Holistisches Regierungsprogramm

Venezuelas neuer Präsident ist der Linkspopulist und Ex-Putschist Hugo Chavez

In Venezuelas Oberschicht und bei den ausländischen Investoren herrscht dieser Tage Aufregung. Denn neuer venezolanischer Präsident ist der als Linkspopulist bezeichnete Ex-Putschist Hugo Chavez. Mit 56 Prozent der Stimmen ließ er bei den Präsidentschaftswahlen am vorvergangenen Wochenende den einzigen ernstzunehmenden Gegenkandidaten, den parteilosen Henrique Salas, weit hinter sich. Salas, der zuletzt von den beiden großen Parteien Acci-n Democr‡tica (AD) und Copei öffentlich unterstützt wurde, kam trotz dieser Wahlhilfe nur auf 40 Prozent.

Schon Anfang November konnte der von Chavez angeführte Parteienzusammenschluß "Patriotischer Pol", ein breites Spektrum aus zehn Parteien von Kommunisten bis rechten Nationalisten, bei den Regionalwahlen satte Gewinne verzeichnen. Als der Termin für die Präsidentschaftswahlen näherrückte und die Meinungsumfragen Chavez klar vorne sahen, wurden die Altparteien, die sozialdemokratische AD und die Christdemokraten der Copei, hektisch. Kurzerhand ließen sie ihre Kandidaten, die ehemalige Miß Universum Irene Saez und den AD-Vorsitzenden Luis Alfaro, fallen und riefen zur Wahl Salas' auf. Doch selbst als unabhängiger und somit Verstrickungen in den Parteienfilz kaum verdächtiger Kandidat konnte Salas das Blatt nicht wenden.

Mit dem Sieg Chavez' wird das politische Gefüge Venezuelas gründlich erschüttert. Das Land ist eine der ältesten Demokratien Südamerikas, die bis Anfang der neunziger Jahre als eines der stabilsten unter den ansonsten krisengeschüttelten politischen Systemen des Subkontinents galt. Seit 40 Jahren wechselten sich AD und Copei beim Regieren ab. Sie verstanden es, den Reichtum Venezuelas, der auf den großen Ölvorkommen basiert, unter sich aufzuteilen. Demokratie und Korruption nennt die Bevölkerung in einem Atemzug.

Neben der allgegenwärtigen Korruption trugen vor allem fallende Ölpreise und eine immense Auslandsverschuldung dazu bei, daß aus dem einst reichen Staat einer der ärmsten Südamerikas wurde. Dabei verpaßten es AD und Copei, die venezolanische Volkswirtschaft aus ihrer Abhängigkeit vom Ölsektor zu lösen und beispielsweise die schwach entwickelte Landwirtschaft zu stärken.

Steigende Armut, Inflation, Urbanisierung und Arbeitslosigkeit waren schon 1992 die Angriffsfläche für "El Comandante" Hugo Chavez. Damals noch Oberstleutnant beim venezolanischen Militär, versuchte er mit einer Handvoll Gefolgsleute aus den mittleren Rängen der Streitkräfte die Regierung des AD-Präsidenten Carlos Andrés Perez zu stürzen. Perez hatte mit einem rigiden Sparprogramm, das vor allem zu Lasten der armen Bevölkerungsteile ging, die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Gegenzug für Kreditzusagen erfüllen wollen.

Wenngleich Chavez' Putschversuch damals am Widerstand der Generäle scheiterte, und er zunächst zu 49 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, brachte ihm sein Ansinnen, Robin Hood zu spielen, große Sympathien ein. Bedenkt man, daß heute 80 Prozent der Venezolaner unter der Armutsgrenze leben, mag es kaum verwundern, daß der bereits 1994 begnadigte Chavez mit so deutlicher Mehrheit gewählt wurde.

Die Wut der Venezolaner über Mißwirtschaft und skrupellose Bereicherung der führenden Schichten war einfach zu groß. Mit seinen markigen Sprüchen, er wolle mit der Korruption aufräumen und die Köpfe der Mächtigen "in der Pfanne schmoren", hatte Chavez bei den enttäuschten Wählern genau den richtigen Ton getroffen.

Bei näherem Hinsehen erweist sich das Wahlkampfprogramm als diffuses Mischwerk aus linksnationalistischen Parolen und kryptischen Andeutungen. Sein Regierungsprogramm sei "holistisch, systemisch, nicht cartesianisch; es stützt sich auf ein endogenes Modell, das will heißen, es ist nicht autarkisch", ließ der Hobbyphilosoph wissen. Viel erhellender waren auch die meisten seiner populistischen Wahlkampfsprüche nicht. Nur selten wurde Chavez deutlich: Er wolle eine radikale Umverteilung des Reichtums und mehr Mittel für den Gesundheits- und Bildungssektor durchsetzen. Um seine Vorstellungen verwirklichen zu können, solle eine Volksabstimmung über eine Verfassunggebende Versammlung abgehalten werden. Diese neue Institution solle Rechte bis hin zur Auflösung des Kongresses erhalten.

Nicht nur diese Vision schreckt ausländische Anleger und das venezolanische Establishment. Mit Chavez' Zielsetzung, der nationalen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, könnten sich die Bosse und Banker wohl noch identifizieren. Doch daß er ankündigte, die seit 1989 laufenden IWF-Maßnahmen zu revidieren, gar die Schulden- und Zinszahlungen auszusetzen und ausländisches Kapital aus dem Land zu drängen, verunsicherte Wirtschaftspolitiker und Investoren gleichermaßen. Auch an der New Yorker Wall Street blickt man "mit Furcht", so die venezolanische Zeitung El Universal, auf den neuen Präsidenten.

Und die Meinung der Vereinigten Staaten gilt viel in Venezuela. Denn der größte Handelspartner Venezuelas sind die USA. Rund die Hälfte des venezolanischen Außenhandels wurde bislang mit Washington abgewickelt. Venezuela ist der führende Exporteur von Ölprodukten an die USA und ihr zweitgrößter Rohöllieferant. Doch Chavez' Chancen auf weitere gute Zusammenarbeit mit den USA gehen gegen Null. Denn dort gilt er seit seinem Putschversuch von 1992 als Terrorist und darf deshalb nicht einmal einreisen. Daß Chavez nach eigenen Angaben ein Freund und Bewunderer des kubanischen Staatschefs Fidel Castro ist, wird Skepsis und Mißtrauen in Washington noch steigern.

Auch der schwelende Streit der Opec-Staaten um die Ölfördermengen, den Venezuela mit Saudi-Arabien und Iran führt, schürt Ängste an der Börse in der Hauptstadt Caracas. Ende November, nach der ergebnislosen Konferenz der Opec-Staaten, hatte Kuwaits Ölminister Saud El Sabach vor einem weiteren drastischen Preisverfall für Öl gewarnt.

Chavez scheint nicht nur außenpolitisch, sondern auch im eigenen Land politisch isoliert. Er hat keinerlei Rückhalt in der Industrie oder bei den führenden Institutionen aus Politik und Gesellschaft. Selbst seine alten Verbündeten beim Militär haben sich von ihm abgewendet. Daß seine Vorhaben nur bei den Armen, die ihn gewählt haben, nicht auf Ablehnung stoßen, hat der 44jährige selbstverständlich bemerkt.

Um sich nicht völlig zu diskreditieren, schlägt "das Chamäleon" Chavez gegenüber potentiellen Investoren und der etablierten politischen Elite auch schon andere Töne an: Er fühle keinen Haß und sinne nicht auf Rache, sagte er am Wahlabend mit Blick auf diejenigen, die ihn 1992 ins Gefängnis brachten. Und den Investoren wolle er eine "Botschaft des Vertrauens" überbringen. Sie fänden in Venezuela eine "ernsthafte Regierung und aufrichtige Leute".