Chirac meutert

Zum 80. Mal jährt sich am 11. November das Ende des Ersten Weltkriegs, aber die Ruhe des in Frankreich arbeitsfreien Armistice-Feiertages wird in diesem Jahr von einer geschichtspolitischen Kontroverse zwischen Präsident Jacques Chirac und Premierminister Lionel Jospin gestört.

Am vergangenen Donnerstag sprach sich Jospin im nordostfranzösischen Craonne (Picardie), ehemals Schauplatz des Stellungskriegs in den Schützengräben, für die vollständige Rehabilitierung der 49 "für das Exempel" erschossenen Teilnehmer einer Soldatenmeuterei im Frühjahr 1917 aus, die auf diese Weise "wieder in unser kollektives Gedächtnis aufgenommen werden" sollten. Im April 1917 hatte General Nivelle eine sinnlose Offensive im Stellungskrieg befohlen, welche die Linien der kämpfenden Parteien um keinen Meter verrückte, aber 250 000 Soldaten das Leben kostete. Auf 30 000 bis 40 000 wird die Zahl der Soldaten geschätzt, die daraufhin die Befehle verweigerten oder desertierten. 49 von ihnen wurden erschossen, um "ein Exempel zu statuieren" - ihnen gilt die Rehabilitierung durch Jospin.

Der Vorstoß des Premierministers stiftet aber keine Einigkeit in der politischen Klasse. Aus dem Präsidentenamt hieß es: "In einem Moment, da die Nation der Aufopferung von einer Million französischer Soldaten gedenkt (...), findet das Elysee jede politische Erklärung inopportun, die wie eine Rehabilitierung von Meuterern erscheint." Noch barscher reagierte der stockkonservative Ex-Innenminister Jean-Louis Debré, der darin "Äußerungen, die geeignet sind, in der Zukunft Akte von Meuterei zu rechtfertigen", erblickte. Streit hin oder her - die Rehabilitierung der "Aufrührer" von 1917 kommt spät. Andere Meuterer mußten nicht so lange warten: Die Generäle, die 1961 in Algier einen Rechtsputsch gegen de Gaulle und gegen den französischen Rückzug aus Algerien unternahmen, wurden bereits 1982 nicht nur rehabilitiert, sondern auch in ihre Dienstgrade wiedereingesetzt. Und zwar vom sozialistischen Präsidenten Mitterrand.