Intensives Arbeiten an der Wohlfahrt

In Modellversuchen sollen Sozialarbeiter eingesetzt werden, um Identität und Herkunftsland von Flüchtlingen zu ermitteln

Das ehemalige Kloster Blankenburg, an der Stadtgrenze von Oldenburg gelegen, dient als Zentrale Aufnahmestelle (Zast) für Asylsuchende. Hier oder in der Paralleleinrichtung, der Zast Braunschweig, müssen sich in Niedersachsen ankommende Flüchtlinge melden und - sofern sie nicht binnen Wochenfrist abgeschoben werden - mindestens drei Monate ausharren. Dann werden sie aus der vom Land betriebenen Unterkunft in eine kommunale verlegt werden. Rund 600 Menschen leben derzeit auf dem umzäunten Gelände.

Sie alle sind ausgestattet mit einem maschinenlesbaren Ausweis. Und ohne den läuft nichts. Ständig müssen die Flüchtlinge ihn vorlegen: beim Verlassen und Betreten des Areals, zum Empfang des Kantinenessens, bei der Kleiderausgabe, beim Arzt, beim Friseurbesuch und bei der Auszahlung des Taschengeldes von monatlich rund 80 Mark. Auch die Betreiber des Lagers, Beamte des privaten Wachdienstes und Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialdienstes (ASD) können verlangen, daß die Asylsuchenden den Ausweis vorzeigen.

Diese Kontrolle würde die "Erstaufnahmeeinrichtung" kaum von den meisten anderen in der Republik unterscheiden, wäre Blankenburg nicht eines der Lager, in denen die niedersächsische Regierung mit einem Modellversuch angetreten ist.

Die Oldenburger Besonderheit besteht in "Haus 16", wo derzeit rund 20 Männer schwarzer Hautfarbe zwangsuntergebracht sind. Aus welchen Staaten sie kommen, geben sie nicht preis. Zu ihren Fluchtursachen sagen sie lediglich: "Einige von uns haben ihr Land im Krieg verlassen, andere aus politischen Gründen." Antworten, die bei den Ausländerbehörden auf Verärgerung stoßen. Schließlich stehen sie damit vor dem Problem, die Afrikaner - obwohl sie zum Teil bereits seit Jahren "vollziehbar ausreisepflichtig" sind - praktisch nicht abschieben zu können. Denn für Personen unbekannter Identität ein Paßersatzpapier zu beschaffen, ist ein auch für den eifrigsten deutschen Beamten nur schwer zu bewerkstelligendes Kunststück, zumal sich Diplomaten aus C(tm)te d'Ivoire oder Nigeria nur selten davon überzeugen lassen, fremde Staatsbürger zu eigenen zu stempeln.

Für die Männer von "Haus 16" hatte dies zur Folge, daß sie bis vor sieben Monaten in verschiedenen niedersächsischen Kommunen geduldet werden mußten. Im Mai wurden sie dann in Blankenburg eingewiesen, wo sie zusätzlich zu den dort üblichen Schikanen zweimal in der Woche zu formalen Verhören durch die im Lager angesiedelte Außenstelle des Nürnberger Bundesamtes antreten müssen.

Bei diesen Gelegenheiten sind regelmäßig Dolmetscher und andere - wie es offiziell heißt - "Experten" anwesend, die Sprach- und sonstige Kenntnisse der Vorgeführten, etwa die Namen von Städten oder prominenten Personen des unterstellten Herkunftslandes zu ermitteln und begutachten suchen. Ob bei ihren Eßgewohnheiten oder anderen alltäglichen Handlungen, rund um die Uhr werden die Männer beobachtet. Vor allem die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen des ASD lassen keine Gelegenheit aus, um die namenlosen Afrikaner von der Ausweglosigkeit ihrer Situation zu überzeugen und Hinweise auf ihre verschleierte Identität zu ergattern.

"Intensives Arbeiten" mit widerständigen Flüchtlingen nennt dies Gutzmer, Leiter des Ausländerreferates im Hannoveraner Innenministerium und verantwortlich für die modellhafte Erprobung des Projekts "Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer mit ungeklärter Staatsangehörigkeit". Auf den Weg gebracht wurde es bereits Anfang des Jahres im Rahmen der "AG Rückführung" - kurz: "AG Rück" -, einer seit 1993 bestehenden Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz. Seine praktische Umsetzung erfolgt bis heute nicht nur in Oldenburg. Auch in Braunschweig und den angeschlossenen Lagern sowie in Minden-Lübbecke, einer von Nordrhein-Westfalen betriebenen Sammelstelle für Flüchtlinge, wird nach den Maßgaben des Projektes vorgegangen.

Für die juristische Grundlage sorgen entsprechende Erlasse der jeweiligen Landesinnenminister. Dort werden die kommunalen Ausländerämter aufgefordert, in Frage kommende Personen zu melden und sie zu verpflichten, sich in einer der genannten Einrichtungen einzufinden. In den noch unter der Regie der rot-grünen Landesregierung Schröder / Trittin 1991 ins Leben gerufenen niedersächsischen Institutionen stehen jeweils 60 Plätze zur Verfügung. In dem von der rot-grünen Landesregierung in Düsseldorf verantworteten Lager in sind es 100.

Zur Konzeption des Vorgehens weiß man in Hannover: "Erfahrungen bei der Betreuung von Abschiebehäftlingen zeigen, daß kontinuierliche und intensive Bemühungen durch die mit dieser Aufgabe betrauten Bediensteten geeignet sind, die Betroffenen zu veranlassen, an der Aufklärung ihrer Identität und der Ausstellung von Heimreisedokumenten mitzuwirken." Und weiter heißt es: "Die hierfür erforderlichen zahlreichen Kontaktaufnahmen und Betreuungsmaßnahmen sind nur möglich, wenn die ausreisepflichtigen Ausländer problemlos erreichbar sind und die spezifischen Kenntnisse und Erfahrungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Ausländerbehörden, von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Dolmetscherinnen und Dolmetschern am Ort vorhanden sind."

In Nordrhein-Westfalen wird auf vergleichbare Faktoren gesetzt; allerdings zielt man hier speziell auf Abschiebehäftlinge ab, die selbst ein Knastaufenthalt nicht zur aktiven Mithilfe an ihrem Abtransport hat bewegen können. Zu ihrer Auswahl setzen die Behörden denn auch ausdrücklich auf die Einschätzung der in den Flüchtlingsknästen an Rhein und Ruhr eingesetzten Beratungskräfte des Deutschen Roten Kreuzes Westfalen-Lippe sowie der ehrenamtlichen Betreuer in den Hafthäusern. Deren Empfehlung soll "eingeholt und möglichst berücksichtigt werden".

Die Verantwortlichen in Niedersachsen hingegen rücken eine andere Gruppe ins Fadenkreuz ihrer neuen Maßnahmen: Jene rund 1 200 Menschen im Land, die sich bisher erfolgreich geweigert haben, "freiwillig" auszureisen bzw. in Kooperation mit den Ausländerbehörden ihre Abschiebung zu ermöglichen.

"Ganz Deutschland schaut auf uns", betont entsprechend Gutzmer aus dem niedersächsichen Innenministerium. Zum Treffen der "AG Rück" legte er am 2. Dezember eine Zwischenbilanz vor, deren Ergebnis besagt: Von 110 Flüchtlingen, die bis einschließlich Oktober die Aufforderung erhielten, sich in einem der beiden Massenlager des Landes einzufinden, gaben elf ihre Identität auf der Stelle zu erkennen, weitere zehn nach einiger Zeit. Fünf von ihnen wurden mittlerweile abgeschoben. 39 Menschen tauchten unter. Für 14 war die Frist noch nicht abgelaufen, sich zu entscheiden.

So bleiben also neben einem Dutzend Leidensgenossen in Braunschweig nur noch die Insassen von Haus 16 in Blankenburg, die - nachdem ihnen vor kurzem auch noch die Streichung ihrer vor allem zum Kaufen von Mineralwasser benötigten paar Mark angekündigt wurde - in einer Protestnote schrieben: "Wir bitten die Öffentlichkeit, uns zur Hilfe zu eilen, denn wir werden mißhandelt."