Peacekeeper und Eurofighter

Der rot-grüne Streit um die Bundeswehr wird auf die lange Bank geschoben

Als Helmut Kohl Mitte Oktober zum Abschied seinen Zapfenstreich präsentiert bekam, versprach er den Soldaten, "immer leidenschaftlich für die Beibehaltung der Wehrpflicht" einzutreten. All die Abrüstungs- und Reduzierungspläne im Hinterkopf, mit denen Grüne und auch Sozialdemokraten in Oppositionsjahren wieder und wieder gedroht hatten, verteidigte Kohl den Zwangsdienst für jeden männlichen Deutschen als "die Klammer von Gesellschaft und Armee, von Politik und Militär".

Die Wehrpflicht als des Pudels Kern? Der abgewählte Kanzler hatte natürlich richtig vermutet. Schon während der Koalitionsverhandlungen der neuen Regierung forderte Angelika Beer als Verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion das Ende der Wehrpflicht. Das vor allem, da dieser "Zwangsdienst" auch nach dem Grundgesetz nicht mehr zu legitimieren sei. Da bei einem solchen Schritt zudem die für Krankenhäuser und Sozialdienste billige Arbeitskräftebeschaffung per Zivildienst wegfallen würde, seien auch dort neue Konzepte nötig.

Ähnliche Bestrebungen sollen auch in der SPD beobachtet worden sein. Mitte Oktober hatte zumindest die Welt von "konkreten Plänen" berichtet, die Truppe von derzeit 340 000 Mann auf 200 000 zu verkleinern. SPD-Verteidigungsexperten würden zudem eine Verkürzung des Grundwehrdienstes von zehn auf nur noch sechs oder gar drei Monate ins Auge fassen. Der unfreiwillige Verteidigungsminister Rudolf Scharping dementierte aus allen Rohren. Meldungen über eine "Bundeswehr light" deklassierte er als "frei erfunden". Das dynamische Duo Schröder und Lafontaine hätte ihm schließlich vor Amtsantritt zugesichert, daß der Verteidigungshaushalt eben nicht geschmälert und keine Reform der Bundeswehr ohne Anhörung einer Wehrstrukturkommission beschlossen würde.

Und mit diesem gemeinsam beschlossenen Gremium, das mit dem geballten Sachverstand von Parlament und Fachleuten bis zum Jahr 2000 Form und Bedarf der Armee analysieren soll, enden offenbar auch die grün-roten Gemeinsamkeiten zum Thema Bundeswehr.

Nachdem schon der SPD Reduzierungen auf 200 000 Mann nachgesagt worden waren, wollte Angelika Beer plötzlich auch eine Armee mit nur noch 150 000 Mann nicht mehr ausschließen. Auf dem Weg zu der von ihr bevorzugten Freiwilligenarmee - bestehend aus naturgemäß nicht ganz preiswerten Berufssoldaten - will Beer die Kräfte der Landesverteidigung abbauen. Ausgerechnet die für Auslandseinsätze geschaffenen Krisenreaktionskräfte von gut 50 000 Mann sollen aber aufgestockt und modernisiert werden. Ein Zugeständnis, um die Wehrpflicht zu kippen? Das ist sprichwörtlich Dynamit für innerparteiliche Kämpfe bei den Grünen. Denn nach deren Wahlprogramm sollten gerade die Krisenreaktionskräfte, insbesondere das Kommando Spezialkräfte, aufgelöst werden. Die "Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer internationalen Interventionsarmee" wird auf dem Papier rigoros abgelehnt.

Angesichts der grünen Reduzierungsforderungen gab sich Scharping, der 1996 noch selbst laut und unverbindlich über eine Bundeswehr unter 250 000 Mann und eine sechsmonatige Wehrpflicht nachgedacht hatte, nur noch staatstragend. Zahlen will er nicht mehr nennen: "Ich habe früher einmal den Fehler gemacht, mich an solchen Zahlenspielen zu beteiligen. Ich werde ihn nicht wiederholen." Plötzlich ist die Armee für Scharping, der sich einst auch freiwillig für zwei Jahre zur Truppe meldete, "im Kern eigentlich unterfinanziert". Nach SPD-Plänen soll die Bundeswehr in den nächsten vier Jahren gegenüber dem Verteidigungshaushalt von 1998 gar vier Milliarden Mark mehr bekommen, dann insgesamt 48,7 Milliarden. Scharping zufolge muß die Bundeswehr modernisiert werden, schon um in der Nato technisch den Anschluß zu den USA zu halten. Im Hintergrund hört man wohl bereits die Lobbyisten der Rüstungsindustrie leise vorsagen.

Die Grünen weigerten sich in den Koalitionsverhandlungen, der von der SPD geforderten Höhe des Wehrhaushaltes zuzustimmen. Und so wird der Haushalt 1999 erst einmal in derzeitiger Höhe eingebracht. Der Kompromiß im Koalitionsvertrag lautet: "Vor Abschluß der Arbeit der Wehrstrukturkommission werden (...) keine Sach- und Haushaltsentscheidungen getroffen, die die zu untersuchenden Bereiche wesentlich verändern oder neue Fakten schaffen." Angelika Beer hofft, auf diesem Weg "Fehlinvestitionen" zu vermeiden.

Noch vor dem Start der vereinbarten Wehrstrukturkommission Anfang nächsten Jahres wies Verteidigungsminister Scharping letzte Woche Generalinspekteur Hartmut Bagger an, eine Bestandsaufnahme zur Lage der deutschen Streitkräfte angesichts ihrer künftigen Aufgaben vorzunehmen. Scharping machte allerdings schon jetzt deutlich, daß für ihn die ausgearbeiteten Optionen dieser Kommission nicht verpflichtend seien.

Neue Einigkeit gibt es offensichtlich nur in der Frage des Kampfflugzeugs Eurofighter, das Ende 1997 noch von SPD und Grünen einhellig abgelehnt worden war. "Die Auseinandersetzung darüber wurde durch unterschriebene Verträge abgeschlossen", konstatierte Scharping trocken. Daran könne und wolle er nichts ändern. Und Grünen-Außenpolitiker Ludger Volmer konnte sich dieser Feststellung nur anschließen - "die Verträge sind gültig". Aber künftig, so Volmer, werde ja eine "Zivilisierung der internationalen Politik" angestrebt. Dafür würden spezielle "Peacekeeper" ausgebildet. Ein alter Traum der Friedensbewegung, der dann bald irgendwie gleichberechtigt neben 180 neuen Eurofightern stehen wird.