Pinochet in Übersee

Der Terror des chilenischen Gentleman beschränkte sich nicht auf Chile

Einiges ist bekannt, aber viele Geheimakten um Pinochet lagern noch in verborgenen Archiven. Am 4. September 1970 errang Salvador Allende die relative Mehrheit bei den Präsidentschaftswahlen. Keine zwei Wochen später gab US-Präsident Richard Nixon der CIA Anweisung, die Amtseinsetzung zu verhindern. Sein Sicherheitsberater Henry Kissinger, der spätere Friedensnobelpreisträger, erzählte, daß Nixon den damaligen CIA-Direktor Richard Helms beauftragte, die chilenische Wirtschaft zu "quetschen, bis sie schreit", und Helms sagte 1975: "Wenn ich jemals den Marschallstab aus dem Oval Office hinaustrug, dann an diesem Tag."

Die verdeckten Operationen der CIA in Chile konnten ihr Ziel, die Amtseinsetzung Allendes zu verhindern, zwar nicht erreichen - trotz Bestechung von Abgeordneten, einer Schmierenkampagne in den chilenischen Medien und vielem anderen mehr. Und trotz der Schützenhilfe aus der deutschen CDU, die mehrere "hochrangige Vertreter", deren Namen noch immer geheimgehalten werden, zwecks Beeinflussung der chilenischen Christdemokraten nach Chile sandten.

Aber einige Hindernisse auf dem Weg zu dem späteren Putsch ließen sich beseitigen: Beispielsweise der einem Staatsstreich abgeneigte Generalstabschef René Schneider, der von der rechten chilenischen Terrortruppe Patria y Libertad umgebracht wurde, nachdem die CIA ihr mit 50 000 Dollar unter die Arme gegriffen hatte. Die Wirtschaft wurde programmgemäß destabilisiert. Im Sommer 1973 wurde General Carlos Prats als Oberkommandierender des Militärs zum Rücktritt gezwungen. Und damit war in der chilenischen Armee der Weg frei für die Pinochet-Putschisten.

Es begann der Terror unter der Diktatur. Konzentrationslager wurden eingerichtet, die Folter institutionalisiert. Etwa 3 000 Fälle von Ermordeten und "Verschwundenen" sind dokumentiert; nicht nur chilenische Oppositionelle, auch Bürger anderer Staaten befanden sich unter den Opfern der innerchilenischen Repression.

Es begann aber auch eine internationale geheimdienstliche Zusammenarbeit verschiedener lateinamerikanischer Staaten zur Beseitigung unliebsamer Gegner der jeweiligen Regimes. Sie firmierte unter dem Namen Operaci-n C-ndor.

Zweck der Operaci-n C-ndor war es, "marxistische terroristische Aktivitäten in der Region zu eliminieren", hieß es in in einem Kabel des FBI-Agenten Robert Scherrer aus Buenos Aires vom 28. September 1976; Chile sei das Zentrum der Operaci-n C-ndor, es existierten "special teams", die "überall in der Welt" herumreisten, "um Sanktionen bis hin zur Ermordung gegen Terroristen oder Unterstützer terroristischer Organisationen durchzuführen". Neben Chile waren die damaligen Diktaturen in Argentinien, Bolivien, Paraguay und Uruguay Mitglieder. Und es existieren Hinweise, daß die CIA an der Koordination nicht unbeteiligt war.

Hier sollen lediglich die bekanntesten Fälle von Attentaten auf Pinochet-Gegner interessieren. Am 30. September 1974 wurden Carlos Prats, der ehemalige Oberkommandierende der Armee unter Allende, und seine Frau in Buenos Aires mit einer Autobombe in die Luft gejagt. Am 6. Oktober 1975 wurde der chilenische Christdemokrat Bernardo Leighton und seine Frau in Rom niedergeschossen. Und am 21. September 1976 wurden Orlando Letelier, der unter Allende verschiedene Ministerposten innegehabt hatte, und Ronni Moffitt, wie Letelier am Institute for Policy Studies beschäftigt, mit einer an ihrem Auto befestigten Bombe ermordet.

In alle drei Attentate war ein Mann verwickelt, an dessen Vernehmung die spanischen Richter Garz-n und Castell-n höchstes Interesse haben: Michael Townley Vernon, der sich 1970 der chilenischen Terrortruppe Patria y Libertad angeschlossen hatte und nach dem Putsch von 1973 Mitarbeiter in der Geheimpolizei Pinochets, der Dina, wurde.

Die Ermordung Leteliers in Washington führte zu einem Karriereknick bei Townley. Er wurde 1978 von Pinochet als Bauernopfer an die US-Behörden ausgeliefert. Aber die Sache hatte einen Haken: Bei der Auslieferung, so schreibt Andreas von Bülow in seinem Buch "Im Namen des Staates", wurde vereinbart, ausschließlich die Letelier-Ermordung zum Gegenstand des Verfahrens zu machen; die Strafe müsse zudem zwischen drei und zehn Jahren Haft liegen. Es sei ausdrücklich untersagt worden, Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden aus anderen Ländern über Hintergründe des Falles Mitteilung zu machen oder Akteneinsicht zu gewähren. Nachdem Townley gut fünf Jahre lang in US-Gefängnissen gesessen hatte, wurde er in ein US-Zeugenschutzprogramm entlassen.

Die Attentate auf Prats, Leighton und Letelier folgten einem ähnlichen Muster. In Argentinien rekrutierte Townley Mitglieder einer rechtsextremen, mit der argentinischen Geheimpolizei verbandelten Gruppe, die die Bombe unter Prats Wagen plazierte.

Der Anschlag auf Leighton in Rom 1975 folgte einer Tour Townleys durch Europa, bei der er sich mit faschistischen Gruppen in verschiedenen Ländern traf. Er wurde von seiner Frau, die ebenfalls für die Dina arbeitete, und Vigilio Paz, einem exil-kubanischen Pistolero, begleitet. Einer seiner Kontakte in Italien war Stefano Delle Chiaie, Chef der nazistischen Avanguardia Nazionale (AN) und in die Staatsmassaker in Italien seit der Bombe auf der Piazza Fontana im heißen Herbst 1969 verstrickt. Der versprach, sich um Leighton zu kümmern, und ein Mitglied der AN soll die Schüsse auf Leighton und seine Frau abgegeben haben.

Einen Monat nach dem Attentatsversuch auf Leighton nahm Pinochet an dem Begräbnis des spanischen Diktators Franco teil. Der spanische Richter Castell-n soll Beweise haben, daß Pinochet sich in Spanien mit Delle Chiaie getroffen hat. Delle Chiaie wiederum hatte beste Kontakte zur Abteilung für vertrauliche Angelegenheiten im italienischen Innenministerium, namentlich zu deren ehemaligen Chef Umberto D'Amato, der ihn nach italienischen Quellen "kontrolliert" haben soll. Man kann nun verstehen, daß die Verhaftung Pinochets in den Kreisen, die in Europa auf die eine oder andere Weise mit dem Staatsterrorismus verbunden sind, wenig Begeisterung auslöst.

Am besten dokumentiert ist der Anschlag auf Orlando Letelier. Zur Vorbereitung des Attentats reiste Townley Mitte September 1976 mit einem falschen US-Paß via New York nach Washington. In den USA rekrutierte er einige Mitglieder der ultrarechten exilkubanischen Anti-Castro-Truppe Cuban Nationalist Movement, die ihm bei Bau und Detonation einer Bombe behilflich sein sollten. Einen Monat später ermordete er Letelier und Moffitt. Während das FBI schon eine Woche darauf auf eine mögliche Verbindung des Anschlags zur Operaci-n C-ndor hinwies, versorgte die CIA das FBI mit falschen Verdächtigen - gemäß der CIA-Linie, die Linke habe Letelier umgebracht, um einen Märtyrer zu schaffen.

Die Verantwortlichen für das Letelier-Attentat saßen in der Spitze der Dina. In den USA wurde auf der Grundlage der Townley-Aussagen gegen drei chilenische Dina-Offiziere ein Verfahren eröffnet. Am 4. Februar 1987 eröffnete einer der drei, Armando Hern‡ndez, in einem Washingtoner Gerichtssaal, er habe Leteliers Adresse und seinen Arbeitsplatz in den USA vor dem Anschlag ausspioniert. Zugleich belastete er den ehemaligen Dina-Chef Manuel Contreras und den Dina-Brigadier Pedro Espinoza als führende Köpfe des Attentates.

Erst 1993 wurden Contreras und Espinoza für die Planung des Letelier-Anschlags verurteilt: zu sieben bzw. sechs Jahren Haft. Auf Wunsch Pinochets wurde ein luxuriöses Spezialgefängnis gebaut, und es dauerte bis zum 21. Oktober 1995, daß Contreras im Punto Peuco-Gefängnis landete.

Noch im September dieses Jahres hatte Pinochet im chilenischen Fernsehen erklärt, er könne es sich nicht vorstellen, daß Contreras ins Gefängnis ginge. Sein Widerstand kam nicht von ungefähr. Am 23. Dezember 1997 erklärte Contreras, er sei Pinochets Befehlen gefolgt. Zwei FBI-Agenten, Robert Scherrer und Carter Cornick, erklärten öffentlich, was schon alle ahnten: daß es "undenkbar sei, daß die Ermordung Leteliers ohne die ausdrückliche Autorisierung durch den chilenischen Oberkommandierenden stattgefunden haben könnte" - ein weiterer Fingerzeig auf Pinochet.

Aber in den USA werden Ermittlungen gegen Pinochet noch immer abgeblockt. Die verschiedensten Dokumente werden weiterhin unter Verschluß gehalten, trotz Anfragen der spanischen Richter. Die US-Regierung hat erklärt, sie werde "in dem gesetzlich erlaubten Umfang" kooperieren. Der scheint nicht allzu groß zu sein. Mittlerweile haben 36 Abgeordnete des US-Kongresses die Offenlegung der unter Verschluß gehaltenen Unterlagen gefordert. Aber hinter den Kulissen, so schreibt der britische Guardian, macht die Clinton-Administration Druck für eine Freilassung Pinochets.