Tupperparty mit Schuß

In John Frankenheimers Polit-Action-Thriller "Ronin" stört nicht mal der Langweiler Robert De Niro

Früher waren die Helden in Staatsdiensten bei CIA oder KGB und MfS in Lohn und Brot. Das ist jetzt vorbei. Die Fachkräfte müssen sich in der freien Marktwirtschaft durchschlagen. Auf Wiedersehen, Blockkonfrontation. Für nicht wenige ist das Systemkämpfen vorbei.

Dafür fängt das Strampeln erst an. Eine alte japanische Sage erzählt von den Ronin: Die Samurai legten einen Schwur ab, ihre Lehnsherren mit dem eigenen Leben zu schützen. Nicht wenige hatten Pech: Diejenigen, deren Herren getötet wurden, waren gezwungen, das Land zu durchstreifen. Heimatlos geworden, waren sie auf der Suche nach einer Anstellung als gewerbliche Banditenkräfte. Sie waren nun keine Samurai mehr, sie hatten versagt. Die gefallenen Engel wurden Ronin genannt.

"Ronin" heißt auch John Frankenheimers Film, er kombiniert alte Sage und neue Politik. Die Gruppe um den intelligenten Sam (Robert De Niro) hat ebenfalls ihre Herren nicht schützen können. Oder auch: Die Männer werden nicht mehr gebraucht. Nun sind sie Freiberufler, wenn auch hochspezialisiert. Im Morden, Klauen, Computerverdrahten, Waffenladen und Autofahren.

Ein brisanter Auftrag führt sie zusammen. Sie sollen einen ominösen Koffer herbeischaffen, an dem Russen, die IRA und mindestens sechs andere Gruppierungen brennend interessiert sind. Der Auftraggeber ist ein anonymer Dunkelmann, seine Vertreterin Deidre (Natascha McElhone) redet sich raus, wenn Fragen kommen, worum es hier geht. Schließlich sind die Männer besorgt, denn der Auftrag kann bei der schießwütigen Gegnerschaft schnell den Kopf kosten.

Sofort beäugen sie sich mißtrauisch, denn Mißtrauen gehörte zu ihrer Ausbildung und ist allgemeine Lebenstugend. Ist der da fähig für eine solche Aufgabe? Spence (Sean Bean) bekommt Sams Führungsqualitäten gleich zu spüren. Weil er zu ängstlich ist, wird er aussortiert.

Sam gefallen noch ganz andere Dinge nicht: Seine Vorahnungen werden bestätigt, als ein geplanter Waffenhandel in Paris an einem Quai der Seine in einer Beinahe-Katastrophe endet. Die Experten, die hochmoderne Ausrüstung übernehmen sollen, werden von den Händlern in einen Hinterhalt gelockt. Nur dank Sams Aufmerksamkeit geht es ohne Verluste ab.

Am nächsten Tag quartiert sich das Team in der Nähe von Nizza ein. Hier residiert der gegenwärtige Besitzer des Koffers mit seinen Leibwächtern. Sam arbeitet einen genialen Plan zur Übernahme aus. Nach wüsten Verfolgungsjagden aber stellt sich heraus: In dem Aluminiumbehälter befindet sich eine Bombe. Wer hat den richtigen Koffer?

Obwohl Freundschaften nicht eingeplant sind, gibt es doch Sympathien. Sam lernt, daß er sich vor allem auf Vincent (Jean Reno) verlassen kann. Also: Zusammenarbeit. In Arles finden sie den Verräter, auf dessen Spur sich unterdessen auch Deidres Auftraggeber (Jonathan Pryce) gesetzt hat. Als Sam angeschossen wird, rettet ihn Vincent. Und weiter geht es in Paris. Dorthin hat es den flüchtigen Verräter verschlagen. Und den Koffer!

Leichter geworden ist dennoch nichts. Nach jedem Scheinerfolg der beiden tauchen mehr Killer, Schmieranten und Dunkelmänner auf. Über sich, die Gegner und den Koffer bleiben Sam und Vincent - im Ungewissen.

Wie die Menschen im Film so die Zuschauer. "Ronin" ist eine der schönsten und härtesten Kino-Gesamtverwirrungen. Der "Koffer", das könnte irgend etwas sein: Hier steht ein Gegenstand für die Lösung, das Sein und das Leben in der Killerwelt. Der Koffer könnte auch leer sein. Umso heftiger wird um ihn gestritten: Die Brutalität, mit der Frankenheimer Autoverfolgungswahn und Morde inszeniert - der Regiemeister ("French Connection", "Der Zug" etc.pp.) weiß, wie die funktionieren - , läßt den Koffer zum Symbol werden. Der Koffer, das ist ein Zeichen, wie wir es in der Sprache finden. Das sprachliche Zeichen, fand der Wissenschaftler Ferdinand de Saussure Anfang des Jahrhunderts heraus, sei arbiträr, d.h. willkürlich. Durch Übereinkunft seiner Anwender habe es sich als Konvention im Denken seiner Anwender manifestiert. Gerade deshalb, weil seine Prägung zufällig sei, könne es auch nicht einfach ausgetauscht werden gegen ein anderes.

Und so geht es uns und den Ronin auch: Gerade weil niemand weiß, was der Koffer enthält, weil er ein leeres Zeichen ist, erlangt er solche Macht, daß bald fast alle auf der Strecke bleiben. Und er setzt alle Kräfte frei: Sam schafft sogar das Kunststück, sich ohne Betäubung und per Handspiegel eine Kugel aus den Därmen herauszuoperieren. Der Film handelt von etwas Absurdem, fast so verrückt wie Sprache. Oder Geld. Für zwei Stunden ist alle Welt hinter dem Behälter her, tötet, killt, mordet. Ein Puppentheater, das uns fesselt.

"Ronin" ist in jeder Hinsicht ein besonderer Film. Mit ihm kehren Elemente des Kinos zurück, die es lange nicht zu sehen gab. Und existentialistische Täter. Frankenheimer hat zwar mit einigen Aktien spekuliert; mindestens bei so durchstrukturierten Unternehmungen wie "Der eiskalte Engel" (1967) - der eingefrorene Delon. Als Killer in der Sackgasse in Jean Pierre Melvilles Film (Originaltitel: "Le Samoura•"). Nach einem Buch von Goan McLeod namens: "Le Ronin"!

Das muß zu denken geben. Aber was? Das es hier um Geschichten von Täuschung und Selbsttäuschung geht. Ein direkter Bezug? Wir konnten Frankenheimer leider nicht fragen, bei ihm lief nur der Anrufbeantworter. Doch seine Helden tapsen ebenfalls in einem Labyrinth herum, an blinden Gängen und Fallen vorbei. Zu keiner Zeit dienen die Action-Sequenzen und obszönen Waffeneinsätze irgend etwas anderem als der Konstruktion von Story und Schauspielerleistung.

Das ist vielleicht die Kehrseite von gewöhnlichen Action-Filmen, in denen der Hauptdarsteller desto eindimensionaler erscheint, je mehr geballert wird (der Rezensent ist durchaus ein Freund von wüstem Geballer). Aber Frankenheimer zeigt die Teilnehmer dieses Spektakels und ihr Bewegungen in den Kämpfen so detailgenau und geradlinig, daß man sie bestens kennenlernen kann. Und ebenso: die Autojagden, woraus der Film zu 70 Prozent besteht.

Wen interessiert heute so was noch? Schließlich ist man fliehende und schießende Raumschiffe gewöhnt. Aber hier geht es zur Sache, weil es eine andere Optik gibt - mit Details, Slapstick, Überraschung: Wenn der Verfolger aufgehalten wird, weil er eine Tür vors Schienbein bekommt. Das ist nicht spektakulär. Aber in diesem Moment verboten unerwartet.

Dieser filmische Ansatz ist einem so fern, daß man glaubte, so etwas hätte es nicht schon einmal gegeben. Wen stört da Robert De Niro, der Langweiler? Aber in "Ronin" ist De Niro mal ein anderer als in all diesen Mafia-Schinken, in denen er den schlagkräftigen Chef spielt. Vorbei auch all die glanzlosen Nebenrollen.

Noch mehr? Ja. Katarina Witts Auftritt darf nicht vergessen werden. Während im Hinterzimmer die Kopfschüsse ausgeteilt werden, dreht unsere Ex-SED-Frau als russische Eisprinzessin Pirouetten aufs Eis. Danke, Kati. Auch das ist Ex-, nämlich Ex-DDR. Eine überzeugende Rolle, gut getimt - wo sie doch jetzt im Playboy ist. In "Ronin" ist sie sogar Ex und Hopp, denn da liegt sie schon. Eine schöne, eine überzeugende Leiche! "Ronin" macht eben vor nichts halt. Zerschießt den Deutschen ihr Eismädel.

Nicht die Jagd, das Schießen und Wüten ist aggressiv, sondern die Geschichte selbst: Weil alle Parteien eben miteinander in Einklang über den Charakter des Zeichens sind. Daß der Koffer ein höchst wichtiges Gut ist. Als Puppenspiel, im Kindertheater, wäre "Ronin" eben genauso brutal oder komisch, wie er es im Kino ist.

Nebenbei entwirft der Regisseur - das ist selten genug - abseits ausgetretener Action eine ausgefeilte Theorie des politischen Films nach dem Ende des Kalten Krieges. So anders ist die Welt gar nicht geworden. Was früher galt, ist auch noch heute was wert: Die Polizei kommt nach wie vor zu spät oder wird von der Straße geschubst.

"Ronin". USA 1998. R: John Frankenheimer, D: Robert De Niro, Jean Reno, Natascha McElhone, Stellan Skarsgard, Sean Bean, Skipp Sudduth, Michael Lonsdale, Jonathan Pryce, Katarina Witt. Start: 3. Dezember