Des Volkes Koch

Seit 1992 macht ein Rechtsanwalt im ostfriesischen Leer mit antisemitischen und rassistischen Sprüchen lokalpolitisch Karriere

Die einen nennen ihn einen geltungssüchtigen Schwätzer, die anderen schätzen an ihm, daß er sagt, "was Sache ist". Mit einem knapp zehn Zeilen langen Brief hat der Stadtrat und Kreistagsabgeordnete Gerd Koch (50) zugleich Entsetzen und Wut in der ostfriesischen Kleinstadt (35 000 Einwohner) ausgelöst.

"An den Leeraner Judenverein (oder so)" adressierte der Rechtsanwalt und Notar Koch einen Brief Ende August diesen Jahres. Gemeint war die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Ostfriesland. Kochs knappe Mitteilung auf dem offiziellen Briefbogen seiner Gruppierung, der Allgemeinen Wählergemeinschaft (AWG): "(Ist) es nicht sonderbar, daß manche Zeitgenossen immer neue Geldquellen auftun? Das wird u.a. in der Schweiz versucht, in den USA, und nun werden noch Versicherungsgsellschaften abgegrast. (...) Auch mehr als 50 Jahre nach Kriegsende werden Mitmenschen des Abzockens nicht müde. Mal sehen, wer noch im nächsten Jahrtausend angezapft wird. Mit freundlichen Grüßen".

Die Reaktionen auf den Brief überschlugen sich: Stradtrat und Kreistag, forderten Koch zur Rückgabe aller seiner politischen Mandate auf. Die Polizei erteilte dem Anwalt für Privatbesuche in ihren Dienstgebäuden Hausverbot. Die Bundeswehr, in deren Leeraner Offiziersmesse Koch im Oktober seinen 50. Geburtstag feiern sollte, lud ihn aus. Fußballvereine erteilten Platzverbote.

Warum aber wacht die Leeraner Gesellschaft erst jetzt auf? Koch war über sechs Jahre ihr gehätschelter Politneuling. "Wir haben kein Programm, aber wir brechen die Mehrheit der SPD", so trat Koch vor sieben Jahren an. Gründe, sich von Koch zu distanzieren, hatte es jedenfalls auch vor seinem jüngsten Brief reichlich gegeben. Bereits seinen Eintritt in die Lokalpolitik 1991 begleitete Koch mit einem Paukenschlag. Einem kritischen Journalisten warf er dessen jüdische Abstammung vor. Und in einem Interview mit der lokalen Ostfriesen-Zeitung schlug er vor, mit dem "vagabundierenden Gesindel" in der Fußgängerzone "kurzen Prozeß zu machen".

Seine AWG spreche die Wünsche der schweigenden Mehrheit aus, war Koch überzeugt. Einige Beispiele: Spenden für das Leeraner Kinderschutzhaus seien überflüssig, so Koch, denn "die Klientel des Kinderschutzhauses läßt auf einen viel zu hohen Ausländeranteil schließen. Die Kinder sollen sich unseren Sitten anpassen oder die Biege machen." Einem psychisch Kranken empfahl der Rechtsanwalt, er möge seine Existenz doch bitte einer "Endlösung" zuführen.

Am liebsten verfolgt Koch Obdachlose und Sozialhilfeempfänger mit seinen Notaten. Eines seiner Opfer ist eine Leeraner Roma. Koch wirft ihr die monatliche 100 Mark "Wiedergutmachung" für ihren langjährigen KZ-Aufenthalt vor. Die Stadt solle überprüfen, so faxte der Lokalpolitiker, ob die Sozialhilfe für die Frau berechtigt sei. Grundsätzlich sieht Koch Deutschland bedroht, schrieb er dem Verband der Sinti und Roma in Hannover: "Ich bleibe dabei: Asylanten, Russen, Penner und Zigeuner sind und bleiben das Problem unserer Gesellschaft."

Eine Gruppe als "Problem unserer Gesellschaft" hatte Koch damals - ganz gegen seine Art - glatt vergessen: die Juden. Juden zocken ab, das steht für Koch fest. Als die Stadt Leer 1995 zum zweiten Mal jüdische ehemalige Bürgerinnen und Bürger einladen wollte, versuchte Koch, dies zu verhindern. Keine Steuergelder für Juden, lautete damals seine Parole.

Es störte ihn nicht, daß 1940 die kleine jüdische Gemeinde in Leer unter der begeisterten Beihilfe des damaligen Bürgermeisters Erich Drescher ausgelöscht wurde. 180 jüdische Gemeindemitglieder wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Koch: "Ich fühle keine Schuld. Es muß auch mal Schluß sein mit den Selbstanklagen. Die Juden sind ausreichend entschädigt worden." Bürgermeister Günther Boekhoff kommentierte Kochs Bemerkungen so: "Das war sehr schlimm. Glücklicherweise wurden Koch und einige CDU-Ratsherren überstimmt."

Boekhoff ist derweil selbst wegen Koch in die Kritik geraten. Der Sozialdemokrat hätte früher und deutlicher gegen den rechten Stadtrat und Kreistagsabgeordneten Position beziehen müssen, lautet der Vorwurf aus der eigenen Partei. "Wir wollten Koch nicht aufwerten", meint der Bürgermeister. Tatsächlich fällt der politische Aufstieg Kochs in eine Zeit, in der die SPD durch andauernde Personaldiskussionen mit sich selbst beschäftigt war. Zwar forderte ein SPD Bezirksparteitag 1995, Koch solle wegen seiner Beleidigungen von seinen Ämtern zurücktreten. Das Problem war aber: Auch viele SPDler waren Freunde von Koch und dachten nicht daran, ihre Kontakte zu ihm aufzugeben. Die CDU gab sich da geradliniger. Ihr Fraktionsvorsitzender Walter Düngemann in einem Interview: "Koch war mein Freund. Koch bleibt mein Freund. Egal, was er politisch macht."

Vor vier Jahren spaltete sich die ehemalige SPD-Mehrheitspartei und verlor damit ihren Platz als stärkste Fraktion im Statdrat. Gewinner der Querelen innerhalb der SPD war Gerd Koch und seine AWG. Jeder vierte Leeraner, jede vierte Leeranerin wählte Koch. Kochs AWG hat sich zwar vom "Wortlaut" seiner Formulierungen distanziert, in der "Sache hat er aber recht", so ein AWG-Fraktionsmitglied zum aktuellen Brief seines Chefs. AWG-Ratsherr Helmut Steen geht sogar einen Schritt weiter. Er will für sich jetzt Entschädigung als Nazi-Opfer beantragen: "Mein Vater ist als Soldat der Wehrmacht gefallen. Mein Vater war Kapitän. Was hätte der mir vererben können, wenn er nicht gefallen wäre!"

Derweil hat Koch den Bürgermeister und den Kreistag wissen lassen, daß er selbstverständlich nicht daran denke, von seinen Ämtern zurückzutreten.