Der Prinz wird 20

In Deutschlands erster schwuler Buchhandlung trifft man sich, weil man sich ja sonst kaum sieht

"Das hätt's vor zwanzig Jahren nicht gegeben", flüstert Peter Hedenström und deutet auf eine Polizistin, die im Regal für Lesben-Literatur stöbert. Als er 1978 mit drei Mitstreitern von der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) den ersten schwulen Buchladen Deutschlands eröffnete, war die Schwulenbewegung gerade im Vorschulalter.

Die Szene schlich zum großen Teil noch in blickfeste Lokale mit Klingelknopf, und eine Infrastruktur existierte allenfalls in Ansätzen. Bei der ersten Demo, die 1973 unter dem Motto "Homos raus aus den Löchern!" von der HAW organisiert wurde, mußten sich die - teils maskierten - Teilnehmer neben dem damals beliebten "Geht doch nach drüben!" auch Sprüche wie "Man hat wohl vergessen, euch zu vergasen, schwule Säue!" anhören; die Boulevardpresse mokierte sich über den "Marsch der Lidschatten".

In der kleinen Bewegung umfaßte das Politikverständnis mehr als nur Bürgerrechtsfragen. "Wir hatten natürlich auch eine bestimmte Vorstellung von Befreiung und Revolution", erinnert sich Hedenström. "Bei der Demo hieß es zum Beispiel: 'Homosexuell, ob ja ob nein, Klassenkampf heißt, solidarisch zu sein!'"

Ein paar Aktivisten aus dem Umfeld der Homosexuellen Aktion kamen dann auf die Idee, einen Buchladen, ein Café, ein Kino, den Verlag rosa Winkel und die Berliner Schwulenzeitung (SBZ) in einem Haus unterzubringen. Es blieb bei der Planung, aber der Ausbau des HAW-Büchertisches zur Immobilie klappte. Der Name, den sich die Jungunternehmer für ihren Betrieb an der Bülowstraße ausdachten, war im Rahmen des linken Zeitgeistes einigermaßen kreativ: Er sollte weder "Rosa-Luxemburg-Buchhandlung" noch "Karl-Liebknecht-Buchhandlung" und auch nicht "Karl-Marx-Buchhandlung" heißen, sondern "Magnus-Hirschfeld-Buchhandlung".

Beim Kneipenbesuch am Abend vor der Anmeldung beim Notar hatten sie allerdings die Erkenntnis, daß der Name ebenso fad wie "richtig" ist. Ein Brainstorming führte über Klaus Störtebeker zu Prinz Eisenherz. "Der Name hat einfach mehr Glamour, man denkt an Traumprinz und so", glaubt Veteran Hedenström. "Schließlich gibt es bei uns nicht nur wissenschaftliche Studien, sondern auch Pornos." Zielgruppenspezifische Literatur war anfangs Mangelware. Das Sortiment von tausend Titeln, mit dem "Prinz Eisenherz" eröffnete, bestand zum Teil aus Büchern, in denen auf Seite 18 ein Uranier kurz den Kopf in die Handlung steckte.

An der Auswahl entfacht sich seither immer wieder Streit. Bei dem - auch durch wirtschaftliche Zwänge diktierten - Versuch, sämtliche Spektren zu bedienen, fühlen sich zwangsläufig Vertreter einzelner Gruppen auf den Schlips getreten. In einem Fall hatte das Kollektiv ein Einsehen: Nach wiederholten Protesten von Kunden wurden Bildbände über den Michelangelo des deutschen Faschismus, Arno Breker, aus dem Sortiment entfernt. Ansonsten ist ein freundliches "Das ist dieses Fach und da drüben ist dein Fach" die stereotype Antwort auf Beschwerden.

Natürlich mußte "Prinz Eisenherz" mehr sein als ein Geschäft. In der Anfangszeit waren die Räumlichkeiten auch Treffpunkt und Informationszentrum. Die Berliner Zeitschrift Siegessäule wurde hier gegründet, um eine kontinuierliche Berichterstattung zum Thema Aids jenseits der Sensationsmeldungen zu liefern. "Wir waren die ersten, die Aids wirklich ernst genommen haben", sagt Hedenström nicht ohne Stolz. "Wir haben versucht, alles zu besorgen, was es zu dem Thema an internationaler Literatur gab." Der Spiegel holte sich hier seine ersten Informationen und revanchierte sich mit Artikeln, die unter den Zielobjekten das Gefühl entstehen ließen, daß "der Spiegel am liebsten die SA gegen die Schwulen marschieren lassen würde", wie einer formulierte. Spiegel-Leser wußten mehr - zum Beispiel, daß Schwule tausend (1000) Sexualpartner pro Jahr haben, mit denen sie im Drogenrausch blutigen Praktiken frönen. Dem Redakteur wurde das einzige Hausverbot in der Geschichte des Ladens ausgesprochen.

Die Vielzahl von Fragen der Besucher und Anrufer nach Events, Terminen und anderem reduzierte sich eine Zeitlang auf eine: "Habt ihr die Nummer von Mann-O-Meter?" Obgleich viele Funktionen mehr und mehr von anderen übernommen wurden, blieb "Prinz Eisenherz" Veranstaltungsort und Ausgangspunkt von Projekten. Beim Nachtcafé etwa, das Berlinale-Besuchern Gelegenheit bietet, die gesehenen Filme zu diskutieren, entstand 1987 die Idee eines schwul-lesbischen Filmpreises. "Wir haben herumgefragt, welche Filme den Leuten am besten gefallen haben und dachten: 'O.k., dafür kriegen die 'nen Teddy'". Die glücklichen Empfänger des Gay Teddy Bear, der es dann vier Jahre später in die offizielle Berlinale-Preisliste schaffte, hießen Pedro Alm-dovar und Gus van Sant.

Mit dem Ausbau des Netzes schwuler Projekte nahm auch die Zersplitterung der Szene zu. Gerade deshalb, glaubt Hedenström, wächst die Bedeutung der Bücherstube an der Bleibtreustraße: "Es wird immer schwieriger, die Leute zusammenzubringen. Ein Buch ist da immer ein schöner Anlaß." So kamen Exponenten der verschiedensten Gruppen zusammen, um sich mit dem stern-Autor Werner Hinzpeter über dessen Buch "Schöne schwule Welt" zu streiten, das verkündete, daß es "für Schwule wirklich sehr schön geworden" sei und vielen Leuten nichts mehr einfiele, "was sie schwulenpolitisch noch fordern könnten".

In der Tat: Die Vorurteile haben in den letzten zwanzig Jahren ebenso abgenommen, wie das Wissen gewachsen ist. Während nur noch jeder fünfte Bundesbürger der Ansicht ist, daß man Homosexuelle kastrieren sollte und weniger als die Hälfte der Bevölkerung Schwule für gefährlich hält, "weil sie oft versuchen, Jugendliche zu verführen", können fast zwei Drittel Urninge an Gang, Sprache und Kleidung erkennen.

Daß mit der gewachsenen Liberalität die Angst, sich durch Betreten von "Prinz Eisenherz" als Homo zu outen, abgenommen hat, ändert freilich nichts daran, daß die Buchhandlung immer

an der Rentabilitätsgrenze entlang schrammt. "Wenn du einen Bestseller haben willst, mußt du eben nicht mehr zu 'Eisenherz' gehen," sagt Peter Hedenström mit tapferer Genugtuung. "Bei Karstadt am Hermannplatz gibt es inzwischen sogar eine relativ große schwul-lesbische Abteilung." Nach Büchern wie "Der homosexuelle Wortschatz im Russischen" wird man dort jedoch vergeblich suchen. Wer Sonderwünsche hat, wird auch in den nächsten zwanzig Jahren nicht an dem Laden in der Bleibtreustraße mit den 120 000 Büchern vorbeikommen.