Verkehrsberuhigung auf bayerischem Sonderweg

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet gegen Bayerns Sondergesetz zum Schwangerschaftsabbruch. Gründe für ihre Entscheidung müssen bayerische Frauen aber auch weiterhin angeben

Die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Nord und Süd schreitet weiter voran: Auch bayerische Frauen sollen künftig in den Genuß bundeseinheitlicher Gesetze kommen. Mit seiner in der vergangenen Woche gefällten Entscheidung, den größten Teil der bayerischen Sondergesetze zum Paragraphen 218 für "mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig" zu erklären, hat das Bundesverfassungsgericht damit ein Stück weit Rechtsgleichheit geschaffen. Erste konkrete Folge des Karlsruher RichterInnnenspruchs: Das bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz wird es bald nicht mehr geben.

Als Reaktion auf die 1992 bundesweit erfolgte Liberalisierung des Paragraphen 218 hatten Bayerns Landesväter das Sondergesetz geschaffen. Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden wollten, wurden seither zusätzliche Steine in den Weg gelegt. Die mit dem Schwangerenhilfeergänzungsgesetz einhergehende Repression von ÄrztInnen, die sich auf Abbrüche spezialisiert haben, erschwerte Frauen den Gang in die Praxis zusätzlich.

Doch nicht der Inhalt der bayerischen Gesetze, sondern die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern standen im Mittelpunkt der Verfassungsklage zweier bayerischer Ärzte. Die Klage ging zugunsten der Mediziner aus: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil dem Land Bayern die Berechtigung, Sondergesetze zu erlassen, abgesprochen: "Das Grundgesetz weist den Ländern nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundes 'nachzubessern'", urteilten die RichterInnen in Karlsruhe. Auch die Argumentation der bayerischen Regierung, nur "Lücken" im Bundesgesetz aufgefüllt zu haben, ließ das Gericht nicht gelten: Ein Bundesgesetz könne auch absichtlich auf Regelungen verzichten. In diesem Fall dürfe ein Landesgesetzgeber dem nicht mit zusätzlichen Regelungen widersprechen.

Nicht zur Debatte stand die bayerische Zusatz-Vorschrift zur Pflichtberatung - dagegen war keine Klage erhoben worden. Nur in Bayern sind Frauen demnach weiterhin gezwungen, in einer Zwangsberatung ihre Gründe für den Abbruch zu nennen.

Die Karlsruher RichterInnen bestätigten mit ihrem Urteil jedoch, daß zentrale Punkte des bayerischen Gesetzes gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit von ÄrztInnen verstoßen. Darunter fällt auch die Regelung, wonach die Einnahmen aus Schwangerschaftsabbrüchen auf 25 Prozent begrenzt bleiben müßten. Der Versuch der Stoiber-Regierung, mit dieser Klausel Praxen, die sich auf Abbrüche spezialisieren wollen, zu verhindern, ist damit vorerst gescheitert. Bislang gab es davon ohnehin nur zwei im Freistaat: Ihre Betreiber Friedrich Stapf aus München und Andreas Freudemann aus Nürnberg waren die Hauptbeschwerdeführer der Verfassungsklagen. Drei weitere Ärzte, die zwar nicht spezialisiert sind, aber ebenfalls mehr

als 25 Prozent ihres Einkommens aus Schwangerschaftsabbrüchen erzielen, schlossen sich der Klage an.

Die bayerische Staatsregierung hatte bei der 25-Prozent-Regelung auf Abschreckung gesetzt: Drohungen mit Praxisdurchsuchungen und weiteren Sanktionen, falls die Quote nicht eingehalten würde, sorgten dafür, daß immer weniger sich bereiterklärten, Abbrüche vorzunehmen. "Durch dieses Gerichtsurteil wird es der bayerischen Staatsregierung nicht mehr möglich sein, zu verhindern, daß auch in Bayern eine ausreichende Zahl von qualifizierten Ärztinnen und Ärzten für Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung steht", erklärte die Familienministerin Christine Bergmann (SPD) dazu.

Unzulässig ist nach Meinung des Verfassungsgerichtes auch die Bestimmung, nach welcher Ärztinnen und Ärzte den Abbruch verweigern müssen, wenn die Schwangere nicht zuvor ihre Gründe für den Abbruch darlegt. In diesen Punkten habe das Land Bayern keine Gesetzgebungskompetenz, so das Gericht.

"Die CSU und ihre Staatsregierung sind von den höchsten Richtern eindeutig und unmißverständlich zurückgepfiffen worden", freute sich SPD-Landeschefin Renate Schmidt: "Das Verfassungsgericht hat festgestellt, daß der bayerische Sonderweg den Schutz des ungeborenen Lebens gefährdet, die notwendige Kooperationsbereitschaft der Frauen in Frage gestellt und für Frauen und Ärzte Rechtsunsicherheit geschaffen hat." Die Sondergesetze hatten der Intention des Bundesgesetzes widersprochen, beim "Schutz der Leibesfrucht" weniger auf Repression als auf das "Zusammenwirken mit der Frau unter Einbindung anderer Berufsgruppen, nämlich derÄrzte und der Beratungsstellen" zu bauen, wie in der Urteilsbegründung hervorgehoben wird.

Sozialministerin Barbara Stamm ist da anderer Ansicht: Das Urteil entspreche einem "Werteverlust unserer Gesellschaft" und einem "Rückschlag für den Schutz des ungeborenen Lebens", kommentierte Stamm, die - terminologisch auf einer Linie mit rechtskonservativen Lebensschützerinnen - nur von "ungeborenen Kindern" statt befruchteten Eizellen oder Föten spricht.

Zufrieden mit dem Urteil können vor allem die Beschwerdeführer Stapf und Freudemann sein, denn der Fortbestand ihrer Praxen ist vorerst gesichert: "Wir hoffen, daß auch die Verantwortlichen in Bayern jetzt begreifen, daß ein humaner Umgang mit unfreiwillig schwangeren Frauen das Beste ist", erklärte Freudemann nach der Urteilsverkündung. Wie zugeschnitten auf die Situation von Stapf ist die Forderung des Verfassungsgerichtes nach einer "Übergangsregelung zugunsten von Ärzten mit langjähriger einschlägiger Erfahrung". Denn das Gericht hatte grundsätzlich zugestimmt, daß nur noch GynäkologInnen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen dürfen. Für die Praxis des Chirurgen Stapf hätte dies das Aus bedeutet, obwohl er langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet vorweisen kann.

Endgültige Rechtssicherheit jedoch ist auch mit dem Urteil nicht erreicht: Weder hat der erste Senat entschieden, ob die bayerischen Regelungen inhaltlich unzulässig sind, noch hat er das jetzige Bundesgesetz für verfassungsgemäß erklärt. Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) kündigte bereits an, das Urteil durch einen Gutachter unter die Lupe nehmen zu lassen. Das Verfassungsgericht selbst hat sie geradezu auf diese Möglichkeit gestoßen: Im Urteil findet sich bereits der Verweis auf die Möglichkeit einer Normenkontrollklage, die die Verfassungsmäßigkeit des Bundesgesetzes überprüfen müßte.

Vorerst jedoch muß die bayerische Regierung sich mit dem Mißerfolg abfinden: "Verloren haben die sturen Fundamentalisten in der Bayerischen Staatsregierung", kommentierte die frauenpolitische Grünen-Sprecherin im Landtag, Petra Münzel, das Urteil. Den Konservativen sei es vor allem darum gegangen, sich zu profilieren und politisches Kapital aus der Regelung zu schlagen. Zwar fordern die Grünen in ihrem Programm immer noch die "völlige Abschaffung des frauenfeindlichen Abtreibungsparagraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch" - doch viel Gehör findet diese Forderung im Moment nicht. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist daher zumindest ein kleiner Erfolg - vor allem für die Frauen in Bayern.