Für eine denkende Bewegung!

Wer Weltwirtschaftgipfel oder IWF ins Zentrum linker Kritik stellt, verkehrt Ursache und Wirkung.

Jedesmal, wenn die internationalen Bösewichte sich in einer deutschen Stadt treffen, greift die Linke reflexartig zu Megaphon und Transparent. Sie demonstriert, konferiert und schreibt Flugblätter, in denen alle Schweinereien aufgelistet werden, die "die da oben" wieder zu beschließen gedenken. Ob 1988 bei der IWF-Tagung in Westberlin, 1992 beim Weltwirtschaftsgipfel (WWG), 1994 beim EU-Gipfel in Essen oder nächstes Jahr beim Doppelgipfel von EU und G7 in Köln: Die Rituale bleiben die gleichen, und auch die ideologischen Vorstellungen ändern sich nicht.

Die Soli-Szene nimmt den Kapitalismus als eine Ansammlung einzelner Gemeinheiten der Herrschenden wahr, deren Handlungsfreiheit nur durch den Widerstand der Bevölkerung begrenzt werden kann. Auf G7- oder IWF-Treffen beschlossene Abkommen verschiedener Regierungen nützen demnach den Herrschenden und schaden folglich den Unterklassen. Die neoliberale Ideologie sei schuld an der Verarmung, so formulieren die Gipfel-Gegner, denn deren Vertreter seien schließlich an dieser Verarmung interessiert.

Tatsächlich haben Hunger und Elend im Trikont wenig mit einer vermeintlichen "Unmoral" der Herrschenden zu tun. Welches Interesse sollte eine Regierung an Naturzerstörung, sozialer Verelendung oder Vernichtung bäuerlicher Lebensgrundlagen haben? Nein, es ist die Logik der Kapitalverwertung, die zum Bau von Hochgeschwindigkeitszügen und neuen Flughäfen zwingt, und es ist dieselbe Logik, die Subventionsstreichungen und Sozialkürzungen verursacht. Nur in den Ländern, in denen die Topmanager schnell von hier nach dort kommen können, investiert ein Unternehmen. Und ein Pharmakonzern läßt seine Fabrik am ehesten dort errichten, wo nicht teure Umweltauflagen erfüllt werden müssen oder etwa hohe Subventionssteuern für veraltete Produktionsweisen die Rendite schmälern. Ein Staat, der seiner Bevölkerung qua Sozialleistungen den Zwang zum Arbeiten nimmt, ist für das Kapital weniger interessant. Und Revoluzzer, die Beschäftigte zum Streik animieren möchten, sollten möglichst ruhiggestellt sein.

Keine Regierung kann entscheiden, wie von Teilen der Solibewegung gefordert, ob sie für die Schulden eines verarmten Landes aufkommt. Denn erhöht sie für eine solche Unterstützung die Steuern, wandern Firmen ab. Die Folge: Dem Staat gehen Steuergelder verloren und für die "Trikont-Finanzierung" fehlen wieder die Mittel - die Kapitallogik hat sich durchgesetzt.

Auch ein einzelnes Unternehmen kann nicht frei entscheiden. Es muß sein Handeln danach ausrichten, die höchsten Profitraten zu erzielen. Selbst der liebste Unternehmer kann sich nur bei Gefahr seines Untergangs den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus entziehen. Ohne entsprechende Profitraten können die Zinsen an die Banken nicht bezahlt werden. Ebensowenig kann er die Dividende ausschütten, die den Anleger veranlaßt, Aktien zu kaufen. Marx bezeichnet das Kapital aus diesen Gründen als "automatisches Subjekt". Es nimmt den Menschen die Möglichkeit, wie Subjekte zu handeln und zwingt ihnen seine eigene Dynamik auf. Unternehmer und Politiker bezeichnet er zu Recht als Charaktermasken.

Wenn die Soli-Szene also Unternehmen oder Institutionen wie die G-7 angreift, verkehrt sie Ursache und Wirkung. Sie kritisiert lediglich Erscheinungsformen. Natürlich entspricht nicht jede Regung von G7 und EU exakt den Gesetzen des Kapitals. Aber warum sollte die Welt besser aussehen, wenn es diese Institutionen nicht gäbe? Die Standortkonkurrenz würde fortbestehen und das Kapital weiterhin dorthin fließen, wo Umweltauflagen und soziale Umverteilung am geringsten sind und dort akkumulieren. Ziehen andere Länder nicht nach, sind die Steuereinnahmen nicht hoch genug, um Sozialleistungen zu finanzieren.

"Warum läßt man die in Not geratenen Banken in Asien und Rußland nicht in Konkurs gehen?" Dieser Appell Gordon Tullocks an den IWF düfte den meisten Antiimperialisten vertraut vorkommen. Immer wieder haben Linke der EU, der Weltbank und ähnlichen Institutionen vorgeworfen, Großkonzernen Geld zu schenken. Doch Tullock ist kein Antiimperialist - im Gegenteil. Der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler stellte diese Frage auf der diesjährigen Versammlung der Mont-Pélerin-Gesellschaft. Diesem Elite-Think-Tank der Vordenker des Neoliberalismus gehören zahlreiche rechte Wirtschafts-Nobelpreisträger an, unter ihnen Milton Friedman, der Cheftheoretiker der Chicago-Boys. Tullocks Kritik am IWF entspringt seiner Befürchtung, daß sich ein "moral hazard" durchsetzen könnte: Regierungen und Unternehmen verhalten sich nicht "richtig", also der Kapitallogik entsprechend, weil sie sich denken: "Im Notfall wird's der IWF schon richten."

Es sollte der Soli-Bewegung zu denken geben, wenn sie die gleiche Forderung stellt wie die Ideologen einer durch nichts gehinderten Kapitalverwertung. Ohne es zu wollen, laufen die Antiimperialisten Gefahr, für eine weitere Durchsetzung des Kapitalismus einzutreten. Es gibt nur eine Möglichkeit, dem zu entgehen: Die Kritik an den Institutionen, also an der Erscheinungsebene des Kapitalismus, muß einer Kritik an den strukturellen Grundlagen der Warengesellschaft weichen.