Chiles Rechte macht mobil

Nach Pinochets Festnahme erhalten sozialistische Abgeordnete Todesdrohungen und simulieren weiter den Übergang zur Demokratie

Beschwichtigende Worte des Staatspräsidenten Eduardo Frei nützten genauso wenig wie der Appell des Erzbischofs von Santiago de Chile. Und auch das Demonstrationsverbot vom Mittwoch vergangener Woche hat kaum etwas bewirkt. Kein Tag vergeht, an dem es nicht zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern von General Augusto Pinochet Ugarte kommt.

Feierten Tausende Studenten die Festnahme Pinochets im Zentrum von Santiago de Chile, klapperten in den Reichenvierteln die Hausfrauen zur Unterstützung des Ex-Diktators auf Kochtöpfen - einst eine Protestform der Armen gegen die Militärdiktatur.

Die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft, die in den letzten acht Jahren mehr schlecht als recht unter dem Mäntelchen des Wandels in Richtung Demokratie verborgen wurde, macht auch nicht vor der Mitte-Links-Regierungskoalition Concertaci-n halt. Während Abgeordnete der Christdemokraten unter Präsident Frei den Haftbefehl der spanischen Richter als Gefährdung des "Übergangsprozesses zur Demokratie" sehen, begrüßen die sozialistischen Koalitionspartner die Maßnahmen gegen den Ex-Diktator. Der Generalsekretär des Partido Socialista, Camilo Escalona, verwarf die Einwände der Christdemokraten gegen das britische Vorgehen mit den Worten, ein Diplomatenpaß sei kein Fleckenmittel, welches die dunklen Punkte der Geschichte auslöschen könne.

Demgegenüber rückten die rechten Parteien enger zusammen. Die gemäßigte Renovaci-n Nacional (RN) schwenkte ganz auf die Linie der von Pinochets Geheimpolizei gegründeten Uni-n Democr‡tica Independiente (UDI) ein. Der RN-Präsidentschaftskandidat Sebasti‡n Pi-era bezeichnete die Festnahme Pinochets als "Attentat auf die Autonomie und Unabhängigkeit des Landes". Pablo Longueira, Präsident der UDI, wertete das Vorgehen der spanischen Richter schlicht als Angriff gegen alle Chilenen. Für ihn besitzt Pinochet Immunität gegen alle strafrechtlichen Verfolgungen - die Immunität eines Ex-Präsidenten der Republik.

Das sieht Präsident Frei zwar nicht so. Aber für ihn sollten "alle Chilenen in Chile abgeurteilt werden". Die Rechtslage macht es der chilenischen Justiz jedoch unmöglich, gegen den greisen Putschisten von 1973 vorzugehen. Der genießt zum einen als Senator auf Lebenszeit Immunität und ist außerdem durch das Amnestiegesetz geschützt.

In die berechtigte Freude, daß es dem alten Diktator nun doch noch an den Kragen gehen könnte, mischt sich bei den Sozialisten mittlerweile Angst. Viele sozialistische Abgeordnete haben in jüngster Zeit Morddrohungen erhalten. Ricardo Nœ-ez, Präsident der Sozialistischen Partei, meinte in der Tageszeitung El Mercurio gar, der Andenstaat erlebe den "schlimmsten Moment seit dem Beginn des Übergangs zur Demokratie". Er sei überrascht, mit welcher Aggressivität die Rechten ihre Unterstützung für Pinochet auf die Straße trügen.

Einen politischen Konflikt zwischen den Rechten und den Linken möchte Nœ-ez verhindern, um den "Wandel zur Demokratie" nicht zu gefährden. Doch das wird ihm die Rechte nicht leicht machen. Sie kontert die Festnahme Pinochets mit einer nationalistischen Kampagne. Boykottaufrufe gegen spanische wie britische Produkte kursieren, und in den Botschaften der betroffenen Länder herrscht Alarmstufe Rot. Im Laufe der vergangenen Woche kam es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten, die Anstalten machten, die Botschaften zu stürmen.

Die wachsende Gewaltbereitschaft im rechten Lager hat den Erzbischof von Santiago de Chile zu einem Appell an die Bevölkerung veranlaßt, alles Erdenkliche zu tun, um die "offene Wunde im Lande" zu schließen. Dazu müsse, wie er sagte, auch die Armee beitragen. Doch die steht fest hinter ihrem Ex-Chef Pinochet.

Dem christlichen Aufruf schloß sich auch der Christdemokrat Frei an, der in einer Ansprache vor dem Kongreß am Mittwoch, die vom Fernsehen übertragen wurde, die Armee aufforderte, alle noch zurückgehaltenen Informationen über die Verschwundenen freizugeben. Zudem solle die rechte Opposition Verfassungsreformen nicht weiter blockieren und die Wege zur Demokratisierung Chiles endlich freigeben.

Dabei geht es um die Hürden, die von Pinochet in der Verfassung festgeschrieben wurden und die der Rechten beträchtlichen Einfluß sichern. Vier von den insgesamt 48 Senatoren werden beispielsweise direkt vom Nationalen Sicherheitsrat der Armee ernannt, weitere drei vom Obersten Gerichtshof, der traditionell Pinochet nahen Vertretern ins Senatorenamt verhilft. Die Reform des politischen Systems ist damit de facto blockiert.

Seit der Verhaftung ihres Idols bleiben die rechten Abgeordneten überdies dem Parlament fern. Der Boykott von Kongreß und Senat soll bis zur Freilassung Pinochets durchgehalten werden, womit die Verabschiedung des Haushaltes sabotiert werden soll. Das weiß auch Frei, der eine politische Krise befürchtet. Mit dem Verweis, daß die Quittung für die Verweigerungshaltung bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 schon kommen würde, konnte er bisher nicht landen: Die Stimmung auf den Straßen spricht für die Rechten.

"Eine paralysierende Angst geht um", sagt der Jurist André Dom'nguez, ehemaliger Präsident der chilenischen Menschenrechtskommission. Dies, obwohl sich die Armee bisher ruhig verhalten hat und es, so Verteidigungsminister Florencio Guzm‡n, keine Anzeichen dafür gibt, daß sich daran etwas ändern könnte.

Unbegründet ist die Angst dennoch nicht. Das Kesseltreiben gegen die Linken und deren aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten Ricardo Lagos hat begonnen. Der nationale Taumel der Rechten zeigt Wirkung. Lagos, der bereits eine Morddrohung erhielt, befindet sich in der Defensive, und versucht mit moderaten Tönen, die Rechte "milde" zu stimmen.