Erinnerung an die Zukunft

Europas "Neue Rechte" versucht sich am Wochenende in der Sababurg im Links-Rechts-Crossover

"Der Mensch befindet sich heute, sofern er ein aktiver, lebendiger Mensch ist, rechts oder links. (...) Der Weg der Zukunft führt dahin, diesen Menschen rechts mit dem Menschen links zusammenzuführen und umgekehrt." Dieses Zitat von Hans Zehrer, einem der Protagonisten des konservativ-revolutionären "Tat"-Kreises der Weimarer Republik - nach dem Kriege Chefredakteur von Springers Welt -, ist wieder zum Motto für die Rechte geworden. Zehrer hatte einen "Sozialismus von rechts" gefordert. Die Nation konnte für ihn nur unter Einbindung der Arbeiterklasse vollständig sein.

Heute erinnern sich junge Rechte, die sich als konservativ-revolutionär verstehen, wieder Zehrers. Mit obigem Zitat werben sie für ein Seminar mit dem Titel: "Rechts, links: Ende einer Dichotomie?", das am kommenden Wochenende stattfindet. Veranstalter des Theorietreffens sind die "Europäischen Synergien", ein europaweiter "neurechter" Dachverband, und die traditionsreiche nationalrevolutionäre Deutsch-Europäische Studiengesellschaft (DESG). Diese arbeitet mit ihren Vorläufern bereits seit den sechziger Jahren am Projekt einer Modernisierung der Ideologie der extremen Rechten. Die deutsche Sektion der "Europäischen Synergien", "Synergon", ist inzwischen faktisch mit der DESG verschmolzen. Gemeinsamer Vorsitzender beider Gruppen ist der Hamburger Politologe Marc Lüdders, ehemals Sprecher der dortigen Burschenschaft Germania.

Damals wie heute ist der Ort des Geschehens die Sababurg im Dreieck Göttingen, Hofgeismar, Kassel. Der Unterschied zu den Zeiten während und nach der 68er Revolte: Die einst jungen Aktivisten sind alt geworden, und aus einer rein deutschen Angelegenheit ist eine internationale Veranstaltung geworden. International, genauer: europäisch, ist der Anspruch dieser Neuen Rechten im Unterschied zum biederen völkischen Nationalismus der Republikaner. Sie stellen sich die Frage: Wie will man dem Hauptfeind, den USA, effektiv Widerstand entgegensetzen, wenn die europäischen Mittelmächte gespalten sind? Ein europäisches Reich, am besten von Dublin bis Wladiwostock - das ist das Ziel.

Unabdingbare Voraussetzung einer solchen geopolitischen Stärke ist demnach die Überwindung der inneren Zerrissenheit der Nationen. Das im Veranstaltungstitel rhetorisch mit einem Fragezeichen versehene Ende der Links-Rechts-Dichotomie wird so zu einem unverzichtbaren Imperativ.

Und natürlich kann man sich als Bewegung mit intellektuellem Anspruch nicht darauf verlassen, daß prominente Alt-68er - wie unlängst der Berliner Professor Bernd Rabehl - bei Veranstaltungen wie der in der Sababurg stattfindenden burschenschaftlichen Freien Deutschen Sommerakademie zur Verfügung stehen. Nein, der metapolitische Anspruch beinhaltet, daß man selbst die Themen vorgibt und die theoretische Hegemonie herausbildet, die der politischen vorausgehen muß. "Archäo-Futurismus" heißt dazu das neue Schlagwort in diesen Kreisen, welches das Leitbild für die neue Etappe "Post-Nouvelle Dro"te" werden soll.

Geprägt wurde der Begriff von einem wiederauferstandenen Rechtstheoretiker, dem Franzosen Guillaume Faye, der Mitte der achtziger Jahre aus der neurechten Szene abgetaucht war, um als Moderator bei Rocksendungen im Radio und als Pornoproduzent zu arbeiten. Er will nun das Denken der Postmoderne in den Ideologiekorpus der Neuen Rechten einbringen. Deleuze, Lacan oder Foucault sollen wie einst Gramcsi nutzbar gemacht werden.

Naturgemäß eher konventionell geht es bei den folgenden Vorträgen am Samstag zu. Schließlich sind die Referenten Deutsche. Noch immer sind die denkfähigen unter den "Intellektuellen" der deutschen extremen Rechten an einer Hand abzuzählen. Den Ruf als dämlichste Rechte Europas wird man einfach nicht los. Da wird sich Nachwuchskader Claus-M. Wolfschlag (Offenbach) mit seinem Vortrag "Von '68 zu '89" ebenso vergeblich abmühen wie das nationalrevolutionäre Urgestein Lothar Penz (Hamburg) mit seinen Ausführungen über "Die 68er (sog.) Neue Rechte - Idee und Gestalt".

Wohl deshalb betritt man am Sonntag wieder internationalen Boden. Über "Rechten Rausch" läßt sich der Kroate Tomislav Sunic aus. Sunic, ein ehemaliger Professor für Politikwissenschaft in den USA, ist inzwischen Gesandschaftsrat an der kroatischen Botschaft bei der EU in Brüssel. Mit "Rausch" meint der Akademiker die Euphorie in der Folge des Zusammenbruchs des realsozialistischen Lagers nach 1989. Laurant Schang, ein Student aus Metz, der normalerweise seinen europäischen Freunden den faschistischen Flügel der Darkwave-Szene nahezubringen versucht, begibt sich anschließend weiter in die Vergangenheit. Sein Thema sind zwei französische Nationalbolschewisten, die in den dreißiger Jahren am Crossover arbeiteten: der Politologe Bertrand de Jouvenel und der antibürgerliche Schriftsteller Pierre Drieu La Rochelle.

Wenn zum Schluß Günther Wolf "Neue Fronten - Jenseits der Rechts-Links-Klischees und des westlichen Denkens" aufzeigen will, so kann ihm eigentlich nur mit einem weiteren Franzosen der Zwischenkriegszeit geantwortet werden. Der Philosoph Alain schrieb 1925: "Wenn ich gefragt werde, ob die Spaltung zwischen Parteien der Rechten und Parteien der Linken, zwischen links und rechts noch irgendeine Bedeutung hat, so ist der erste Gedanke, der mir einkommt, der, daß, wer immer diese Frage stellt, sicherlich kein Linker ist." Manchmal sind eben auch alte Antworten ausreichend für die Crossover-Versuche einer angeblich neuen Rechten.