Grün grünt das Kosovo

Die Bundesregierung nutzt die zivile OSZE-Mission im Kosovo zur Ausweitung des deutschen Engagements

Wäre die Welt so einfach zu erklären, wie Parteiprogramme dies tun, hätten die Bündnisgrünen jetzt gut lachen: Zur Freude der Anhänger ziviler Konfliktschlichtung beteiligt sich Deutschland mit 200 Beobachtern an der Überwachungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo. Das beschloß das rot-grüne Kabinett in der vergangenen Woche. Erste Aufgabe der unbewaffneten Observatoren wird es sein, den Waffenstillstand zwischen serbischen Einheiten auf der einen und Verbänden der bewaffneten Kosovo-Separatistenorganisation UCK auf der anderen Seite zu überwachen. Ein schwieriges Unterfangen: Während sich die Truppen des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic in den vergangenen Wochen aus der südserbischen Provinz zurückzogen, rückten die UCK-Einheiten in die verwaisten Stellungen nach. Mehrfach griffen UCK-Kämpfer serbische Polizeistationen an.

Und da beginnt schon das Dilemma der für das Außenministerium verantwortlichen Grünen: "Die Entmilitarisierung und Zivilisierung der internationalen Politik müssen parallel erfolgen", hatten sie noch in ihr Wahlprogramm geschrieben und dabei vor allem auf die Stärkung der OSZE gesetzt. Einher damit ging und geht die Grünen-Forderung nach "radikaler Abrüstung" der Nato. Die OSZE als Exporteur westlicher Demokratiemodelle - so hatten sich die Grünen das auch für das Kosovo vorgestellt.

Nach dem Beschluß des Kabinetts, sich an der Überwachungsmission zu beteiligen, sieht die Grünen-Welt jedoch wieder anders aus. Militarisierung und "Zivilisierung" gehen nun Hand in Hand. So betonte Außenminister Joseph Fischer (Bündnisgrüne) zwar einmal mehr, daß der Einsatz von OSZE-Beobachtern im Kosovo unverzichtbar sei, um den "korrekten Vollzug" der Vereinbarungen durch die serbische Regierung zu kontrollieren. Doch ohne den bewaffneten Schutz der Nato will auch er den Zivilisten nun nicht mehr zumuten, sich zwischen die in der südserbischen Provinz verbliebenen serbischen Polizeieinheiten und die Desperados der UCK zu stellen. Der "glaubhafte Schutz dieser Beobachter" durch die Nato, so Fischer, sei deshalb zwingend notwendig.

Aus Fischers Sicht durchaus schlüssig ist dann der Kabinetts-Beschluß, dem der Bundestag in dieser Woche noch die Zustimmung erteilen muß. Die von der OSZE repräsentierte zivile Konfliktregelungskomponente verkommt darin zum Beiwerk: Insgesamt werden 350 deutsche Soldaten an den Nato-Aufklärungsflügen über Jugoslawien beteiligt sein, die Bundeswehr stellt 16 Drohnen - unbemannte Aufklärungsflugzeuge - zur Verfügung. Außer den Drohnen werden weitere elektronische Aufklärungsflieger sowie ein Flottendienstboot der Marine bereitgestellt. Damit kommt Deutschland ein besonderer Rang innerhalb der Überwachungsmission zu: Die deutschen Aufklärer sind die einzigen, die der Nato zur Luftüberwachung im Kosovo zur Verfügung stehen.

Nach dem deutschen Engagement in der Sfor-Truppe in Bosnien findet mit der Entsendung weiterer Verbände der Bundeswehr eine Ausweitung der deutschen Militärpräsenz auf dem Balkan statt. Im Grunde sind die 200 deutschen zivilen Beobachter nicht mehr als das Feigenblatt, hinter dem die Grünen ihre Militarisierungsoptionen verbergen können: unbewaffnete OSZE-Einheiten auf der einen Seite, die einen wie auch immer gearteten Aufbau einer "Zivilgesellschaft" in dem betreffenden Staat initiieren sollen. Und daneben im Staat selbst stationierte Nato-Truppen, wie in Bosnien, oder außerhalb angesiedelte Verbände, wie jetzt in Mazedonien, die den Einsatz der zivilen Beobachter sichern.

Ohne die Nato - das berücksichtigt die Regierung in ihrem Beschluß - läuft auch bei der OSZE nichts. Den insgesamt 2 000 internationalen Beobachtern im Kosovo dürfte es daher ähnlich ergehen wie ihren Kollegen in Bosnien: Wahlen werden sie zwar organisieren können, für die Sicherheit beim Wahlgang selbst sorgten in Bosnien jedoch stets die Sfor-Truppen.

In den Mittelpunkt der Kosovo-Diskussion dürfte daher auch im Bundestag die am Mittwoch anstehende Entscheidung des Nato-Rats rücken: Der soll den in den vergangenen Wochen von General Wesley Clark, dem Nato-Oberbefehlshaber Europa, überarbeiteten Einsatz-Plan einer schnellen Eingreiftruppe absegnen. Weil bereits 200 unbewaffnete zivile OSZE-Beobachter im Kosovo stationiert sind, sieht sich das Militärbündnis unter Zeitdruck, eine Truppe aufzubauen, die die Beobachter schützt.

Inzwischen steht fest, daß die in Mazedonien stationierte Einsatztruppe weitaus umfangreicher sein und mehr Aufgaben haben wird, als dies im ursprünglichen Konzept Clarks vorgesehen war. Sollten zunächst nur 300 Soldaten im südlichen Nachbarstaat Jugoslawiens stationiert werden, um einen eventuellen Rückzug der Beobachter abzusichern, haben sich die Militärstrategen des Nordatlantikpakts nun darauf geeinigt, etwa 1 500 Mann nach Mazedonien zu entsenden. Hauptgrund für die Aufrüstung: Wäre Belgrad seinen Zusagen zum Schutz der Bobachter bislang nicht nachgekommen, hätte es bis zu acht Tage gedauert, die Truppe aufzustocken. Auch bei Angriffen der UCK wäre die Einsatzbereitschaft nicht gesichert gewesen.

Insbesondere Frankreich hatte darauf gedrängt, einen innerhalb von ein bis zu zwei Stunden einsatzfähigen Verband in Mazedonien zu stationieren. Um die Einsatzbereitschaft aufrechtzuerhalten, ist die Nato-Streitkraft nun verfünffacht worden. Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge gehören zur Ausstattung, um für ihren raschen Transport zu sorgen.

Mit der Aufstockung der Truppe ist auch deren Auftrag erheblich erweitert worden: Sollte der Nato-Rat den Clark-Plänen zustimmen, wären die Soldaten nicht mehr zwangsläufig an mazedonisches Territorium gebunden - ein direktes militärisches Engagement in Jugoslawien wäre nicht mehr auszuschließen. Da die Versorgung und Bergung von Beobachtern, ihre Rettung aus Minenfeldern und - wichtigste Neuerung - die Gewährleistung ihrer Bewegungsfreiheit nicht von Mazedonien aus zu bewerkstelligen sind, bedeutet das neue Mandat einen weiteren Schritt in Richtung eines möglichen Bodenkriegs gegen Einheiten Milosevics.

Hatte die Nato schon in den vergangenen Monaten erhebliche Schwierigkeiten damit, die an-gedrohten Luftangriffe auf serbische Stellungen völkerrechtlich ausreichend zu legitimieren - keine der bisherigen Kosovo-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats gab dazu die Genehmigung -, so würde mit einem Nato-Bodeneinsatz im Kosovo ein weiterer Präzedenzfall geschaffen: Noch nie zuvor hat das Militärbündnis Operationen in einem Staat durchgeführt, ohne zuvor dessen ausdrückliche Genehmigung eingeholt zu haben.

Ein Szenario aus dem Bosnien-Krieg hat die Militärs zu den gewichtigen Kompetenzerweiterungen gebracht: Um zu verhindern, daß OSZE-Beobachter wie in Srebrenica als Geiseln genommen werden, einigten sich in den vergangenen Wochen Frankreich, England und Deutschland darauf, die Gewährleistung der Bewegungsfreiheit mit in das Mandat aufzunehmen - die in Mazedonien stationierten Nato-Soldaten dürfen nun auch Geiselbefreiungen durchführen.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) bestätigte bereits, daß sich die Bundesrepublik mit einem Verband in Kompaniestärke an dieser Schutztruppe beteiligen werde. Und auch Fischer - der Zustimmung seiner grünen Parlamentsfraktion scheinbar sicher - freute sich schon vor der Zustimmung des Bundestags über das reibungslose Absegnen der neuen Militärbeschlüsse: Er sei "nicht unglücklich" darüber, daß in der Nato-Schutztruppe auch Kampftruppen der Bundeswehr eingesetzt werden sollen. Schöne grüne Welt.