Ökonomie der Säuberung

Saddam Hussein nutzt jede äußere Konfrontation, um den Druck nach innen zu verstärken

Immer wenn sich die direkte Konfrontation mit den USA zuspitzt, verstärkt das irakische Regime um Saddam Hussein den Terror nach innen. Denn gerade in Krisenzeiten soll jede reale oder potentielle Opposition unter Kontrolle gehalten werden: Die landesweiten Aufstände von 1991, die erstmals eine Bedrohung der Regierung durch die innere Opposition darstellten, sind noch längst nicht vergessen.

Vor einem Monat, als der Streit zwischen der irakischen Regierung und den USA schon einmal zu eskalieren drohte, meldete das Menschenrechtszentrum der irakischen KP die Exekution von 125 Gefangenen in irakischen Gefängnissen. Diese Hinrichtungen waren Teil einer im Frühjahr begonnenen Kampagne, die offiziell "Aktion zur Säuberung der Gefängnisse" genannt wird und der bisher mehr als 2 000 Gefangene zum Opfer gefallen sein sollen.

Ein Auslöser dafür war die Forderung des UN-Menschenrechtsbeauftragten Max von der Stoel im Frühjahr letzten Jahres, Menschenrechtsinspektoren sollten die Lage in den Gefängnissen des Landes kontrollieren. Im März 1997 begann das Regime, das Präsidenten-Dekret Nr. 181 zu erfüllen. Inhalt der Vorlage: Gefangene, die wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten und Bestre-bungen, die zum Sturz der irakischen Regierung führen sollten", inhaftiert worden waren, seien nun hinzurichten. Unter Zeitdruck - die Inspektionen waren für den Sommer des Jahres angekündigt - begannen Sonderpolizisten, das Dekret umzusetzen und die Gefangenen zu beseitigen, die den UN Einzelheiten über die Haftbedingungen hätten berichten können.

Seitdem geht die Kampagne unverändert weiter, auch wenn die UN-Menschenrechtsorganisation es längst aufgegeben hat, auf der Besichtigung der Haftanstalten zu insistieren. Denn mit den Hinrichtungen gelingt es dem Regime, vermehrt Angst innerhalb der Bevölkerung zu verbreiten - zumindest in Bagdad ist das Vorgehen gegen Gefangene gerüchteweise bekannt. Aber auch aus Sicht der spezifischen "Ökonomie" der Baath-Regierung ist das Vorgehen folgerichtig, sind doch die Gefängnisse sowohl mit "normalen" als auch mit politischen Gefangenen überfüllt. Die desolate ökonomische Lage hat in den letzten Jahren die Kriminalitätsrate in die Höhe getrieben, aber auch Unmutsäußerungen und regimefeindliche Handlungen haben für einen steten Nachschub in den Strafanstalten gesorgt. Als im April der Minister für Arbeit und Soziales der Tageszeitung Nabdh al Shabab klagte, daß "die Zahl der Gefangenen die Kapazität unserer Gefängnisse um ein Fünffaches" übersteige, hieß das nichts anderes, als daß geplant sei, "überzählige" Häftlinge zu liquidieren.

Das Regime Saddam Husseins kennt für vermeintliche oder reale Gegner nur drakonische Strafen; angekündigte Amnestien, die dem Ausland ein Entgegenkommen signalisieren sollen, betreffen lediglich "normale" Gefangene.

Außenstehenden mag es besonders makaber vorkommen, daß unter den kürzlich Hingerichteten, deren Namen von der KPI veröffentlicht wurden, sich auch die von verschwundenen Personen befinden, die in der Vergangenheit ohne Anklage festgenommen wurden: Allein über den Verbleib von über 100 000 Kurden, die während der sogenannten Anfal-Kampagne 1988 aus dem Nordirak deportiert wurden, ist bis heute nichts bekannt. Auch Namen von Südirakern, die 1991 an Aufständen gegen das Regime, die der Niederlage im Golfkrieg folgten, teilgenommen hatten, tauchen nun wieder auf.

Es scheint Teil der Politik Saddam Husseins zu sein, gewisse Informationen "durchsickern" zu lassen, die jedem vor Augen führen, was ihn erwartet, sollte er vom Regime als Gegner betrachtet werden. So ist auch die Meldung zu lesen, daß im Rahmen der Säuberung und "Reorganisation" des Gefängniswesens im Februar über 1 000 Gefangene, die zu den sogenannten Fayli-Kurden gezählt werden und seit Mitte der achtziger Jahre als verschwunden galten, in die Keller des berüchtigten Abu-Graib-Gefängnisses verlegt worden seien.

Fayli-Kurden sind Nachkommen einer Gruppe von ehemals aus Persien stammenden Einwanderern, die während des ersten Golfkrieges von Saddams Regime zu feindlichen Ausländern erklärt wurden, obwohl sie schon in der dritten oder vierten Generation im Irak ansässig waren. Der Großteil dieser Faylis wurde Anfang der achtziger Jahre in den Iran deportiert, einige Tausend verschwanden, um teilweise nun, nach 15 Jahren, wieder "aufzutauchen".

Andere Faylis sollen nach Informationen der Opposition als Versuchsobjekte für Experimente mit chemischen und biologischen Kampfstoffen verwendet worden sein. Die Kommunistische Partei spricht von mindestens tausend Menschen, die im vergangenen Jahr für derartige Zwecke mißbraucht wurden.

Obwohl der Umgang mit irakischen Gefangenen international bekannt ist und regelmäßig auch in Berichten von amnesty international und der UN publiziert werden, spielt dies in Konflikten mit dem Irak nur eine sekundäre Rolle. Die Auseinandersetzung um Aufrüstungsprogramme und Waffeninspektionen steht im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen dem Irak und den USA - obwohl es dazu, verglichen mit der Informationsfülle, die über irakische Menschenrechtsverletzungen vorliegt, nur wenige konkrete Informationen gibt. Eine westliche Außenpolitik, die vom irakischen Regime auch nur die Einhaltung von menschenrechtlichen Mindeststandards einfordern würde, geriete in Gefahr, sich international lächerlich zu machen. Ist doch in London, Washington und rudimentär auch in Bonn bekannt, daß das irakische Regime konstitutiv auf der Mißachtung dieser Standards fußt.

Maßstäbe, die wie selbstverständlich an Jugoslawien angelegt werden, müßten beim Irak notwendigerweise zur Forderung nach einem sofortigen militärischen Sturz Saddam Husseins und des Baath-Regimes führen, stellt doch das System selbst seit seinem Bestehen 1979 eine andauernde Menschen- und Völkerrechtsverletzung dar. Momentan aber wäre eine derartige Konfrontation nicht mit den kurzfristigen Interessen der verbliebenen Anti-Irak-Koalition vereinbar. Einerseits fehlt die oppositionelle Systemalternative - nach Einschätzung des Pentagon existiert momentan keine irakische Opposition, die in der Lage wäre, das Land nach einem Sturz der Regierung säkular und im Interesse des Westens zu kontrollieren. Andererseits halten sich sowohl die USA als auch Großbritannien weiterhin eine vage Option offen: die Hoffnung, daß innerhalb des Militär eine einflußreiche Gruppe gegen Saddam Hussein putschen könnte, die dann, unter Beibehaltung der politischen Strukturen, als demokratischere Herrschaftsform international akzeptiert werden könnte.

Da aber schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen notwendiger Teil der bisherigen Machtausübung im Irak waren, finden sich wohl kaum Militärs oder Politiker, deren Vergangenheit auch nur ansatzweise für eine Legitimation als neue Machthaber taugen würde.

Vor diesem Dilemma steht die US-Politik, ohne bisher auch nur in Ansätzen Lösungsvorschläge vorweisen zu können. Selbst das "Indict"-Projekt, also der Versuch, Saddam Hussein und seine engsten Mitstreiter vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal zu stellen, das auch von hochrangigen Politikern wie Margaret Thatcher, George Bush und anderen unterstützt würde, steht vor diesem Problem.

Denn würde dies gelingen und die irakische Führung stünde geschlossen vor Gericht, käme diese strukturelle Beschaffenheit der irakischen Diktatur ans Licht und damit die Tatsache, daß sie mittels eines Putsches nicht reformierbar gewesen wäre. Zudem müßte die internationale Tolerierung und Unterstützung des Regimes bei Giftgaseinsätzen gegen iranische Soldaten und die eigene Bevölkerung in Kurdistan behandelt werden.

Abgesehen von der Tatsache, daß in diesem Fall die BRD mit ihrer direkten Hilfe an den Irak eigentlich mit auf die Anklagebank eines solchen Tribunals säße, müßte auch die logistische Hilfe der USA, Frankreichs und Großbritanniens thematisiert werden und damit Tatsachen, die ähnlich unangenehm wären wie entsprechende Enthüllungen im Fall Pinochet. Wobei beim Irak auch noch der ideologische Bonus wegfallen würde: Nämlich daß man, wenn auch schweren Herzens, das sogenannte kleinere Übel in Form eines antikommunistischen Bollwerkes unterstützt habe.

Aus diesem Grund wird ohne großen Protest die Säuberungswelle in irakischen Gefängnissen auch im dritten Jahr ungestört fortgeführt werden. Wie hilflos Appelle klingen, die sich in diesem Fall nicht mit der Forderung verbinden, Saddam Hussein von außen militärisch zu stürzen, zeigen die Publikationen des Menschenrechtszentrums der KP. Diese enden jedes Mal mit einem Forderungskatalog an die UN und Menschenrechtsorganisationen, dem "Schlächter von Bagdad" in den Arm zu fallen. Und im gleichen Atemzug wird dann auch die "imperialistische Politik der USA" angegriffen.