Rebellion heißt Reisen

Während in Mexiko die Verhandlungen zwischen Regierung, Vermittlern und EZLN nicht recht vorankommen, wird die Militarisierung in Chiapas fortgesetzt

Die Gespräche stockten, bevor sie richtig angefangen haben. Nach einem kurzen Zusammentreffen mit den Mitgliedern der parlamentarischen Vermittlungskommission Cocopa in San Crist-bal erklärten die Delegierten der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee EZLN am vorletzten Wochenende, daß sie vorerst keine weiteren Möglichkeiten für Verhandlungen sähen - weder mit der Regierung noch mit der Cocopa, die sich aus Parlamentsabgeordneten der vier stärksten Parteien Mexikos zusammensetzt.

Damit schienen alle Hoffnungen enttäuscht, die im Vorfeld des langerwarteten Treffens von einer Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den aufständischen Zapatistas und der Regierung ausgegangen waren. Als Vorbedingungen für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch hatten die Zapatistas die Umsetzung eines im Februar 1996 geschlossenen "Abkommens über indianische Rechte und Kultur", die Freilassung zapatistischer Gefangener und ein Ende der andauernden Militarisierung des Bundesstaates durch die Armee und paramilitärische Gruppen genannt. "Seit fünf Jahren hat die Regierung nichts anderes gemacht, als ein Interesse am Frieden zu simulieren, während sie den Krieg vertiefte", erklärte Kommandeurin Leticia im Namen der EZLN.

Das patzige Auftreten der Zapatistas verstimmte die Mitglieder der Cocopa, die sich seit fast zwei Jahren um einen Gesprächstermin bemüht hätten, wie der Vertreter der linken Oppositionspartei PRD, Carlos Payan, betonte. Er bezeichnete das Auftreten der Skimaskenträger sichtlich verärgert als "antidemokratisch". Als Cocopa-Mitglieder versuchten hätten, mit den Zapatistas ins Gespräch zu kommen, seien sie ständig mit den Worten "pures Geschwätz" unterbrochen worden. Um den ohnehin dünnen Gesprächsfaden nicht völlig abreißen zu lassen, trafen sich Zapatistas und Vermittler am Montag vergangener Woche noch einmal, dieses Mal in besserer Atmosphäre: Beide Seiten wollten sich anschließend doch für eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Zapatistas und Regierung einsetzen.

Größere Bedeutung als dem Tte-ˆ-tte mit der Cocopa maßen die Zapatistas offensichtlich einem Treffen mit rund 3 000 Vertretern von oppositionellen sozialen Bewegungen und politischen Organisationen bei, das zeitgleich zum letzten Meeting mit den Vermittlern der Cocopa stattfand. Dort wurde über den EZLN-Vorschlag beraten, in ganz Mexiko Volksabstimmungen zum "Abkommen über indianische Rechte und Kultur" durchzuführen. Darin vorgesehen sind Autonomierechte und soziale Verbesserungen für die 15 Millionen Ind'genas in Mexiko. Obwohl die Regierung dem Abkommen ursprünglich zugestimmt hatte, verweigert sie seit zwei Jahren die Umsetzung.

Dies wird von Beobachtern als zentraler Bestandteil der Regierungsstrategie zur Bekämpfung der Zapatistas betrachtet. Während öffentlichkeitswirksam Gesprächsbereitschaft signalisiert wird, blockiert die Regierung unter Präsident Ernesto Zedillo von der seit 70 Jahren regierenden PRI reale Reformen. Gleichzeitig bedrängt sie die EZLN, indem sie Chiapas immer mehr von paramilitärischen Gruppen und durch die Armee selbst militarisieren läßt.

Die zapatistische Guerilla sieht sich mittlerweile halbkreisartig vom mexikanischen Bundesheer umstellt. Von Palenque im Norden über das chiapanekische Hochland - mit besonders hoher Truppendichte in der Region Chenalh- - bis zu Ciudad Cuauhtémoc an der Grenze Guatemalas reichen die Stellungen. Eine weiterer Ring in Form mehrerer großer Militärlager schließt sich direkt um das EZLN-Hauptquartier in der Nähe der Ortschaft La Realidad im lakandonischen Dschungel.

Seit seiner Einsetzung Anfang des Jahres hat Gouverneur Roberto Albores (PRI) zudem die Stationierung von 5 000 weiteren Soldaten und ebensovielen zusätzlichen Polizisten veranlaßt. Damit liegt die Gesamtzahl der in Chiapas stationierten Soldaten je nach Quelle bei 40 000 bis 70 000.

Nach dem Massaker von Acteal im letzten Dezember, bei dem 45 Bewohner eines Flüchtlingslagers von Paramilitärs umgebracht worden waren, starben in Chiapas mindestens 60 weitere Menschen durch politisch motivierte Gewalt. In dem südmexikanischen Bundesstaat operieren mehr als zwölf paramilitärische Gruppen, die für die Vertreibung von mindestens 20 000 Menschen aus ihren Dörfern verantwortlich gemacht werden.

Die Aufstandsbekämpfungsstrategie Albores' besteht zum einen in der Tolerierung und aktiven Unterstützung der Paramilitärs, zum anderen in der Konfrontation mit den Rebellen, die sich vor allem in Offensiven von Militär und Polizei gegen die 38 autonomen zapatistischen Gemeinden in Chiapas äußert. Über die Militärschläge gegen autonome Gemeindesitze in Taniperlas, San Crist-bal de Las Casas, Tierra y Libertad, Nicolas Ruiz, Tenejapa sowie das Massaker in El Bosque im Juni berichteten auch überregionale Medien.

Im Dezember 1994 hatten die ersten neugegründeten Gemeindeverwaltungen ihre Unabhängigkeit gegenüber der mexikanischen Staatsregierung erklärt. Die Autonomie der "Gemeinden in Rebellion" beinhaltet die Weigerung, staatlichen Institutionen Einlaß in die Dörfer zu gewähren und Stromrechnungen oder Grundsteuer zu zahlen. Zudem werden Hilfsprogramme der Regierung abgelehnt.

Die mexikanischen Eliten fühlen sich aber vor allem durch Landbesetzungen und die Weigerung, die bisherigen Amtsinhaber in den Gemeinden anzuerkennen, bedroht. Die indigene Bevölkerung hat in vielen Gebieten die Kontrolle über Ländereien übernommen, die sich zuvor in der Hand weniger Besitzer befanden. Die Umverteilung von über 500 000 Hektar Großgrundbesitz an landlose Bauern ist mittlerweile abgeschlossen. Auch Gerichtsbarkeit, Polizei und sonstige Verwaltungsaufgaben sind in den autonomen Gemeinden von gewählten Komitees indigener Repräsentanten übernommen worden.

Durch die hohe Militärpräsenz und die paramilitärischen Gruppen sollen die indigene Autonomie und der damit verbundene Widerstand gebrochen und Unterstützungsstrukturen der EZLN untergraben werden. Paramilitärische Gruppen mit teils absurden Namen wie "Frieden und Gerechtigkeit" sind inzwischen in 24 Regionen des Bundesstaates aktiv.

Auf die enge Verflechtung zwischen Paramilitärs, Militär und Offiziellen der PRI hatte die EZLN bereits in einem Kommuniqué kurz nach dem Massaker in Acteal hingewiesen. Demnach waren Autos, Waffen, Uniformen und weitere Ausrüstung der Mörder mit Geldern des Bundesministeriums für soziale Entwicklung (Sedesol) gekauft worden. Die Angreifer von Acteal hatte zudem militärisches Training für Sonderkommandos absolviert, weitere Waffen und Ausrüstung war direkt von Offizieren des mexikanischen Bundesheeres und von Polizeiverbänden geliefert worden.

Dem Bericht der EZLN zufolge werden seit 1994 Gelder, subventionierte Lebensmittel und Baumaterial in Chiapas nach politisch-militärischen Kriterien vergeben: Wer sich bereit erklärt, gegen zapatistische Gemeinden und regierungsunabhängige Organisationen zu kämpfen, bekommt staatliche Unterstützung über Sedesol-Projekte.

Nach dem Fehlschlag der Versuche, der EZLN ihre soziale Basis zu entziehen, so die Zapatisten, hätten sich die Regierungen des Landes und Bundes nun dazu entschlossen, diese Basis auszulöschen. Damit die Bundesarmee nicht direkt beteiligt zu sein brauche, hätte die Regierung sich die Parteistrukturen vor Ort zunutze gemacht, um paramilitärische Gruppen aufzubauen und mit Raub, Mord und Vertreibung das erwünschte Ziel zu erreichen.

Auf die als Kriegführung niedriger Intensität bezeichnete Strategie der Regierung haben die Zapatistas bisher häufig mit zivilen Mobilisierungen reagiert. Immer wieder wurden oppositionelle Kräfte eingeladen, um eine Strategie zur Überwindung der PRI-Herrschaft zu entwickeln. Obwohl die meisten Initiativen nur kurzfristig und begrenzt Erfolg hatten, verhinderten sie immerhin die gesellschaftliche Isolation der EZLN.

Nach über einem Jahr der Zurückhaltung gehen die Zapatistas jetzt mit den beabsichtigten Volksabstimmungen über das "Abkommen für indianische Rechte und Kultur" wieder in die politische Offensive. In den nächsten Monaten sollen 5 000 EZLN-Mitglieder in alle Landkreise Mexikos reisen. Angesprochen auf die logistischen Schwierigkeiten einer solchen Tour, äußerte Comandante Tacho am Rande des Treffens in San Crist-bal: "Am schwierigsten ist es zu töten und zu sterben. Dagegen erscheint es uns nicht schwer, uns mit Zügen, Lkw, Pferden, Eseln, Mulis oder was auch immer auf die Reise zu machen." Ob sich die Regierung davon beeindrucken läßt, bleibt abzuwarten.