Der argentinische Ex-Admiral Massera in Haft

Diktatoren-Dämmerung?

Pinochet eingebuchtet, serbische Milizionäre, afghanische und kurdische Freischärler womöglich bald in trauter Eintracht vor internationalen Menschenrechtstribunalen: Sollte am Ende des Milleniums gar doch noch die universelle, die Bösewichter aller Couleurs gleichermaßen ereilende Gerechtigkeit einkehren? So jedenfalls erklärte Argentiniens stramm konservative Tageszeitung La Naci-n ihren Lesern, warum Ex-Admiral Emilio Eduardo Massera am vergangenem Dienstag zum zweiten Mal hinter Gitter mußte, nachdem er bereits von 1985 bis zur Generalamnestie Präsident Menems im Jahr 1990 eingesessen hatte:

"Der internationale Kontext hat sich verändert. Eine neue Ethik, die zur Grundlage einer globalisierten Rechtskonzeption geworden ist, hat die Haltung gegenüber Menschenrechtsverletzungen verändert, ohne Rücksicht auf das Land, in dem sie begangen werden."

Natürlich ist die neuerliche Verhaftung des Ex-Diktators, der des dreifachen Mordes, der Folter in zwölf und Entführung in 69 Fällen sowie des siebenfachen Diebstahls für schuldig befunden worden ist, allemal eine gute Nachricht. Massera, der zwischen 1976 und 1983 den populistisch-nationalistischen Flügel des Regimes anführte, wurde eine Sonderregelung innerhalb des Amnestiegesetzes zum Verhängnis: Er wird der Beihilfe zur Entführung von Säuglingen verdächtigt, die in Todeslagern der Marine zur Welt gekommen und deren Mütter nach der Geburt ermordet worden waren. Kindesentführung steht nicht auf der Liste der amnestierten Delikte.

"Der Pakt des Schweigens ist gebrochen", erklärte der Vorsitzende des wichtigsten argentinischen Menschenrechtsbündnisses, Sim-n L‡zara, auf einer Pressekonferenz und hob hervor, daß eine derartige Maßnahme noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Umso verblüffender erscheint der einhellige Beifall von Vertretern der regierenden Peronisten und des Oppositionsbündnisses Alianza, die sich noch im April anläßlich des zwanzigsten Jahrestages des Militärputsches nicht auf eine rückwirkende Annullierung der Amnestien von 1987 bis 1990 einlassen wollten.

Nun jedoch versuchten beide Seiten, sich die Inhaftierung politisch gutzuschreiben: Graciela Fern‡ndez Mejide und Fernando de la Rua, die beiden Präsidentschaftsanwärter der Opposition, kritisierten einhellig das Schlußpunktdekret der Regierung Menem, das sich eindeutig als falsch erwiesen habe (über die Amnestiegesetze der Regierung Alfonsin für alle Militärs unterhalb der obersten Befehlsränge, an deren Zustandekommen de la Rua maßgeblich beteiligt war, schwiegen sich beide aus).

Auf seiten der korruptionsbelasteten Regierung erklärte hingegen Staatssekretär Miguel Angel Toma, mit dem Vorgang sei das Funktionieren der Institutionen bestätigt und Gerüchten über angebliche Parteilichkeit der Justiz eindeutig entgegengetreten worden. Die Marine erklärte sich lapidar für nicht zuständig, da Massera seit seiner ersten Verurteilung nicht mehr zum Personal gehöre.

Die Einhelligkeit der Abscheubekundungen quer durch das politische Spektrum bezeugt freilich nur, daß in Argentinien ein Modell der Vergangenheitsbewältigung mehrheitsfähig geworden ist, wie es die Regierung Frei im benachbarten Chile gerade ihren diplomatischen Bemühungen gegen die Auslieferung Pinochets nach Spanien zu unterlegen versucht.

Es ist das gleiche Modell, mit dem in der europäischen und US-amerikanischen Öffentlichkeit seinerzeit ethische Empörung und florierende Geschäfte säuberlich getrennt worden waren: das Beklagen der "Exzesse" der Militärs bei gleichzeitiger Verdrängung von deren Zusammenhang mit einer radikalliberalen Entstaatlichungs- und Deindustrialisierungspolitik, die ohne die gewalttätige Zerschlagung gewerkschaftlichen und politischen Widerstandes niemals möglich gewesen wäre. Kurz, jener Politik, die seit 1983 von demokratisch gewählten Regierungen administriert werden darf.

"Wir haben den bewaffneten Krieg gewonnen, aber den psychologischen verloren", konnte Massera noch letztes Jahr in einer Fernsehshow bilanzieren. Seine Verhaftung ist ein Grund zur Freude. Zur Euphorie besteht jedoch kein Anlaß.