Eine Stimme zu wenig

Die italienischen Reformkommunisten stürzen Ministerpräsident Romano Prodi

"Mister No" hat den Olivenbaum gefällt. Bei einer Vertrauensabstimmung im römischen Parlament am Freitag vergangener Woche verfehlte das italienische Regierungsbündnis Ulivo (Olivenbaum) die nötige einfache Mehrheit um eine Stimme. Ministerpräsident Romano Prodi trat daraufhin zurück. Die Verhandlungen um seine Nachfolge hielten bis Redaktionsschluß an.

Zweieinhalb Jahre lang hatte das Mitte-Links-Kabinett unter Prodi regiert - mit Hilfe der Stimmen des PRC (Partito della Rifondazione Comunista, Partei der kommunistischen Wiedergründung). Und obwohl deren Chef Fausto Bertinotti ständig gedroht hatte, die Unterstützung der Regierung einzustellen (und sich damit den Namen "Mister No" einhandelte), überstand die Regierung doch 31 Vertrauensabstimmungen im Parlament; die 32. brachte sie - vorerst - zu Fall.

Bertinotti wird, wie schon so häufig, die Rolle des "Königsmörders" zugeschrieben. Am 4. Oktober setzte er als Parteisekretär einen Beschluß des Nationalen Politischen Komitees des PRC gegen den Widerstand des langjährigen Parteipräsidenten Armando Cosutta durch. Der PRC versagte der Regierung die Unterstützung für den Haushalt 1999, da zu wenige Forderungen der Partei erfüllt seien. Prodi beraumte daraufhin eine Vertrauensabstimmung für Freitag an. Fast einhellig räumten italienische Kommentatoren ihm gute Chancen ein, das Votum zu gewinnen: Denn Bertinottis Vorgehen hatte zu einer De-facto-Spaltung der kommunistischen Partei geführt.

Hinter Cosutta sammelten sich 21 der 34 PRC-Abgeordneten, darunter Fraktionschef Oliviero Diliberto sowie der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Nerio Nesi, die Prodi weiterhin stützen wollten. Dennoch reichte es nicht: 212 Abgeordnete stimmten für Prodi, 213 gegen ihn. Auch ein Abgeordneter der Regierungskoalition verweigerte dem Regierungschef die Zustimmung. Silvio Liotta gehörte zu Silvio Berlusconis Forza Italia, bevor er 1996 der Mitte-Links-Koalition Prodis beitrat. Nun entschloß er sich, seine Stimme wieder der Opposition zu geben.

Ulivo besteht aus mehreren Mitte-Links-Parteien und war bei den Wahlen im April 1996 an die Macht gekommen. Mit 20 Prozent der Wählerstimmen ist die Demokratische Linkspartei PDS (Partito democratico della sinistra) unter Massimo D'Alema die stärkste Kraft innerhalb des Bündnisses, dem außerdem linkskatholische und grüne Parteien angehörten. Ministerpräsident Romano Prodi, Wirtschaftsprofessor in Bologna und Harvard, fungiert als Bündnis-Chef, der keiner Partei angehört.

Die Amtsdauer seiner Regierung war mit 28 Monaten die zweitlängste in der italienischen Nachkriegsgeschichte; nur der korrupte Sozialdemokrat Benito Craxi hatte in den achtziger Jahren einmal ein paar Monate länger regiert. Jedoch stand sein Regierungsbündnis von Beginn an auf wackeligen Beinen: Weil Ulivo zwar im Senat, nicht aber im gesetzgebenden Abgeordnetenhaus die absolute Mehrheit von 316 Sitzen besaß, war das Bündnis auf die Zustimmung der 34 PRC-Abgeordneten angewiesen.

Bertinottis PRC ist ebenso wie der sozialdemokratische PDS eine der Nachfolgeparteien der Kommunistischen Partei Italiens (PCI), die während des Kalten Krieges die größte kommunistische Partei Westeuropas gewesen war. In den siebziger und achtziger Jahren bemühte sich die PCI um eine Annäherung an die bürgerlichen Parteien samt ihrer zahlreichen Kabinette, wurde aber nie an der Regierung beteiligt - bis Ulivo 1996 die Wahlen gewann und den PRC integrierte.

Den Spagat zwischen Beteiligung an der Macht und wirksamer Opposition versuchte Rifondazione zu lösen, indem Ulivo zwar mittels Vertrag die Unterstützung zugesichert wurde, aber der PRC nicht Mitglied der Koalition wurde und auch keine Minister in der Regierung stellte. Dafür wurde Bertinotti in den letzten zweieinhalb Jahren regelmäßig für ein paar Tage zum wichtigsten Politiker des Landes: Immer dann, wenn im Parlament wieder eine Abstimmung anstand, die der PRC-Stimmen bedurfte.

Vor ziemlich genau einem Jahr ließ es die PRC-Spitze auf eine ähnliche Machtprobe ankommen, um, so erklärte Bertinotti seinerzeit, ein Gesetz zur 35-Stunden-Woche durchzusetzten. Der Ablauf damals glich bis ins Detail den Ereignissen von letzter Woche; allerdings lenkte Bertinotti im letzten Augenblick ein, als Prodi eine Gesetzesvorlage zur Einführung der 35-Stunden-Woche ankündigte. Es blieb bei der Ankündigung.

Im letzten Jahr war es vorrangiges Ziel der Regierung Prodi, Italien für die europäische Währungsunion fit zu machen. Dieses Ziel erreichte sie durch Steuererhöhungen, die das Haushaltsdefizit und die Staatsschulden verringerten. Inflation und Lirakurs wurden unter Kontrolle gebracht, der Haushalt wurde ausgeglichen. All dies geschah mit einer bis dahin in Italien beispiellosen Zustimmung der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Großorganisationen wie der Sozial-und Unternehmerverbände. Und mit Zustimmung des PRC - obwohl die Arbeitnehmer zum Teil finanziell stark belastet wurden.

Dennoch sah Bertinotti die Forderungen seiner Partei nie zufriedenstellend erfüllt: Priorität für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Hilfe für die unteren Klassen, verstärkte Strukturförderung des italienischen Südens, des Mezzogiorno. Bei den Abstimmungen, die den Einsatz von Nato-Truppen in Jugoslawien vorsahen, konnte Prodi nie auf die Stimmen von Rifondazione zählen; in solchen Fällen sprangen dann Abgeordnete der Opposition ein. So wurde es auch für die Abstimmung vergangene Woche erwartet.

Bertinotti hat seinen Kurs konsequent verfolgt und eine Regierung gesprengt, die die Maastricht-Kriterien zu erfüllen wußte, ohne dabei allzu radikale Einschnitte in das soziale System vorzunehmen. Zudem hatte sich das politische System Italiens in den letzten Jahren stabilisiert. Die weitere Festigung durch geplante Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen könnte nun gefährdet sein. Indes wurde die Tradition fortgesetzt, daß in Italien niemand lange an der Macht bleiben kann und Ministerpräsidenten in der Regel aus den eigenen Reihen gestürzt werden.

Ausgerechnet den Haushalt für 1999, der konkrete Projekte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorsah, benutzte Bertinotti, um die Regierung auszuhebeln. Möglich wäre nun eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen, wie sie von der rechten Opposition und vor allem Silvio Berlusconi gefordert werden. Am Wochenende deutete sich jedoch die Bildung einer Übergangsregierung an, die wahrscheinlich nicht mehr von Prodi geleitet würde. Als aussichtsreichste Kandidaten wurden der bisherige Außenminister Lamberto Dini und Finanzminister Azeglio Ciampi genannt.

Bertinotti möchte da nicht zurückstehen: Er hat bereits zugesagt, die Regierung wieder zu unterstützen, wenn seine Forderungen erfüllt würden. In jedem Fall muß die Entscheidung vor dem 21. November fallen. Dann beginnt das sogenannte semestre bianco, das letzte Amtshalbjahr von Staatspräsident Luigi Scalfaro. In diesem Zeitraum hat er nicht mehr die Befugnis, das Parlament aufzulösen.