Claudia Roth

»Auf Recht bestehen«

Gegen das eingeschränkte Asylrecht, Abschiebehaft sowie das Asylbewerberleistungsgesetz und für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht waren die Grünen im Wahlkampf angetreten. In diesen Tagen nun wird sich entscheiden, ob solche Forderungen in einer SPD unter Führung von Gerhard Schröder durchzusetzen sind. Claudia Roth ist Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament, wurde nun zur Bundestagsabgeordneten gewählt und zählt zu den Anwärterinnen für das Amt der Ausländerbeauftragten einer rot-grünen Bundesregierung.

Parteisprecher Jürgen Trittin und der Innenpolitiker Rezzo Schlauch ließen es noch vor den Wahlen wissen: In einer rot-grünen Regierung werde ihre Partei nicht darauf drängen, den Asylkompromiß rückgängig zu machen. Welche Forderungen spielen nun für die Grünen in puncto Ausländer- und Flüchtlingspolitik bei den Koalitionsverhandlungen eine Rolle?

Es wäre Quatsch gewesen, mit dem Vorhaben in die Gespräche zu gehen, den Asylkompromiß rückgängig zu machen. Schließlich könnte eine rot-grüne Regierung, selbst wenn sie wollte, keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag zustandebringen, was für eine Grundgesetzänderung notwendig wäre. Trotzdem bleibt die Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl ein Ziel. Zunächst aber gibt es unterhalb dieser Änderung Punkte, die diskutiert werden müssen. Vor allem aber dürfen wir nicht zulassen, daß Erfolge beim Staatsbürgerschaftsrecht mit Zugeständnissen im Bereich Asyl aufgewogen werden. Die Forderung nach Gleichstellung von Migranten und die Flüchtlingsproblematik müssen getrennt behandelt werden. Grundsätzlich sprach schon vorab einiges dafür, daß es in diesen Bereichen schwierig werden würde. So hatte Otto Schily deutlich signalisiert, daß in der Asylpolitik nichts laufen werde.

Steht denn nun die Flughafen- oder die Drittstaatenregelung, die mit der Änderung des Artikel 16 durchgesetzt wurden, zur Disposition? Das Magdeburger Wahlprogramm enthielt ja noch diese Forderungen.

Die genauen Positionen, mit denen wir gegenüber der SPD auftreten, werden zunächst nicht in der Öffentlichkeit, sondern am Verhandlungstisch besprochen. Klar ist aber, daß wir bei der Flüchtlings- und Asylpolitik tatsächliche Verbesserungen erwarten. Und natürlich sind wir mit Forderungen in die Gespräche gegangen, die sich an unser Wahlprogramm anlehnen.

Dann müßte nun auch die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes zur Sprache kommen. Rechnen Sie sich hier Chancen aus, obwohl gerade niedersächsische Sozialdemokraten um Gerhard Schröder für eine verschärfte Fassung dieses Gesetzes eingetreten sind und damit die Streichung von Sozialhilfe für viele Flüchtlinge fordern?

Tatsächlich stoßen hier sehr unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Sowohl das Asylbewerberleistungsgesetz wie auch beispielsweise die Kindervisumspflicht konnten nur durchgesetzt werden, weil die SPD im Bundesrat dafür gestimmt hat. Dennoch muß es hier, und das ist auch die vorherrschende Meinung in unserer Verhandlungskommission, deutliche Fortschritte geben. Das bezieht die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes mit ein.

Wie weit wird die Toleranz gehen? Betrachtet man die rot-grünen Regierungen in Hessen oder Schleswig-Holstein, so ist zu befürchten, daß Ihre Partei bereit ist, Flüchtlingspolitik zugunsten der Koalitionsharmonie schnell hinten anzustellen. Bislang ist noch keine SPD/Grünen-Regierung daran geplatzt, daß etwa der Abschiebestopp für Kurden oder Bosnierinnen aufgehoben wurde ...

Es ist schwierig, über die Grenzen einer Koalition zu diskutieren, bevor der Koalitionsvertrag überhaupt steht. Letztlich muß der Parteitag entscheiden, ob das, was verhandelt wurde, ausreicht oder nicht. Und dann wird sich natürlich die wichtige Frage der Abwägung stellen: So könnte es passieren, daß im Asylbereich wenig herauskommt, während im Ökologie-Bereich große Veränderungen möglich wären. Was sich dann in der Flüchtlingspolitik ändern läßt, hängt aber nicht nur von uns ab. Ich hoffe deshalb, daß der Druck von Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen noch anwächst.

Sehen Sie denn Chancen, daß mit Schröder, der durch seine Äußerungen den Diskurs über sogenannte Ausländerkriminalität erst richtig angeheizt hat, Reformen im Ausländerrecht möglich sein werden?

Ich erwarte zumindest von einer neuen Koalition, daß sie im Ausländer- und im Staatsbürgerschaftsrecht grundlegende Änderungen in der Perspektive vornimmt. Demokratie heißt schließlich auch, internationale Verpflichtungen und internationales Recht zu achten. Die Genfer Flüchtlingskonvention, wie sie vom Flüchtlingshochkommissariat UNHCR ausgelegt wird, und die Europäische Menschenrechtskonvention, der gegenüber Deutschland verpflichtet ist, müssen also einfach ernstgenommen werden. Nehmen wir als Beispiel den wieder aktuellen Fall von "Mehmet". Hier haben wir nur verteidigt, was in der Menschenrechtskonvention steht und zuletzt vom obersten bayrischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurde: Es gilt das Verbot der unwürdigen Strafe. Und die sagt, daß die Verbannung nicht rechtmäßig ist. Zudem wäre die Ausweisung ein Verstoß gegen das EU-Türkei-Assoziationsabkommen.

Kurzum: Unsere Verhandlungsposition beruht darauf, daß man auf dem, was Recht ist, auch besteht. Dazu muß man noch nicht besonders radikal sein.

Ähnlich sieht es mit der Staatsbürgerschaft aus. Hier müssen einfach erst einmal Realitäten anerkannt werden. Man kann nicht nach 40 Jahren Einwanderung fragen, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir müssen akzeptieren, daß mittlerweile schon Menschen in der dritten, ja sogar vierten Generation hier leben und die Aufteilung der Wohnbevölkerung in Menschen und Ausländer völlig unsinnig ist. Auf diese Grundlogik müssen wir uns in einer Koalition verständigen.

Gab es in Ihrer Partei Überlegungen, eher das Innen- als das Außenministerium zu besetzen? Betrachtet man die Rolle von Manfred Kanther in den Bereichen Innere Sicherheit und Flüchtlingspolitik, so scheint er für die EU wichtiger zu sein als Klaus Kinkel. Mit seiner EU-Innenpolitik berührt er doch viele Bereiche, in denen Essentials der Grünen widersprochen wird.

Natürlich wollen wir auch im Innen- und Rechtsbereich präsent sein, aber das läßt sich schlecht gegen andere Politikfelder aufwiegen. Dennoch ist es richtig, sich Gedanken darüber zu machen, wer eigentlich europäische Innenpolitik, also de facto auch Außenpolitik, betreibt. Erfolgreich war in diesem Bereich bislang Professor Kurt Schelter von der CSU. Er hat die europäische Innenpolitik vorangetrieben. Zweifellos hat Deutschland, sprich die letzte Regierung, hier eine absolute Vorreiterrolle gespielt. Sie hat sich mit dem Modell einer repressiven Innenpolitik zunehmend mehr Kompetenzen beschafft, die eigentlich im Bereich Außen- bzw. Europapolitik anzusiedeln sind.

In einer Koalition muß deshalb der Status der Europa-Politik besprochen werden. Nicht zuletzt, weil dieser nie eindeutig geklärt wurde, konnte die Regierung Kohl relativ ungestört - zumindest in Bonn - Europa-Politik hinter verschlossenen Türen betreiben. Folgerichtig hat Europol, wo die demokratische Kontrolle vollkommen unzureichend ist, eine eindeutig deutsche Handschrift.

Großen Einfluß werden die Grünen hier nicht gerade haben. Selbst den unwahrscheinlichen Fall vorausgesetzt, daß Schröder für ein vorsichtigeres Vorgehen bei der Inneren Sicherheit plädieren würde, hat Staatssekretär Schelter im Auftrag von Kanther schon einiges durchgesetzt, was sich im Rahmen internationaler Verträge nicht einfach rückgängig machen läßt.

Natürlich können wir nicht hergehen und sagen, wir machen jetzt alles anders. Aber es ist auch Quatsch, davon auszugehen, daß man durch eine Wahl in einem Land nichts an der Europa-Politik nichts ändern kann. Diese Unbeweglichkeit will die Union suggerieren. Gerade durch das kürzlich bekanntgewordene österreichische Strategiepapier, mit dem sich die EU noch schnell vor den deutschen Wahlen von der Genfer Flüchtlingskonvention verabschieden sollte, wollte man diese Haltung untermauern.

Daß ein Mitgliedsstaat durchaus auch andere Impulse einbringen kann, hat aber nicht zuletzt Frankreich bewiesen. Nach den dortigen Wahlen sind Beschäftigungs- und Sozialpolitik in der EU wieder thematisiert worden. An solchen Punkten hat Bonn immer den Bremser gemacht. Wir werden nun eine andere Rolle spielen müssen.

Ausgerechnet mit Schröder, dessen außenpolitische Vorstellungen immer stark von nationalen Interessen geprägt waren?

Man kann zumindest den Grünen nicht unterstellen, daß für uns Europa das Bündnis der Vaterländer ist oder es darum ginge, deutsche Interessen auf europäischer Ebene besser zu vertreten. Wir haben immer anders argumentiert. Europa ist für uns eine Chance, wenn sie eng an Kriterien wie Demokratie gebunden ist. Vieles von dem, was Schröder vorab äußerte, dürfte unter der Kategorie Säbelrasseln im Wahlkampf laufen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine neue Regierung die EU-Präsidentschaft, die im Januar Deutschland übernimmt, unter dem Fähnchen "Es geht um deutsche Interessen" führen wird.