Am Abwickel

Die IG Farben AG i.A. gerät in Bedrängnis: Keine Aktionärsversammlung, kein Liquidator, keiner liebt sie

Aktienrechtlich hätte die Aktionärsversammlung der IG Farben AG in Abwicklung (i.A.) eigentlich schon während der ersten acht Monate des Jahres stattfinden müssen. Weil es sich für die Liquidatoren, wie die Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft heißen, als äußerst schwierig gestaltete, in Frankfurt am Main einen geeigneten Raum zu finden, hatte die "Nazi gas firm" (Wall Street Journal) zuletzt angekündigt, die Versammlung am 18. Dezember durchführen zu wollen. Nun platzte erwartungsgemäß auch dieser Termin. Jahrelange Proteste hatten den IG-Farben-Aktionärsversammlungen den Ruf eingetragen, sehr viel ereignisreicher zu verlaufen als diejenigen anderer Firmen.

Für weitere Verzögerungen sorgte ein erneuter Besitzerwechsel: Die bisherigen Liquidatoren traten zurück, und mit Volker Pollehn, einem Rechtsanwalt aus dem schleswig-holsteinischen Mölln, ist bisher nur ein neuer Liquidator benannt; nach einem zweiten wird noch gesucht. Nachdem in Mölln Flugblätter verteilt worden waren, die dazu aufriefen, den neuen Liquidator "sozial zu ächten", sprach Pollehn am 18. Dezember das erste Mal auch mit einem Journalisten. Gegenüber der Schweizer Sonntagszeitung kündigte er an, die nächste IG-Farben-Aktionärsversammlung werde auch die letzte sein. Noch sei aber nicht klar, wer der neue Hauptaktionär sei. Im Sommer war die IG-Farben-Aktie stark gehandelt worden; die FAZ meldete einen Eigentümerwechsel. Pollehn betonte, er sei vom Aufsichtsrat gebeten worden, in den Vorstand der IG Farben zu kommen. Er lasse sich "von niemandem in seiner Distanz zur Geschichte der IG Farben überbieten", so Pollehn, und werde sich für die Forderungen der ehemaligen Zwangsarbeiter einsetzen.

Wie die Auflösung der Firma und die Erfüllung der Forderungen der ehemaligen IG Farben-Zwangsarbeiter konkret aussehen soll, dazu möchte Pollehn aber erst auf der Aktionärsversammlung Stellung nehmen. Wann die nun stattfinden soll, weiß aber auch Pollehn nicht. Man bemühe sich weiter um einen Raum in Frankfurt, sehe dort aber kaum noch Möglichkeiten. Als Alternativen würden Hamburg oder Bremen überlegt, weil auch an den dortigen Börsen die IG-Farben-Aktie gehandelt werde.

Pollehns plötzliche Redseligkeit mag auch damit zusammenhängen, daß in der zweiten Gesprächsrunde der deutschen Konzerne bei Kanzleramtsminister Bodo Hombach eine weitgehende Einigung erzielt worden sein soll. Der Frankfurter Rundschau zufolge will Hombach noch vor Weihnachten mit der Einigung an die Öffentlichkeit gehen. Diese soll aber zwei für die Überlebenden zentrale Fragen nicht betreffen: Erstens ist bisher kaum eine Firma bereit, in die Stiftung einzuzahlen; zweitens wollen sich die Firmen nur beteiligen, wenn sie dafür eine Garantie erhalten, nicht weiter mit Ansprüchen behelligt zu werden. Aus Anlaß der geplanten Aktionärsversammlung führten Kritiker der Firma am 18. Dezember in mehreren Städten einen Aktionstag gegen den ehemaligen Nazi-Konzern durch. In Frankfurt endete eine Besetzung der Geschäftsräume der IG Farben mit einer polizeilichen Räumung. Etwa 200 DemonstrantInnen zogen von der ehemaligen Konzernzentrale zum heutigen Firmensitz. In Berlin brachten etwa 50 AntifaschistInnen vor der SPD-Zentrale im Willy-Brandt-Haus eine Gedenktafel für die Opfer der Zwangsarbeit an, um auf die Rolle der neuen Bundesregierung bei der Verschleppung einer Entschädigungsregelung für die ehemaligen Arbeitssklaven aufmerksam zu machen.