüberstehen, sondern dem ganzen Staatsapparat und den davon abhängigen Institutionen", meinte da Silva gegenüber der spanischen Tageszeitung El Pa's.

So ist Cardoso beispielsweise in den Fernsehstudios des Landes gerne gesehen und versteht es, sich geschickt zu verkaufen. Trotz der gegenwärtigen Finanzkrise und der Rezession hat es Cardoso geschafft, große Teile der Bevölkerung zu überzeugen, er sei der einzige, der die Krise meistern könne. Ohne das Fernsehen, das ihm rund um die Uhr offen steht, wäre ihm das wohl kaum gelungen.

Die ohnehin wesentlich bescheidener angelegte Wahlwerbung der Opposition mußte sich dagegen auf die allabendliche Sendezeit zwischen 20.30 und 21.20 Uhr konzentrieren. Dann präsentieren alle Kanäle die Kandidaten für den Kongreß sowie für die Gouverneursämter und natürlich auch für das oberste Staatsamt. Ein eher ermüdendes Schauspiel für die Zuschauer und deshalb nicht gerade die gewünschte Bühne für eine adäquate Darstellung von Programm und Kandidat.

Deshalb hat da Silva auf medialer Ebene eher schlechte Karten. Denn weil die Analphabetenquote Brasiliens nach wie vor hoch ist und Tageszeitungen außerhalb der Metropolen nicht sonderlich verbreitet sind, informiert sich das Gros der BrasilianerInnen durch das Fernsehen. Der wichtigste Sender des Landes, TV O'Globo, gehört zum Imperium des Medienzaren Roberto Marinho und spielt eine große Rolle in Sachen Wahlwerbung. Manche behaupten angesichts der Medienkonzentration sogar, daß ohne die Zustimmung von Marinho und dessen Wahlhilfe niemand in Brasilien Staatschef werden könne.

Vor dem Ausbruch der Finanzkrise war da Silva nach den Umfragen ein ernstzunehmender Konkurrent für Cardoso. Aber seitdem es mit der Wirtschaft bergab geht, hat er kontinuierlich verloren. Er selbst führt das darauf zurück, daß der sogenannte "Plano Real", der Brasilien wieder eine stabile Währung gebracht hat, nun wieder eifrig diskutiert wird. Brasilien scheint demnach eher eine stabile Währung als einen neuen Präsidenten zu wählen. Das Gespenst der Hyperinflation und der Abwertung des Real geht um - und Cardoso steht nun einmal für die Stabilität des Real.

Aber die Währungsstabilität ist teuer erkauft. Die Binnenverschuldung des Landes hat sich innerhalb der Legislaturperiode von umgerechnet 90 auf über 460 Milliarden Mark verfünffacht, der Staatshaushalt ist bei einem Haushaltsdefizit von sieben Prozent derart in den roten Zahlen, daß Cardoso bereits vor den Wahlen ein Austeritätsprogramm ankündigte.

Dieses Programm werde, so befürchtet der als politischer Berater tätige Ricardo Pedreira, "Blut, Schweiß und Tränen" kosten. Aber: "Die Wähler scheinen bereit, Cardoso zu vertrauen und den Gürtel enger zu schnallen", meint zumindest Heinz Mewes, Brasilienexperte bei der Dresdner Bank Lateinamerika. "Sie haben erkannt, daß Reformen notwendig sind."

Bereits vor vier Jahren hatte Cardoso Reformen angekündigt. Nur umgesetzt hat er sie nicht - weder die Reform des Bankensystems, des Rentensystems noch der öffentlichen Verwaltung und schon gar nicht die großspurig angekündigte Landreform. Zwar wurden einige seiner Projekte vom Parlament systematisch blockiert. Doch auch die Rücksicht auf den Koalitionspartner PFL spielte dabei eine Rolle, denn diese Partei vertritt die Interessen der Großgrundbesitzer.

Die Rivalen Cardosos - da Silva und Ciro Gomes - hielten Anfang vergangener Woche eine gemeinsame Pressekonferenz ab, um die Bevölkerung mit einem dramatischen Appell aufzurütteln. Aber sie klangen wenig optimistisch. Gomes, früher Finanzminister und Dritter in den Umfragen, sah bereits die nationale Souveränität bedroht und forderte die Wähler gemeinsam mit da Silva auf, Cardoso zumindest nicht im ersten Wahlgang zu wählen. Es müsse Zeit bleiben, der Öffentlichkeit alternative Konzepte zur Krisenlösung vorzustellen. Die Medien und vor allem das Fernsehen müßten damit aufhören, die Ursachen der Krise allein im Ausland zu suchen; damit würden sie den Präsidenten in Schutz nehmen, der eigentlich für die Mißstände verantwortlich sei.

Der Zinssatz von 49,75 Prozent ließ Brasiliens Wirtschaft in eine handfeste Rezession rutschen. Investitionen sind stark rückläufig, Kredite werden kaum mehr aufgenommen, und die bislang weit verbreiteten Ratenkäufe sind praktisch unmöglich. Die Umsätze nahezu aller Betriebe sind stark rückläufig. VW do Brasil schickte seine Belegschaft kurzfristig in den Urlaub - wegen Absatzproblemen. Weniger finanzstarke Betriebe entlassen die Arbeiter. In S‹o Paulo weisen die offiziellen Statistiken eine Arbeitslosenquote von 19 Prozent auf. Hinzu kommt, daß große Teile der Bevölkerung ohnehin im informellen Sektor tätig und offiziell nicht registriert sind.

Schlimmer noch als in den Industriemetropolen sieht es auf dem Land aus. Im Nordostens Brasiliens herrscht nach wie vor die "Jahrhundert-Dürre". Arbeit auf den Feldern der Großgrundbesitzer gibt es nicht, und die lange zugesagten Hilfen der Zentralregierung kamen erst, als der Wahltermin näher rückte. Nach Einschätzung unabhängiger Beobachter eine prächtige Ausgangssituation für den Kauf von Stimmen.