Versprechen und Ehrenwörter

Sind nicht erst seit Barschels "Ich gebe Barschels "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!" fragwürdig in der Politik. Sie werden in der Regel gebrochen. Die Bewohner der zehn Dörfer rund um den Wittstocker Bombenabwurfplatz erleben gerade ihre Lektion dieses speziellen Sittenverfalls.

Anfang der neunziger Jahre hatte Verteidigungsminister Volker Rühe versprochen, keine Militärstandorte der einstigen Sowjetarmee durch die Bundeswehr übernehmen zu lassen. Aber zum Truppenübungsplatzkonzept, das der Bundestag danach auf Empfehlung der Hardthöhe beschloß, gehörten schließlich doch die 142 Quadratkilometer Heide zwischen Wittstock, Neuruppin und Rheinsberg: ein Gebiet, über dem Jagdbomber der sowjetischen Luftstreitkräfte vor der Wende jedes Jahr bei bis zu 25 000 Einsätzen Luftangriffe übten. Scharfe Bomben und Raketen wurden noch über den Ortschaften ausgeklinkt und abgefeuert. Ein Trauma für die Bürger.

Rettung versprach dann im Sommer 1994 der offenbar grundsolide SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping. Auf seiner Wahlkampftour war ihm das direkt an der Grenze zum Bombodrom gelegene Gadow einen Abstecher wert. Als Gast der 22. Protestwanderung der Bürgerinitiative "Freie Heide" versicherte er, unter einer SPD-Regierung werde "das hier nicht mehr Truppenübungsplatz" sein. "Dieser Platz ist unnötig. Auf Wiedersehen, wenn wir die Schließung des Platzes feiern." Mit diesem Wort lehnte sich Scharping nicht mal weit aus dem Fenster. Das war seit einem Sonderparteitag im November 1992 SPD-Beschluß: "Die bisherigen sowjetischen Truppenübungsplätze in Ostdeutschland, Wittstock und Colbitz-Letzlinger Heide, werden wir stillegen, sanieren und dem Naturschutz zur Verfügung stellen."

Mit dem um vier Jahre verzögerten Wahlsieg der SPD atmeten auch die engagierten Bürger rund ums Bombodrom auf. Im Oktober letzten Jahres hatte Scharping der Bürgerinitiative in einem eigenhändig unterzeichneten Schreiben "für die Arbeit weiterhin viel Erfolg" gewünscht - ein gutes Zeichen. Daß er dann auch noch auf den Posten des Verteidigungsministers kommandiert wurde, schien ein Glücksfall. Doch seither herrscht Funkstille.

Ignoriert wurde selbst ein Offener Brief der Bürgerinitiative an alle Bundestagsabgeordneten, den 41 Prominente unterstützten, darunter Ralph Giordano, Günter Grass, Stephan Heym und Regine Hildebrandt. Die Abgeordneten werden hierin gebeten, sich für eine zivile Nutzung des Luft-Boden-Schießplatzes einzusetzen. Bei der Vorstellung des zweiseitigen Schreibens Anfang Dezember im Berliner Haus der Demokratie bezeichnete Walter Jens die Entscheidung der rot-grünen Regierung über den Bombenabwurfplatz als "Nagelprobe". In Wittstock werde sich zeigen, ob die Bundesrepublik unter der neuen Regierung den Weg einer zivilen Gesellschaft einschlage oder eine "unheilvolle militärische Kontinuität" fortsetze.

Eine Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages unter Vorsitz des SPD-Abgeordneten Helmut Wieczorek machte am 9. Dezember die Richtung klar. Auch wenn das 39köpfige Gremium keinen Beschluß faßte, so deuteten SPD-Abgeordnete doch recht offen an, daß auch die neue Bundesregierung die Heide weiter militärisch nutzen will: 1994 seien andere Zeiten gewesen, Scharping habe andere Ämter bekleidet. Staatssekretär Walter Kolbow meinte schließlich auf PDS-Anfrage, daß man auf Offene Briefe keine Antwort erwarten könne.

Sprecher der Hardthöhe bestehen darauf, daß allein der neue Verteidigungsminister über die Nutzung des Heide-Gebietes zu entscheiden hat. Folgt der einem im Dezember erarbeiteten Konzept der Bundeswehr, dann wird es eng. Dort wird festgestellt: "Die Nutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock führt zu einer gerechten Verteilung der Verteidigungslasten. Dies gilt nicht nur für die Verteilung zwischen den alten und den neuen Bundesländern, sondern auch im Verhältnis der neuen Bundesländer zueinander." 3 000 Einsätze pro Jahr soll die Luftwaffe über dem Bombenabwurfplatz mit Übungsmunition fliegen. Zu jedem Einsatz können dabei mehrere Anflüge auf die Heide gehören. Und wie zu DDR-Zeiten sollen auf dem Gelände auch Heereseinheiten ausgebildet werden.

So bleibt der Bürgerinitiative nichts anderes übrig, als zu ihrem Versprechen zu stehen, den "gewaltfreien Widerstand gegen die Zumutung eines Luft-Boden-Schießplatzes solange fortzusetzen, bis das Ziel der zivilen Umgestaltung der vom Militär geschundenen märkischen Landschaft erreicht ist."

Am 1. Januar fanden sich in Schweinrich wieder knapp 1 000 Bürger zum 52. Protestmarsch ein. Darunter auch Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt. Sie steht zu ihrer Unterschrift. Derzeit scheiden sich selbst in Brandenburg die Geister am Bombodrom. Obwohl der Landtag die Landesregierung am 18. Dezember gegen Stimmen der CDU beauftragte, von der Bundesregierung einen Verzicht der Militärnutzung der Heide zu verlangen, versucht Ministerpräsident Stolpe wieder sauber über den Dingen zu schweben. Er forderte zum Jahresende von den Betroffenen mehr Nüchternheit im Streit. Abzuwarten seien Entscheidungen der Gerichte, die von allen anerkannt werden müßten. Als Insider versicherte er, daß Scharping sich seines Versprechens von 1994 durchaus bewußt sei.

Weit entschlossener trat da der neue Potsdamer Umweltminister Eberhard Henne auf. Er betonte, daß Tiefflüge und Bombenabwürfe über der Kyritz-Wittstocker Heide Tourismus und Umwelt schädigen würden. "Als Pazifist ist es mir überhaupt unverständlich, daß wir so etwas noch brauchen", kommentierte der einstige Leiter des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin die Schießplatzpläne.

Zusammen mit Stolpe nahm übrigens auch der künftige CDU-Landeschef Jörg Schönbohm den Verteidigungsminister in Schutz: "Wenn man in einem Amt ist, stellen sich die Fakten manchmal anders dar als leichtfertig abgegebene Wahlkampfversprechen." Der Ex-General will von einer übermäßigen militärischen Belastung der Brandenburger nichts wissen, er fordert ein Bekenntnis der Stolpe-Regierung zur Landesverteidigung.

Scharping ist nicht die erste Enttäuschung, die die Bürgerinitiative in ihren sechseinhalb Jahren Widerstand hinnehmen mußte. Der Fall scheint nur erneut zu beweisen, daß Politiker halt wankelmütige Gesellen sind, denen man nie mehr zutrauen sollte als sich selbst.