Urteil vom Staatsanwalt

Obwohl er in den Zittauer Taxifahrerprozessen ermittelte, darf Hermann Jöst weiter richten

Die Prozesse gegen die als Schleuser verurteilten Taxifahrer aus Zittau müssen möglicherweise neu aufgerollt werden. Die Berufungsverhandlungen am Landgericht Görlitz waren von Richter Hermann Jöst geführt worden, der zuvor als Oberstaatsanwalt an den Ermittlungen beteiligt war. Jöst hatte als Vorsitzender einer Kleinen Strafkammer in allen Fällen die Verurteilungen der Taxifahrer zu Haftstrafen ohne Bewährung durch das Zittauer Amtsgericht bestätigt.

Karin Zebisch, die mehrere Taxifahrer verteidigt, hatte bereits in ihren Anträgen auf Revision an die dritte Instanz, das Oberlandesgericht in Dresden, auf diesen Umstand hingewiesen. Zebisch: "Das Oberlandesgericht hat meine Revisionsanträge aber alle verworfen." Als Taxifahrer-Verteidigerin stehe sie vor sächsischen Gerichten "wie ein Trottel da". Sie könne sich des Eindrucks nicht erwehren, daß am Oberlandesgericht Revisionsanträge nicht gelesen werden.

Den Vorwurf weist Robert Bey, der Sprecher des Oberlandesgerichtes zurück: "Wir lesen Revisionsbegründungen immer gründlich. In den Anträgen von Frau Rechtsanwältin Zebisch haben wir aber nicht der Verteidigung, sondern dem Landgericht Glauben geschenkt."

Hermann Jöst war bis Ende November 1997 Leiter der Zittauer Zweigstelle der Staatsanwaltschaft. In dieser Eigenschaft hatte er, wie aus Unterlagen hervorgeht, einen Durchsuchungsbeschluß der Zittauer Taxizentrale unterschrieben. Er soll sogar, wie das Justizministerium in Dresden jetzt einräumt, bei der Durchsuchung im März 1997 persönlich anwesend gewesen sein.

Diese Durchsuchung sei jedoch, so das Ministerium, in einem Verfahren vonstatten gegangen, das später eingestellt wurde. Dem hält Karin Zebisch entgegen, die beschlagnahmten Dokumente seien in anderen Verfahren gegen Taxifahrer, in denen Jöst der Berufungsrichter war, hinzugezogen worden. Gegenüber dem Oberlandesgericht hatte Jöst in der Erwiderung auf Revisionen der Verteidigung behauptet, er habe als Staatsanwalt mit dem vorliegenden Verfahren nichts zu tun gehabt. Diese Erklärungen erscheinen nun sehr zweifelhaft.

Die Besetzung des Gerichts mit einem ehemaligen Anklagevertreter im selben Verfahren stellt in der Regel einen Revisionsgrund dar. Das heißt, das Oberlandesgericht in Dresden hätte das Landgerichtsurteil aufheben und neu verhandeln lassen müssen.

Zebischs Vorwürfe gehen weiter: Im Verfahren gegen den Taxifahrer Michael R. sei sie zur Berufungsverhandlung mit einem anderen Richter verabredet gewesen. Die Verteidigerin war "ganz erstaunt", sich im Gerichtssaal Herrn Jöst gegenüberzusehen. Daraufhin habe sie beantragt, die Verhandlung für eine Woche zu unterbrechen, um die Besetzung des Gerichts prüfen zu können. Die Verhandlung wurde jedoch, so Zebisch, nur für 30 Minuten unterbrochen. "Diese Zeit reichte nicht zur Prüfung."

Auch diesen Revisionsgrund wollte das Oberlandesgericht nicht anerkennen, weil, so Gerichtssprecher Bey, dies nur für die erste Instanz gelte. In der zweiten Instanz hätte die Anwältin schließlich im Vorfeld Gelegenheit gehabt, zu prüfen. Dem hält Verteidigerin Zebisch entgegen, daß sie dazu gar keinen Anlaß gehabt habe, da sie die Vorabsprachen mit einem anderen Richter getätigt hatte.

Ein weiterer Verfahrensfehler hat Zebisch zufolge bei der Auslosung der Schöffen stattgefunden. So sei eine Schöffin in einem Taxifahrerprozeß verhindert gewesen. Richter Jöst habe daraufhin aber nicht - wie in der Strafprozeßordnung vorgesehen - den erstplazierten Ersatzschöffen, sondern den Drittplazierten zur Verhandlung hinzugezogen. Der Eindruck, Jöst habe willkürlich gehandelt, liegt auf der Hand.

Für diese Willkür gibt es weitere Indizien: Das Landgericht Görlitz hatte die Berufungsverhandlungen gegen Taxifahrer wenige Tage nach der Berufung des ehemaligen Oberstaatsanwaltes zum Richter begonnen. Karin Zebisch wurde von einem Richter des Amtsgerichtes Zittau bereits abgeraten, überhaupt in Berufung zu gehen. Zebisch: "Der Amtsrichter sagte mir, dort würde sowieso Richter Jöst verhandeln. Und der sei kein Weichspüler." Das ganze klinge "nach einer Absprache, aber das kann ich natürlich nicht beweisen".

Die Anwälte der verurteilten Taxifahrer prüfen jetzt, ob die Urteile auf der europäischen Ebene aufgehoben werden können und fordern, die Strafen bis zur endgültigen juristischen Klärung zur Bewährung auszusetzen.

Der Taxifahrer Michael R. hatte am vergangenen Montag mit einem Hungerstreik im Amtsgericht Zittau gegen seine bevorstehende Inhaftierung protestiert. Abgeordneten der PDS hatte er ein Gnadengesuch an Sachsens Justizminister Steffen Heitmann (CDU) mitgegeben. Seine Festnahme konnte Michael R. damit nicht verhindern.

Bislang ist die PDS die einzige Partei, die sich - wenn auch recht dilettantisch - für die Zittauer Taxifahrer einsetzt. Zu den Fragen um die Gerichtsbesetzung fordert die PDS ein Eingreifen des sächsischen Justizministers - der sich wegen der Unabhängigkeit der Gerichte dazu gar nicht äußern darf. Doch immerhin hat das Agieren der PDS inzwischen die Vierte Gewalt auf den Plan gerufen: Etliche ausländische Journalisten versuchen nun, in Zittau Taxi zu fahren - um darüber zu berichten, wie die Chauffeure sie einfach auf der Straße stehenlassen, "weil Sie Ausländer sind".