Heimatstuben bleiben geöffnet

Rot-grüne Bundesregierung und die "Vertriebenenverbände". Einige Anmerkungen zu einem ungeklärten Verhältnis

Polen und Tschechien dürfen sich freuen: "Diese Bundesregierung wird die Gespräche nicht mit der Vergangenheit belasten." So Bundesaußenminister Joseph Fischer kurz vor seinem Amtsantrittsbesuch in Polen. Der Bündnisgrüne sieht zwei Leitlinien deutscher Außenpolitik: zum einen das "strategische Potential des Landes und seine geopolitische Lage" als "objektive Faktoren", zum anderen - als "subjektiver Faktor" - die "Macht der kollektiven Erinnerung", die Einfluß nehmen könne auf deutsche Außenpolitik. Deshalb gelte: "Die Rückkehr zu einer direkten Interessenpolitik wird vom Ergebnis her eher Mißerfolge mit sich bringen." Deutschland habe aber viel Geschick in der Entwicklung einer Politik der "indirekten Interessendurchsetzung durch und mittels Europa" bewiesen.

Ob die rot-grüne Bundesregierung sich zur Realisierung dieses Konzepts im gleichen Umfang wie ihre Vorgängerin der "Vertriebenen" und der "deutschen Minderheiten" bedienen wird, ist noch unklar. Der für Kultur zuständige Staatsminister im Kanzleramt, Michael Naumann (SPD), dem offenbar die Betreuung der Vertriebenen überantwortet werden soll, fiel jedenfalls bei den Deutschtumsverbänden bereits in Ungnade. Die Aussage, daß die "Rußlanddeutschen" nach "350 Jahren russischer Existenz" Russen seien, wird ihm übel genommen. Wie auch der Verweis darauf, daß die für die "Deutschen in Rußland" zur Verfügung stehenden Mittel "sinnlos ausgegebenes Geld" seien. Erfreut zeigte sich hingegen der Bund der Vertriebenen (BdV) über die Wiederwahl der sozialdemokratischen Abgeordneten Fritz Rudolf Körper und Bernd Reuter in den Bundestag.

Körper, bisher innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sei bekannt für sein Engagement "in Vertriebenenfragen", Reuter für seines "in Aussiedlerfragen", lobte das BdV-Organ Deutscher Ostdienst nach der Wahl. Der Theologe Körper wird im neuen Bundesinnenministerium unter Otto Schily (SPD) zum Parlamentarischen Staatssekretär aufsteigen. Auch unter CDU-Innenminister Manfred Kanther waren die Vertriebenen-Lobbyisten als Staatssekretäre angestellt.

Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien bleibt undeutlich in bezug auf "Vertriebene" und "deutsche Minderheiten". Es ist allerdings die Rede davon, daß die neue Bundesregierung die "Grundlinien bisheriger deutscher Außenpolitik weiterentwickeln" werde.

Kontakte zwischen "Vertriebenen" und den Vertretern der neuen Bundesregierung gibt es schon lange. Ende 1997 fand ein Treffen zwischen SPD-Spitzenpolitikern und Repräsentanten des Bundes der Vertriebenen statt. Als im April 1998 dann der damalige SPD-Bundesgeschäftsführer und heutige Raumordnungs-, Bau- und Verkehrsminister Franz Müntefering die BdV-Bundesgeschäftsstelle besuchte, wurde dem Verband zugesichert, daß dieser "auch künftig eine wichtige Funktion als Brücke im Prozeß der Verständigung mit den osteuropäischen Nachbarn" einnehmen werde.

Auch kurz vor der Wahl wollte die SPD die "Vertriebenen" nicht verschrekken. Auf die Frage des Ostpreußenblattes, welche "Zukunftsperspektiven" die Sozialdemokratie für das "nördliche Ostpreußen" sehe, antwortete die Parteiführung Anfang September: "Europa wird zusammenwachsen. Die Grenzen zwischen den Staaten und Völkern werden auf lange Sicht immer mehr an Bedeutung verlieren. Mit der europäischen Integration verbunden ist die Angleichung der Lebensverhältnisse auf dem ganzen Kontinent. Insofern hat das nördliche Ostpreußen gute Zukunftsaussichten."

Die SPD erklärte darüber hinaus, daß "deutsche Minderheiten" auch "weiterhin im Rahmen der Kulturförderung nach Paragraph 96 Bundesvertriebenengesetz unterstützt" werden. Dieser Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) regelt jedoch die finanzielle Förderung der "Vertriebenen", nicht die der "deutschen Minderheiten".

Hierfür ist eigentlich unter anderem das Auswärtige Amt zuständig. Außenminister Fischer sicherte in seiner Antrittsrede zu, daß die "Auswärtige Kulturpolitik" weiterhin elementarer Bestandteil seines Ministeriums bleiben werde. Der derzeitige Etat für "Auswärtige Kulturpolitik" beläuft sich auf 1,2 Milliarden Mark. Die Aussage der SPD zum Paragraphen 96 BVFG beinhaltet desweiteren den Verweis, daß man nicht gedenkt, den Förderungsparagraphen abzuschaffen. Somit werden Museen, "Heimatstuben" und Kultureinrichtungen der "Vertriebenen" auch weiterhin finanziell gesponsert. Sie machen einen zentralen Teil der Verbandsstruktur aus. Der völkische Kern und seine organisatorische Basis bleiben also ungefährdet.