Rezepte für den Wechsel

Die linken Grünen müssen der Stachel im Fleisch ihrer Partei bleiben.

Was ist bloß aus den Grünen geworden? Von der "Anti-Parteien-Partei" einer Petra Kelly zum kleinen Koalitionspartner eines Bundeskanzlers Gerhard Schröder - und das in gerade mal 18 Jahren. Verrat! tönt es von links. Rot-Grün sei nur die Fortsetzung der Kohl-Politik mit anderen Mitteln; Bündnis 90/Die Grünen gehörten abgeschrieben und könnten keinen Bezugspunkt mehr für Linke darstellen.

Wahr ist: Die grüne Partei hat sich über Jahre hinweg kontinuierlich "regierungsfähig" gemacht. In den

letzten Monaten hat sich dieser Prozeß stark beschleunigt. Programmatische Positionen wurden noch im Schlußspurt glatt gebügelt. Die Angst, kurz vor der Zielgeraden zu scheitern, bestimmte nach der schlechten Performance des Magdeburger Parteitages das grüne Handeln. Dieser Prozeß wird in der Regierung noch weitergehen. Der nächste Schritt wird die geplante Strukturreform der Partei sein.

Wahr ist auch: Die Grünen waren nie eine linke Partei. Sie waren immer eine Gemengelage verschiedener Strömungen und Orientierungen. Gerade das machte und macht ihre Attraktivität aus. Linke gehörten von Beginn an dazu - aber sie mußten immer auch für ihre Positionen streiten. Das ist noch immer so. Die Notwendigkeit, immer wieder mit konträren Auffassungen konfrontiert zu sein, hat aber auch die Möglichkeit für notwendige Lernerfahrungen eröffnet. So unterscheidet grüne Linke von Traditions-linken, daß sie die Ökologiefrage sowie Frauen- und Minderheitenrechte nicht einfach als Nebenwidersprüche begreifen. Und eine Diskussion, wie sie das Neue Deutschland unter der Fragestellung führt: "Wie national muß die Linke sein", gibt es bei ihnen nicht.

Gerade in der Auseinandersetzung um den Erhalt emanzipatorischer Essentials der Grünen zeigt sich, daß die Partei immer noch ein Projekt für Linke ist. Ein Beispiel: Der Kampf um die Mindestquotierung. Zu Recht ist es nicht kritiklos geblieben, daß bei der Besetzung der drei MinisterInnenposten jenseits der grünen Satzung dieses wichtige Prinzip punktuell ausgehebelt wurde. Doch in anderen Parteien gibt es dieses statuarische Prinzip erst gar nicht. Wie sieht die Quotierung in der SPD aus? Da gibt es einen Partei- und einen Fraktionsvorsitzenden, einen Bundesgeschäftsführer - und nun auch noch einen Bundeskanzler. Und wie ist das bei der PDS? Genauso, nur ohne Bundeskanzler.

Es ist richtig: Es gibt so etwas wie einen schleichenden Rechtsruck. Hat die geplante Parteireform noch den Anspruch, basisdemokratisch zu sein? Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, hat diesen Anspruch meines Erachtens nicht mehr. Hat die Partei noch den Anspruch, pazifistisch zu sein? Ich habe schwere Zweifel. Hat sie den Anspruch, feministisch zu sein? Daß es da Probleme gibt, erlebten wir in der Regierungsbildung.

Trotzdem hat Bündnis 90/Die Grünen auch für Linke noch immer eine wichtige Funktion: Die Partei ist weiterhin druckempfindlich gegenüber sozialen Bewegungen und daher auch punktuell für sie nutzbar. Ich glaube, daß es wichtig ist, in Parteien Brükkenköpfe für außerparlamentarische Aktionen zu haben. Warum sollte man sich die Möglichkeit nehmen, gegen einen Nazi-Aufmarsch nicht nur auf der Straße zu protestieren, sondern auch im Parlament mit entsprechend größerer Öffentlichkeit? Wenn Castor-Transporte rollen, ist es doch sinnvoll, den außerparlamentarischen Widerstand dagegen parlamentarisch zu flankieren.

Wenn ein Umweltminister Trittin Castor-Transporte durchs Land schickt, ist es durchaus hilfreich, wenn der eine oder die andere auch in der Partei für Druck sorgt. Denn dieser Druck ist für Trittin relevanter als der von außen. Ob das dann von Erfolg gekrönt ist, steht auf einem anderen Blatt.

Die entscheidende Frage ist: Erweitert die Arbeit von Bündnis 90/Die Grünen den Handlungsspielraum für linke Politik oder engt sie ihn ein? Der Koalitionsvertrag spiegelt leider die Größenordnung der Partner recht exakt wieder. In der Konsequenz bedeutet das ein fürchterliches Krötenschlukken. Ja, es ist eine Katastrophe, daß es uns nicht gelungen ist, einschneidende Verbesserungen des bestehenden Asyl(un)rechts durchzusetzen. Ein anderer Punkt ist die sogenannte Innere Sicherheit. Volker Beck hat zu Recht festgestellt: Was hier bei der SPD hervorschimmerte, war nicht die "Neue Mitte", sondern die alte Rechte.

Vielfach konnten wir einfach nur Verschlechterungen verhindern. Natürlich hätten wir uns auch klarere Vereinbarungen über den Atomausstieg gewünscht. Trotzdem: Der Einstieg in den Ausstieg wird nun mit Rot-Grün vollzogen. Und dann gibt es einen Punkt, für den alleine es sich schon lohnt, das Experiment zu wagen: Wir haben eine grundlegende Änderung des völkischen deutschen Staatsbürgerschaftsrechts durchgesetzt. Wer die Dimension dieser Veränderung begreifen will, braucht sich nur mal das braune Gekläffe aus CDU/CSU-Kreisen anhören.

Für viele der unter Dreißigjährigen bedeutete Demokratie bisher, daß man alle vier Jahre irgendwo sein Kreuz macht, und nachher ist alles wie zuvor. Nun ist Kaiser Kohl gestürzt und 16 versteinerte CDU/CSU/FDP-Jahre sind vorbei - das ist schon ein neues Gefühl von Demokratie. Rot-Grün sorgt unabhängig von den real getroffenen Vereinbarungen für einen gesellschaftlichen Klimawechsel. Das vergrößert die Spielräume für linke und emanzipatorische Politik. Jetzt kommt es darauf an, sie zu nutzen.

Der Autor ist Abgeordneter von Bündnis 90/ Die Grünen im neuen Bundestag