Die Rache der Erben

Die neue slowakische Regierung sucht Beweise gegen Ex-Premier Meciar. Unter anderem wegen der Entführung des Präsidentensohnes vor drei Jahren

Es war ein relativ kurzer Auftritt, den der bisherige slowakische Premierminister Vladimir Meciar in der ersten Sitzung des neuen slowakischen Parlaments hatte. Nur für wenige Minuten betrat er den Sitzungssaal und gab bekannt, auf sein Abgeordnetenmandat zu verzichten. An seinem Platz wird künftig der bisherige slowakische Geheimdienstchef Ivan Lexa sitzen.

"Der braucht die Immunität dringend", höhnt der Chef der 'Partei der bürgerlichen Einheit (SOP)', Rudolf Schuster, im Gespräch mit Jungle World. Schließlich hat Lexa als Chef des berüchtigten Geheimdienstes SIS so ziemlich jedes Gesetz gebrochen, das in der Slowakei existiert. So ziemlich alles spricht dafür, daß sein Geheimdienst im August 1995 den Sohn des damaligen slowakischen Staatspräsidenten Michal Kovac nach Österreich entführt hat, um den mit internationalem Haftbefehl Gesuchten in den Bereich der Strafverfolgung zu bringen und den Präsidenten zu diskreditieren. Nach Meinung von Meciar-Gegner gehen ebenfalls mehrere Bombenattentate auf Oppositionelle und Kritiker des alten Regimes auf das Konto Lexas. Verständlich also, daß sich Lexa nun in die parlamentarische Immunität eines Abgeordneten von Meciars Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) rettet.

Geht es nach dem Willen der neuen Regierenden aus der Anti-Meciar-Allianz, wird es Meciar selbst weniger gemütlich haben. Er verfügt nicht mehr über den Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung. Und diejenigen, die vier Jahre unter seinen Machenschaften zu leiden hatten, sinnen nun auf eine Abrechnung. SOP-Chef Schuster: "Wir sind gerade dabei, Beweise gegen Meciar zu sammeln, und besonders im Fall der Entführung von Kovac junior stehen die Chancen gut, ihn vor Gericht zu stellen."

Doch mit den Beweisen ist das so eine Sache. Nach den verlorenen Wahlen vom 25. und 26. September ließ der seiner Macht beraubte Regierungschef in vielen Ämtern den Reißwolf anwerfen. Tag und Nacht liefen die Maschinen, um die papiernen Zeugnisse seiner Herrschaft zu vernichten. Angeblich schon am Tag nach der Wahl gab Meciar in der Zentrale seiner HZDS die Parole "Akten weg!" aus.

Die Aufarbeitung der Vergangenheit macht der neuen Regierung auch sonst Schwierigkeiten. Meciar hatte während seiner Regierungszeit die Slowakei zum Potemkinschen Dorf gemacht und für den schönen Schein die Staatskassen geplündert. Autobahnen wurden gebaut, Stadtkerne renoviert und die Infrastruktur verbessert, doch nun sind die Staatskassen leer. Die neue slowakische Finanzministerin Brigita Schmögnerov‡ von der postkommunistischen Partei der Demokratischen Linken (SDL) kündigte schon in der Vorwoche an, es werde nicht möglich sein, ein Budget für das Jahr 1999 zu erstellen. Die Slowakei sei praktisch bankrott. Wahrscheinlich könnten im Winter die Schulen nicht beheizt werden. Und auch das slowakische Gesundheitsministerium steht kurz vor dem Kollaps.

In beinahe jedem Statement macht die neue Regierung unter Premier Mikulas Dzurinda von der Slowakischen Demokratischen Koalition (SDK) die Bevölkerung darauf aufmerksam, daß es viel zu leiden geben werde. Das ist die Flucht nach vorne. Denn eine der größten Sorgen der neuen Regierung ist, selbst für die Misere verantwortlich gemacht zu werden. So meinte der neue Justizminister Jan Carnogursky (SDK) schon am Wahlabend gegenüber Jungle World, die neue Regierung müsse sofort mit der Inventur beginnen. Wahrscheinlich noch im November werden die Slowaken eine endgültige Bilanz des Meciar-Managements erhalten. "Wir müssen den Leuten ganz klar darlegen, in welchem Zustand wir das Land übernommen haben", sagt denn auch Rudolf Schuster.

Übernommen hat die Regierung das Land auch in einem Zustand innerer Zerrissenheit. Zwar einigten sich die Slowakische Demokratische Koalition (SDK), die Partei der Demokratischen Linken (SDL), die Partei der Bürgerlichen Eintracht (SOP) und die Ungarische Koalition (SMK) schon am Tag nach der Wahl auf die Bildung einer Koalition, doch nach der ersten Euphorie war es vorerst um die Einigkeit geschehen. Nachdem klar wurde, daß Meciar wohl nicht so schnell ein Comeback zu feiern hat, wurden die Fliehkräfte stärker. Vor allem die SDL taktierte wochenlang und verhandelte zwischendurch auch schon mal mit Meciars HZDS über die Bildung einer Koalition.

Davon mag Petr Weiss, der Chefideologe der SDL, heute nichts mehr wissen: "Es gab zwar ein Gespräch mit der HZDS, aber von Anfang an war klar, daß wir mit Meciar nicht koalieren würden. Es ist eine Legende, daß wir das wollten." Meciar trug mit seinem TV-Auftritt vier Tage nach der Wahl noch das Seine zur allgemeinen Desorientierung bei. Unter Tränen erklärte er seinen Rücktritt und jammerte kameragerecht, nun bleibe ihm "nur das nackte Leben". Teilen der SDL erschien eine Koalition mit einer HZDS ohne Meciar nun nur noch halb so schlimm.

Einer der ersten Prüfsteine war - wie üblich - der Kampf um Pfründe und Posten. Insbesondere die SDL sahnte im Vergleich zu ihrer Mandatsstärke im Parlament viele Ministerposten ab. Insgesamt sechs Kabinettsmitglieder werden nun von der SDL gestellt, neun von der SDK, drei von der SMK und zwei von der SOP. Jan Carnogursky ärgert sich noch heute darüber: "Eigentlich stünden der SDL rein arithmetisch gar nicht so viele Posten zu." Das sieht Petr Weiss ganz anders: "Das ist nicht rein arithmetisch zu beurteilen, schließlich wären wir nach einem Zerfall der SDK die stärkste Partei im Parlament."

Auch über den Wahlmodus für das Amt des Staatspräsidenten kam es zu Reibereien. Während die SDK schon kurz nach den Wahlen dem bisherigen Amtsinhaber Michal Kovac die Wiederwahl zusicherte (Jungle World, Nr. 41/98), wollte die SDL die Verfassung ändern und eine Direktwahl des Präsidenten durch die Bevölkerung durchsetzen. Der populäre Bürgermeister von Kosice und Chef der SOP, Schuster, bot sich gleich als Kandidat für die Regierungskoalition an und kam damit durch. "Der Zustand ist derzeit unerträglich. Die Slowakei braucht bald ein neues Staatsoberhaupt", so Schuster gegenüber Jungle World. Wahrscheinlich noch in diesem Jahr wird er als Regierungskandidat in die Präsidentenwahlen gehen. Eile ist vor allem deshalb geboten, weil auch Meciar sich nicht mit dem "nackten Leben" zufriedengibt und ebenfalls antreten möchte.

Premier Mikulas Dzurinda wird in den kommenden Wochen vor allem in Wien und Brüssel zu Gast sein. Binnen der nächsten 100 Tage möchte die neue Regierung einen neuerlichen EU-Beitrittsantrag stellen und so noch in die erste Reihe der Kandidaten rutschen.