Asterix in Neukölln

Gallische Dörfer I: Der berlinernden Ausgabe von Asterix mangelt es an Werktreue

"Icke, icke bin Balina - wer mir haut, den hau ick wieda." Eine alte berlinische Spruchweisheit, an die sich die beiden Gallier Asterix und Obelix normalerweise nicht halten: Bevor gefragt wird, wird zugeschlagen. Schließlich gilt es, einen fiesen Feind zu bekämpfen - die römische Armee, die 50 Jahre v.u.Z. ganz (oder zumindest fast ganz) Gallien besetzt hält.

2 048 Jahre später sieht es nicht viel besser aus. Überall wird in Berlin an der neuen Hauptstadt gebastelt und geschraubt, und gallische Dörfer sind nicht in Sicht; wenn überhaupt, dann potemkinsche. Da kommt auf einmal der Stuttgarter Delta Verlag mit der berlinischen Version eines Asterix-Klassikers daher: Das gallische Dorf liegt im Wedding. Umlagert von den römischen Stellungen Schalottnbum, Moabitum, Mittum und Pankum arbeitet der Widerstand im "Jallischen Kaff", dem uns allen so vertrauten Dorf in Armorica. Doch wer sich dort wohlgefühlt hat, der wird jetzt durch pöbelnde Nachbarn und nervige Hauswarte aufgescheucht.

"Die Platte Jottweedee" ist der Titel der berlinernden Ausgabe von "Die Trabantenstadt" der französischen Comic-Künstler René Goscinny und Albert Uderzo. Und der Titel verrät, wo es langgeht: Weddinger spotten über Hellersdorfer. Sprachlich befinden wir uns jedoch im tiefsten Neukölln.

Bei den bisher drei plattdeutschen Ausgaben der Asterix-Mundart-Reihe hat sich der Delta Verlag um eine werkgetreue und dialektgenaue Bearbeitung der Vorlagen von Goscinny und Uderzo bemüht. Ein Tatbestand, der sich für den sprachlich Unkundigen in den anderen Ausgaben (Badisch, Bayrisch, Schwäbisch, Pfälzisch, Steirisch etc.) nicht nachvollziehen läßt. Silke Knocke und Sven Kugler, die für die Übertragung ins Berlinerische verantwortlich zeichnen, sind dagegen etwas unsensibel mit dem Stoff umgegangen.

In der Originalvorlage von 1971 geht es darum, daß der gute alte Julius Cäsar mit Hilfe des korrupten Architekten Quadratus rund um das widerspenstige gallische Dörf eine antike römische Siedlung errichten will. In Berlin heißt der Baumeister Semperus, weil er aus Dresden kommt und schlimm sächselt. Auch unsere anderen Helden kommen bei der Neuvergabe lustiger Namen nicht ungeschoren davon: Zenturio Hasenfuß heißt jetzt Hasenfurz, Automatix Trödelix, Verleihnix Jibtnix, Troubadix Singnix, Methusalix Asbach Opix und selbst der Druide Miraculix muß dran glauben: Die Übersetzer nennen ihn Houdinix.

Der Berliner Bolle-Humor bricht sich Bahn. Und vor ihm ist auch nicht die kleinste Ironie der hochdeutschen Fassung sicher: Alles wird plattberlinert. Das ist natürlich dann gerechtfertigt, wenn man bei einer Übertragung die Eigenheiten eines Dialekts und seiner nativen Sprecher berücksichtigen will.

Damit der Berliner sich auf die Schenkel klopfen kann, muß Duplikatha, der geniale Delegationsleiter der Sklaven, der anschaulich demonstriert, wie Tarifverhandlungen schnell und effektiv zu führen sind (ein paar Schlucke Zaubertrank, und die Arbeitgeber spuren), Nobbi Blümix heißen. Damit sich der Berliner zurechtfindet, werden zum Teil selbst den Sklaven neue Nationalitäten zugeordnet, aus Belgiern und Goten werden Türken und Polen. Majestix flucht statt "beim Teutates" "beim ollen Fritz" und fürchtet sich nicht mehr davor, daß ihm der Himmel auf den Kopf fallen könnte, sondern einfach nur noch - wie es dem neuköllnischen Gemüt entspricht -, "dat die Welt untajeht".

Angereichert wurde das Ganze dann noch mit dem obligaten Lokalkolorit ("langer Lulatsch", "Scharritee", "Platte Jottweedee", "Olümpjastadjon"), und sogar die Comic-Sprache wurde für die hauptstädtischen Bedürfnisse überarbeitet ("Zack!" = "Wock!", "Platsch!" = "Flatsch!", "Bumm!" = "Rums!"). Daß dazwischen trotzdem die lateinischen Aussprüche stehengeblieben sind, wirkt da eher etwas befremdlich - aber immerhin wurden auch hier einige ausgewechselt.

Bei so vielen Eingriffen in den Urtext hätte man zumindest das alte Asterix-Rätsel, was "Gn(tm)thi seauton" ("Erkenne dich selbst") heißt, auflösen können.

Daran war Silke Knocke (25, Wedding) und Sven Kugler (28, Prenzlauer Berg) offenbar nicht gelegen. Die beiden Freizeitübersetzer hatten zwar professorale Unterstützung von Norbert Dittmar (FU Berlin), den Makel, daß sie den Job bei einem Übersetzungswettbewerb, den der Verlag zusammen mit der Berliner Morgenpost veranstaltete, gewonnen haben, konnten sie dennoch nicht wettmachen. Weite Strecken des Textes lesen sich wie eine Mundart-Glosse im Lokalteil des Berliner Kleinbürgerblattes. Immer schön rotzig bleiben!

Seit 1995 hat die Asterix-Mundart-Abteilung bei Delta 23 Bände mehr oder weniger erfolgreich auf den Markt gebracht. Plattdeutsch und Schwäbisch laufen glänzend, während Schwyzerdütsch, Pfälzisch und Kölsch in den Regalen kleben. Aber die Strategie geht auf, immerhin 1,3 Millionen Exemplare der Asterix-Abenteuer in den verschiedensten deutschen Dialekten konnten schon verkauft werden.

Gegen die weltweit bisher abgesetzten 260 Millionen Asterix-Hefte ist das zwar nicht viel, aber mit der Mundart-Reihe konnte man zumindest dem Faktum entgegentreten, daß keine neuen originären Folgen mehr erscheinen. Mit dem Band XXX "Obelix auf Kreuzfahrt" war 1996 nämlich Schluß. Zwar wurde Obelix in der Folge in einen kleinen Jungen verwandelt, dennoch kam man damit dem Überalterungsproblem der Asterix-Reihe nicht bei.

Nachdem 1961 mit "Asterix der Gallier" das erste Heft erschienen war, ging es bis in die Mitte der siebziger Jahre mit etwa zwei Folgen pro Jahr munter weiter. 1977 starb Texter Goscinny, Zeichner Uderzo machte trotzdem weiter. Die Folgen sind bekannt; die Geschichten wurden immer flacher, Hefte wie "Der Sohn des Asterix" und "Asterix und Maestra" durften erscheinen. Danach gab dann auch noch Gudrun Penndorf M.A., die seit 1968 die Übersetzung der Asterix-Geschichten ins Deutsche besorgt hatte, auf.

Das führte im folgenden Band XXX zu Wortwitzen auf einem bis dahin nicht gekannten Niveau ("Brehn Schtorming", "Dschömenie"). Aber auch Uderzo war zu diesem Zeitpunkt schon an der Senilitätsgrenze angelangt. Noch nie zuvor war Asterix bei der Einnahme des Zaubertranks von einem gelben Schein umgeben gewesen - ein alberner Effekt, der bis dahin den dilettantischen Trickfilmadaptionen vorbehalten war.

Die Berliner Ausgabe führt diese Entwicklung nun konsequent zu ihrem vorläufigen Ende weiter. Asterix stapft prollend durch Neukölln, Obelix haut seinem Kumpel mit der Pranke auf die Schulter, Idefix ist ein getarnter und zu klein geratener Pitbull, der Karnutenwald heißt jetzt Hasenheide, und das große Festbankett zum glücklichen Ende findet in der "Neuen Welt" statt.

Daß uns der Himmel nicht auf den Kopf falle!

Goscinny / Uderzo: Die Platte Jottweedee. Delta, Stuttgart 1998, 48 S., DM 19,80