Auf der Suche nach der verlorenen Stimme

Warum die Grünen Schwierigkeiten haben, ihre Vorstandsämter zu besetzen

Flache Hierarchien sind bei den Grünen ein Relikt aus bald vergessenen Zeiten. Jetzt ist man schließlich in der "Verantwortung", die mit der Regierungsübernahme angestrebt wurde. Und da ist die ebenso oft herbeizitierte Handlungsfähigkeit gefragt. Doch unerwartet findet sich die Partei in einem Zustand wieder, in dem sie, kopflos, eher an die sympathischen Chaostage der Anfangsjahre erinnert.

Das Problem für die Partei, die faktisch ohne Vorstand ist: Sie verblaßt hinter ihren medienwirksamen Ministern. Einer von ihnen, Jürgen Trittin, ist zwar bis zum nächsten Bundesparteitag am 11. Dezember offiziell noch Vorstandssprecher, hat aber keine Zeit mehr für den Job. Und auch die Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle wird die Partei an den Parlamentarismus verlieren: Sie will 1999 für die Grünen ins Europaparlament einziehen.

Damit müssen auf dem Parteitag Mitte Dezember gleich zwei der drei wichtigsten Vorstandsämter neu besetzt werden. Und die Kandidatenfindung gestaltet sich schwierig. Vor allem das zweite Sprecheramt neben der Realpolitikerin Gunda Röstel machte den Grünen Kopfzerbrechen.

Vor kurzem hatte sich der einflußreiche Frauenrat mit einem Vorschlag vorgewagt, der, "weil er nicht auf der Tagesordnung stand", sofort Empörung auslöste: Die Frauen forderten die nordrhein-westfälische Parteilinke Barbara Steffens als zweite Vorstandssprecherin und Angelika Albrecht, heute noch Beisitzerin im Vorstand, als frauenpolitische Sprecherin in einem neustrukturierten Vorstand. Mit zwei Sprecherinnen wollten sie einen Ausgleich dafür schaffen, daß die Frauenquote bei den Ministerämtern nicht eingehalten worden war.

Nun waren die grünen Männer beleidigt. Frithjof Schmidt, Repräsentant der Parteilinken, der schon als Kandidat für das Sprecheramt im Gespräch war, will nicht mehr antreten. Aber auch Barbara Steffens lehnte ab. Es habe sich keine Nachfolge für ihr Amt als Sprecherin des Landesvorstandes von Nordrhein-Westfalen gefunden, war die Begründung.

Das Kandidatenkarussell drehte sich lustig weiter. Am vergangenen Wochenende kündigte schließlich Antje Radcke, bislang im Vorstand der Hamburger Grünen, ihre Kandidatur an. Wie Steffens wäre auch Radcke als Linke und Frau für das Amt prädestiniert. Radcke, die "eine Brücke zwischen Regierungsfraktion und Parteibasis" bauen will, ist bis jetzt die einzige Kandidatin. Aber vielleicht kommt auch die Berliner Fraktionsvorsitzende Renate Künast - wenngleich dem realpolitischen Flügel zuzurechnen - noch einmal aus der Versenkung.

Auch über die Neustrukturierung des Bundesvorstandes wird noch spekuliert. Einigermaßen sicher ist nur, daß das neunköpfige Gremium auf fünf Personen verkleinert werden soll. Die Beisitzer, die ihr Vorstandsamt nur nebenberuflich ausübten, würden dann wegfallen. "Professionalisierung" ist ohnehin das, was die Realos seit langem fordern. Auf dem Parteitag wird denn auch ein Vorschlag zur Satzungsänderung von der Bundesgeschäftsführerin und möglichen Spitzenkandidatin der Grünen zur Europawahl, Heide Rühle, zur Diskussion stehen. Danach soll neben dem Vorstand ein Parteirat als neues Gremium aus dem Bundesvorstand und 16 weiteren Mitgliedern etabliert werden. Für diesen soll die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben werden, sprich auch Abgeordnete und Minister dürften mitmischen.

Doch selbst, wenn diese Satzungsänderung beschlossen werden sollte: Das Gebot der Trennung von Amt und Mandat gilt bei den anderen Posten noch für mindestens zwei Jahre. Um die Freude über die errungenen Ministerämter nicht zu trüben, hatten sich die rivalisierenden Flügel auf dem Parteitag nach der Wahl auf diesen Kompromiß geeinigt. Nach Ablauf dieser Frist werden dann wohl die letzten basisdemokratischen Relikte der "Handlungsfähigkeit" und der "Professionalität" geopfert.

Eine Abschaffung der Trennung von Amt und Mandat forderte letzte Woche auch die auf Politikberatung für die Grünen spezialisierte taz. Denn "nur ein starker Vorstand kann ein Gegengewicht zu Fraktion und Exekutive bilden". Doch im Sinne eines Gegengewichts wäre es logischer, den Vorstand gerade nicht mit Ministern und Abgeordneten zu besetzen, die in die Koalitionsdisziplin eingebunden sind. Deshalb scheint die - von der taz und den meisten grünen Funktionsträgern geforderte - Parteireform einem anderen Ziel zu dienen: der Basis auf dem kurzem Dienstweg die Sachzwänge der Regierungsarbeit nahezubringen.

Egal, wer die Grünen auf ihrem letzten Stück hin zur ganz normalen Partei führen wird, es ist ein undankbarer Job. Nicht nur ist die Bezahlung relativ schlecht und dem Vorstandssprecher steht nur ein persönlicher Berater zur Verfügung. Auch ist der Einfluß im Vergleich zu den Ministern und der Bundestagsfraktion einerseits und den Landesverbänden andererseits sehr begrenzt.

Auch deshalb wird niemand Gunda Röstel ihren Posten streitig machen. Allerdings ist auch sie schon als Spitzenkandidatin für die Landtagswahlen in Sachsen 1999 nominiert und stünde im Fall eines Wahlsiegs - Trennung von Amt und Mandat vorausgesetzt - nicht mehr zur Verfügung. Eine Regierungspartei läßt sich einfach nicht basisdemokratisch führen.