Meine Täter, deine Täter

iranischen Behörden machen Volksmudjahedin, CIA und Mossad für Morde an Intellektuellen verantwortlich

Die Mordserie an iranischen Intellektuellen in den letzten Wochen ist weitgehend aufgeklärt. Das behaupten zumindest die iranischen Sicherheitsbehörden, die einige der Täter in der vergan- genen Woche verhaftet haben wollen.

Der jüngsten Terrorwelle waren erneut iranische Schriftsteller und Politiker zum Opfer gefallen, in säkularen Intellektuellenkreisen ging die Angst um. Einige hielten sich versteckt, die Frage, wer wohl als nächster an der Reihe sein würde, machte die Runde. Unter den Toten befand sich mit Dariusch Foruhar auch ein ehemaliger Minister, sowie seine Ehefrau Parvaneh Eskandari. Foruhar, Politiker einer nationalbürgerlichen Partei, war bereits nach dem CIA-Putsch in Iran 1953 erstmals verhaftet worden.

Immer wieder war Foruhar als Kritiker der khomeinistischen Gesetzgebung aufgetreten. In einem - ins Ausland geschmuggelten - Interview mit einem Exilsender hatte er die Wahlen im Iran der letzten 18 Jahre zuletzt als Schauspiel bezeichnet, was auch für die Wahl des Reformers Mohammad Khatami zum Präsidenten im vergangenen Jahr zutreffe: Von der Bevölkerung werde die islamische Regierung längst abgelehnt. Die Verfassung, auf die sich Khatami berufe, setze sich aus "krebsartigen" Artikeln und Paragraphen zusammen; die Rechte der Bevölkerung seien nicht gewahrt. Die der iranischen Verfassung entgegenstehende Vermischung von Religion und Politik bezeichnete er in dem Gespräch als das Schlimmste, was in der heutigen Welt geschehen könne. Mit dieser Botschaft hatte er sein Todesurteil schon unterzeichnet, die "rote Linie" - die Grenze dessen, was im Iran an Kritik geduldet wird - war überschritten.

Die getöteten Madjid Scharif, Mohammad Mochtari und Mohammad Jafar Pujandeh gehörten dem engeren Kreis einer Gruppe von 134 Schriftstellern an, die 1994 Meinungsfreiheit und die Aufhebung der Zensur gefordert hatten und einen unabhängigen Schriftstellerverband gründen wollten.

Seit dem 25. August ist darüber hinaus Piruz Dawani verschwunden, was Foruhar zwei Tage später der ausländischen Presse bekannt gemacht hatte. Nachdem er 1994 aus dem Gefängnis entlassen worden war, setzte er sich sowohl für Ayatollah Montazeri, den unter Druck geratenen Hauptrivalen des geistigen Oberhauptes des Iran, ein, wie zuletzt auch für den Schriftsteller Faradj Sarkuhi, berichtete ein Angehöriger.

Ende November wurde dann die Leiche eines engen Mitarbeiters von Dawani, Mohammad Rostami aus Hamadan, gefunden. Zur gleichen Zeit - so der Iranische Schriftstellerverband im Exil in Köln - fand man den Autor Mohammad Hadschisadeh sowie seinen Sohn tot auf.

Am 9. Dezember verschwand der Schriftsteller Pujandeh, drei Tage später wurde seine Leiche gefunden. Am gleichen Tag forderte Präsident Khatami, der sogenannte Reformer, nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Irna auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in Teheran Polizei und Geheimdienste auf, die Ermittlungen voranzutreiben. Am 13. Dezember berichtete Irna weiter, daß mehr als 140 Mitglieder des islamischen Majlis-Parlaments in einem Brief an Khatami gefordert hätten, die Mörder inhaftieren zu lassen: Zweifellos hätten die Volksmudjahedin und ausländische Geheimdienste bei dem Mord ihre Hände im Spiel gehabt.

Tags darauf verurteilte der religiöse Führer des Landes, Ayatollah Mohammad Khamenei, die Gewalttaten: Alle Regierungsstellen seien angewiesen, die Mordserie ernsthaft zu verfolgen. Einen Hinweis, wo die Verantwortlichen zu suchen seien, gab er gleich mit: Die "Welt-Arroganz" - gemeint waren die USA - versuche, der islamischen Regierung die Morde anzuhängen. Ziel dabei sei, "dem Land und der Revolution zu schaden". Zwei Tage später meldete Irna dann Vollzug: Mehrere Mitglieder der Volksmudjahedin seien verhaftet worden. Und Geheimdienstminister Ghorbanali Dorri-Nadjafabadi präsentierte auch gleich die angeblichen Drahtzieher: CIA und Mossad hätten die Volksmudjahedin gesteuert. Eine nicht besonders schlüssige Behauptung, werden die überwiegend vom Irak aus operierenden Volksmudjahedin von der CIA doch längst als terroristische Organisation angesehen.

Eine andere Version als der Geheimdienstchef halten einige Studentenorganisationen in Teheran parat: Nach der Beisetzung des Schriftstellers Mochtari in Teheran vergangene Woche bestritten Studentenvertreter eine Verantwortung der Mudjahedin. Außerdem äußerten sie die Befürchtung, daß Anhänger Khameneis die Morde zum Anlaß nehmen könnten, den sogenannten Reformkurs des Präsidenten Khatami zu stören.

Weiter ging der frühere iranische Staatschef Abolhassan Banisadr, der in Versailles im Exil lebt. Er beschuldigte die Gegner des als gemäßigt geltenden Staatschefs Khatami der Mordserie. Nach seinen Informationen habe eine Allianz, der Ayatollah Khamenei und Khatamis Amtsvorgänger Akbar Haschemi Rafsandschani angehörten, die Attentate in Auftrag gegeben. Khamenei wies die Vorwürfe zurück: Bei den Widersprüchen innerhalb der iranischen Führung handele es sich lediglich um Meinungsverschiedenheiten, wie sie unter Brüdern, die für ein gemeinsames Ziel kämpften, üblich seien.

Das sieht der mittlerweile im Exil lebende Autor Faradj Sarkuhi anders. Er machte das direkt dem Präsidenten Khatami unterstehende Informationsministerium für die Morde an Mochtari und Scharif verantwortlich. Khatami habe, so zitierte ihn der Tagesspiegel in seiner Ausgabe vom 11. Dezember, "Angst bekommen angesichts der weitreichenden Forderungen der Öffentlichkeit nach Demokratie und Freiheit, die er mit seinem Aufruf zur Öffnung des Systems ausgelöst hatte". Der Präsident wolle Reformen nur innerhalb eines islamischen Systems; keinesfalls wolle er der "Gorbatschow des Iran" werden - sondern versuche nun, die Menschen zum Schweigen zu bringen.

Einen direkten Zusammenhang habe Sarkuhi, so der Tagesspiegel weiter, zwischen den Morden und einer Rede Khatamis vor mittlerweile gut drei Wochen hergestellt. In dieser habe der Präsident ausdrücklich nur eine islamische Demokratie zugelassen und alle laizistischen Bestrebungen scharf angeprangert.

Aber nicht nur Intellektuelle sind in Iran mörderischer Verfolgung ausgesetzt. Im Juli wurde Ruhollah Rohani, Angehöriger der Bahai-Religionsgemeinschaft, hingerichtet. Die Bahai beanspruchen die Zugehörigkeit zu einer post-islamischen Weltreligion und werden daher in allen islamistischen Gesellschaften streng verfolgt. Ab September steigerten sich die repressiven Maßnahmen noch: Gegen zwei Häftlinge wurde die Todesstrafe bestätigt, Anfang Oktober nahmen iranische Beamte in 14 Städten außerdem 36 Dozenten einer privaten Bahai-Hochschule fest. Diese hatten Fernstudien mit kanadischen Universitäten organisiert, weil nach iranischen Gesetzen Bahai keine höheren Schulen und Universitäten besuchen dürfen. In landesweit über 500 Privatwohnungen beschlagnahmten die Behörden Einrichtungsgegenstände und Lehrmittel sowie Computer, Laborgeräte und Literatur.