Le Pen steht vor Gericht

Langer Prozeß

Der Prozeß findet in einer ziemlich surrealistischen Atmosphäre statt: Während drinnen die Zeugen vernommen werden, demonstrieren draußen mehrere Hundert fanatisierte Anhänger zwei Tage lang ununterbrochen für ihren "Präsidenten". Und die Führungspersonen seiner "Bewegung" wechseln sich am Rednerpult direkt vor dem Eingang zum Gerichtsgebäude ab, als befände man sich auf einem politischen Kongreß.

Der Generalsekretär der "Bewegung", der nebenbei Anwalt und Juraprofessor ist und seinen Parteichef als einer von fünf Anwälten vertritt, wechselt aus dem Gerichtssaal kommend schnurstracks seine Rolle, streift sich seine Robe ab und wettert von der Rednertribüne gegen den kommunistischen Terror, der seiner Partei ihre Meinungsfreiheit raube, und gegen die korrupte politische Klasse.

Sein Name ist übrigens Bruno Gollnisch. Die von seinen Parteigängern skandierten Slogans hallen in den vornehmen Gerichtssaal im noch vornehmeren Versailles hinein. Hier, nur einen Steinwurf vom Versailler Schloß entfernt, findet der Berufungsprozeß gegen den Chef des neofaschistischen Front National (FN) statt. Jean-Marie Le Pen ist angeklagt, am 30. Mai 1997 - zwei Tage vor dem zweiten Durchgang der französischen Parlamentswahl - eine sozialistische Kandidatin körperlich angegriffen und verletzt zu haben.

An jenem Tag war Le Pen nach Mantes-La-Jolie (eine heruntergekommene Trabantenstadt westlich von Paris) gekommen, um die Kandidatur seiner ältesten Tochter Marie-Caroline zu unterstützen. Vermutlich aufgrund eines Fehlers seines Chauffeurs, hielt das schwarze Auto des FN-Vorsitzenden unmittelbar auf der Höhe einer Ansammlung von Gegendemonstranten. Le Pen sprang wutentbrannt aus dem Auto und mitten in die Gruppe von Gegnern seines Auftritts hinein, wo der Neofaschist sich auf die sozialistische Politikerin Annette Peulvast stürzte - die mit 1,58 Meter Körpergröße etwa zwei Köpfe kleiner ist als er - und versuchte, ihr die Schärpe einer Gewählten der Republik zu entreißen.

Die sozialistische Kandidatin, die zwei Tage später den Wahlkreis gewinnen sollte, trug Kratzspuren am Hals und Brustkorb sowie Blutergüsse an den Beinen davon. Im Februar 1998 wurde Jean-Marie Le Pen deswegen bereits zu zwei Jahren Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte - und damit auch des passiven Wahlrechts und seiner parlamentarischen Mandate - sowie drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Anfang letzter Woche, am 28. und 29. September, fand in Versailles der Berufungsprozeß statt. Der Staatsanwalt plädierte bereits für eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, die richterliche Entscheidung wird aber erst für den 17. November erwartet.

Und während Jean-Marie Le Pen in Versailles auf der Anklagebank saß, wurde am September der Spruch eines Pariser Strafgerichts bekannt. Der FN-Chef wurde damit zur Zahlung des symbolischen Betrags von einem Franc Geldstrafe verdonnert - eine häufige Strafe in Prozessen wegen Ehrverletzung.

Anlaß war ebenfalls eine Episode aus dem Wahlkampf 1997: Einen Tag vor seinem folgenreichen Besuch in Mantes-La-Jolie hatte Le Pen auf der Pariser Abschlußveranstaltung des FN-Wahlkampfs den abgeschnittenen Kopf der sozialistischen Politikerin Catherine Trautmann (mittlerweile Kulturministerin) seinen Zuschauern auf einem Tablett präsentiert - natürlich nur aus Pappe.