Nur Gammeln ist schöner

Die Vorbereitungen für das Bündnis für Arbeit laufen. Die Unternehmer können sich schon darauf freuen: Die große Rentenlösung gibt's für sie zum Nulltarif.

Journalist ist die Nummer eins der Traumberufe von Jugendlichen. Doch weil es schon genug Zeitschriften für Käseverkäufer und Superdiäten gibt, müssen viele passionierte Schreiberlinge wohl bald Brötchen backen oder Mauern ziehen. Denn die neue Bundesregierung hat vergangene Woche ihr Sofortprogramm für Lehrstellen und Arbeit in Angriff genommen, mit dem sie 100 000 Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen will - und nicht nur für die Wunschberufe.

Das Programm wird auch Diskussionspunkt sein, wenn sich am 7. Dezember Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer zur ersten Runde für ein neues "Bündnis für Arbeit" treffen. Dort soll nicht nur über die Misere bei den Lehrstellen gesprochen, sondern auch ein Rezept gegen die Massenarbeitslosigkeit gefunden werden.

Für die Teilnehmer steht viel auf dem Spiel. Die Gewerkschaften, die unter anderem durch den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dieter Schulte, sowie den Chef der IG Metall, Klaus Zwickel, vertreten sind, wollen endlich beweisen, daß sich ihre Werbekampagne für den Regierungswechsel nun auch lohnen wird.

Zwickel hat am Wochenende auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall in Mannheim der Bundesregierung handwerkliche Fehler vorgeworfen und die Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten in der Metallindustrie bekräftigt. Die IG Metall sei "zum Konflikt bereit" und werde notfalls auch Wirtschaftsverbände "attackieren", sollten diese das Bündnis vorzeitig platzen lassen. Auf dem Kongreß wurde auch der bisherige Bezirksleiter für Niedersachsen, Jürgen Peters, zum Nachfolger von Walter Riester gewählt.

Für die Unternehmer gilt genau das Gegenteil - sie müssen zeigen, daß eine Senkung der Arbeitslosigkeit nicht auf ihre Kosten geht. Für die Wirtschaftsverbände beteiligt sich u.a. ihr mittlerweile lahmendes Schlachtroß, der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDA), Hans-Olaf Henkel, an der Runde. Die Verbände lehnen Lohn-erhöhungen kategorisch ab. Um neue Lehrstellen zu schaffen, will der BDA sogar die Gehälter der Azubis künftig um bis zu 50 Prozent kürzen.

Am stärksten steht jedoch Bundeskanzler Gerhard Schröder unter Druck. Er ist geradezu zum Erfolg verdammt, seitdem er im Wahlkampf versprochen hat, daß sich seine Regierung vor allem an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit messen lassen müsse.

Wie das Bündnis funktionieren könnte, zeigt bereits das beschlossene Aktionsprogramm gegen die Jugendarbeitslosigkeit, das bei den Gesprächen durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt werden soll. Die jungen Leute sollten eine Chance erhalten, aber auch unter Druck gesetzt werden, diese Chance zu ergreifen, sagte Bundesarbeitsminister Walter Riester der Bild am Sonntag. "Wer die Mitarbeit verweigert und lieber ohne eigenen Einsatz Sozialleistungen kassieren will, muß wissen, daß das Konsequenzen haben wird." Welche Konsequenzen damit gemeint sind, hatte sein Boß kurz nach dem Wahlsieg verkündet. "Wer Gammeln für schöner hält, der kann keine Stütze kriegen", erklärte Schröder damals. Dabei orientieren sich die Sozialdemokraten offenbar am dänischen Modell: Jugendliche müssen dort jede Arbeit, die ihnen vom Staat angeboten wird, annehmen, wenn sie nicht ihren Anspruch auf Unterstützung verlieren wollen.

Ein großer Teil der rund 430 000 arbeitslosen Jugendlichen zwischen 15 und 23 Jahren kann sich daher auf einiges gefaßt machen. Allein im nächsten Jahr werden nach Angaben der Gewerkschaft ÖTV zirka 100 000 Ausbildungsplätze fehlen, weitere 83 000 Jugendliche befinden sich demnach in "Warteschleifen". Die "organisatorischen Vorbereitungen" für das Jugendaktionsprogramm laufen jedenfalls schon auf "Hochtouren", meldete ein Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit vergangene Woche.

Insgesamt rechnet die Bundesanstalt im laufenden Jahr mit durchschnittlich 4,28 Millionen Arbeitslosen. Und auch 1999 wird sich daran nicht viel ändern. Für die kommenden Jahre sei von einem "gesamtwirtschaftlichen Mangel an Arbeitsplätzen in der Grössenordnung von sechs bis sieben Millionen" auszugehen, schreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in der "Agenda für mehr Beschäftigung in Deutschland", die als offizielle Grundlage der Verhandlungen dient. Vor allem auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt sei erst ab 2010 mit einer positiven Veränderung zu rechnen.

Auf Hochtouren laufen auch schon die Gespräche über eine Herabsetzung des Rentenalters. Der Vorschlag, den Schröder bereits vor einigen Wochen machte und der zunächst eher mit Skepsis aufgenommen wurde, könnte sich zum ersten Schlager des Treffens entwickeln. Denn nach Ansicht von Riester sollen die Arbeitnehmer auf ein Prozent Lohnsteigerung verzichten, um eine Rente ab 60 ohne Abschläge für alle zu finanzieren.

Derzeit bekommt ein Arbeitnehmer, der mit 60 Jahren in den Ruhestand geht, etwa 18 Prozent weniger Rente als mit 65 Jahren. Einzelheiten seien zwar von den Tarifparteien festzulegen, aber Modellrechnungen hätten ergeben, daß "etwa mit einem Prozent Lohnsteigerung, das über einige Jahre nicht an die Arbeitnehmer ausgezahlt wird, sondern in den Fonds eingebracht wird, alle Kosten gedeckt werden können", sagte Riester.

Auch wolle er im Gegenzug die Unternehmer nicht, wie von den Gewerkschaften gefordert, zu einer Einstellungsgarantie verpflichten. Eine solche Vorstellung sei realitätsfremd. Die Praxis werde aber zeigen, daß viele "im Arbeitsleben ausgezehrte Menschen die Chance zur vorzeitigen Rente ergreifen" würden. Dafür könnten dann "junge Menschen, die in den Arbeitsmarkt drängen", eingestellt werden.

Bislang hatten die Vertreter der Unternehmerverbände und der Industrie die Pläne als unbezahlbar kritisiert und erklärt, eine Umsetzung würde nur einen weiteren Rationalisierungsschub ohne Entlastung des Arbeitsmarktes bringen. Noch vergangenen Donnerstag hatte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt den Vorschlag strikt abgelehnt und als "Wundertüte" bezeichnet. Die Gewerkschaften hatten sich hingegen für eine Senkung des Rentenalters ausgesprochen, gingen sie doch bislang von dem Glauben aus, der Fonds würde gemeinsam von Unternehmern und Arbeitnehmern finanziert. Doch davon ist bei Riester nun keine Rede mehr.

Daher ist es jetzt auch kein großes Wunder, wenn der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ludolf von Wartenberg, in dem Vorschlag pötzlich einen "Akt der Solidarität" erkennt und im Spiegel von einem "sinnvollen Instrument der Beschäftigungspolitik" spricht - vorausgesetzt natürlich, die Beschäftigten finanzieren ihren Fonds alleine.

Ein weiteres Thema werden die staatliche Lohnzuschüsse sein, die die Regierung mit dem Kombi-Lohn-Modell einführen will. Riester sagt dazu, in Zukunft würden vor allem Menschen mit hoher Qualifikation gebraucht. Daher werde es für Geringqualifizierte noch schwerer, einen Arbeitsplatz zu finden. "Deshalb wollen wir neue Kombinationen von Lohn und staatlicher Zuwendung einführen. Gerade im Bereich von Städten und Gemeinden gibt es viele Möglichkeiten, Menschen für einfache Tätigkeiten einzusetzen."

Das Modell ist bei den Gewerkschaften umstritten. Diese hatten bereits auf die Neuregelung der 620-Mark-Jobs mit Verärgerung reagiert und als Einstieg in einen staatlich geföderten Niedriglohnbereich kritisiert. Allein im Einzelhandel werden nach Angaben der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung (HBV) jährlich 30 000 Vollzeitstellen durch Teilzeitjobs ersetzt.

Zum Streit wird es vermutlich auch bei den Verhandlungen über den Abbau der Überstunden kommen. Die Gewerkschaften, die damit Zehntausende neuer Stellen schaffen wollen, verlangen hier seit langem eine klare Übereinkunft. Die Unternehmerverbände favorisieren hingegen flexiblere Arbeitszeiten und unter Umständen auch die Einführung von mehr Teilzeitjobs. Eine Diskussion über Arbeitszeitverkürzungen lehnen die Verbände jedoch mehrheitlich ab.

Vor allem die Unternehmer, die bisher nicht an das Gelingen des Bündnisses glaubten, können mittlerweile den Gesprächen etwas optimistischer entge-gensehen. So signalisiert die Bundesregierung den Verbänden ein deutliches Entgegenkommen und hat in Aussicht gestellt, daß eine Senkung der Unternehmersteuer, die ursprünglich für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen war, im Rahmen des Bündnisses für Arbeit schon ab dem Jahr 2000 erfolgen könnte.

Und weitere Zugeständnisse der Bundesregierung werden folgen. Der Titel der Gesprächsrunde wurde jedenfalls schon vorsichshalber im Sinne der Unternehmer erweitert. Das Treffen soll künftig "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" heißen.