»Apo ist das Volk«

Loyal bis zur Selbstverbrennung: Der Personenkult um den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan wird auch von der Kurdistan-Solidarität mitgetragen

Die PKK-freundliche Kurdistan-Solidarität erlebt seit der Verhaftung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan in Rom eine Hochphase. "Apo Öcalan ist das Volk - Das Volk läßt sich nicht verbieten", ist eine typische Parole.

Von einer Politik, die immerzu ein kurdisches Volk beschwört und zum Subjekt erklärt, ist es nur ein kleiner Schritt hin zu der Position, dieses Volk in seinem Anführer verkörpert zu sehen. Die Behauptung eines homogenen Volkskörpers und der Personenkult um Öcalan sind Bestandteil einer Ideologie, die keine Abweichung kennt und Kritik nicht akzeptiert. Wer "Volk" zum Objekt erklärt, daß er / sie vertreten will, legitimiert damit die eigene Machtpolitik. Das gilt auch für Oppositionelle, die ihre eigene Bedeutung aufwerten wollen, indem sie sich - wie Öcalan und seine ParteigängerInnen - auf ein Volksinteresse berufen.

Fatale Folge der Gleichsetzung von Partei, Volk und Anführer sind die zahlreichen Selbstverbrennungen nach der Festnahme Öcalans, die für den PKK-Chef Druckmittel sind. Der Weltwoche erklärte er Ende letzten Jahres, gegen den Krieg der Türkei in Kurdistan "leisten wir weiter entschlossen Widerstand. (...) Über vierzig Kurden verbrannten sich aus Protest gegen die türkische Politik." Daß die Selbstverbrennungen ein integraler Bestandteil der politischen Praxis der PKK sind, bekräftigte er am 7. Dezember gegenüber der italienischen Zeitung La Stampa: Gefragt, ob er eine Auslieferung an Deutschland befürchtet habe, sagte Öcalan: "Dann hätte in Deutschland alles passieren können. Mehr als 50 Menschen hätten sich angezündet, Hunderte wären zum Hungerstreik bereit gewesen." So kritisierte er scheinbar den Nationalismus, um im nächsten Satz "Völker" als Subjekte der Politik anzuführen.

In einer Anzahl von Interviews stilisierte sich Öcalan zum Anführer eines kurdischen Volkes. Mitte Dezember erklärte er, er stehe über dem Guerillakampf der PKK und sei dafür nicht verantwortlich. Für eine Anerkennung auf dem Parkett der bürgerlichen Diplomatie stellte er damit die PKK-Guerillagruppen zur Disposition. Außerdem distanzierte er sich von der Sowjetunion, um sein Kommunistenimage loszuwerden: "Die Idee des realen Sozialismus - zuerst die Partei, dann der Staat und dann der Mensch - wird aufgegeben." In il manifesto kritisierte er die Stalinsche Nationalitätenpolitik nicht wegen ihrer Nationendoktrin, sondern wegen des "Chauvinismus einer großen Nation gegenüber kleinen Völkern".

Im Interview mit der Weltwoche erzählte Öcalan, wie Europa seiner Ansicht nach auf die kurdischen Flüchtlinge reagieren solle: "Einige versuchen, daraus wirtschaftlichen Profit zu schlagen. Hier können wir mit Europa zusammenarbeiten. Die Menschen, die sich an uns halten, kommen nicht auf illegale Weise nach Europa. Nur wenn sie wegen des Krieges geflohen sind, sollten sie Asyl erhalten, weil sie politische Flüchtlinge sind. Die Türkei wird dann nicht den Mut haben, die Menschen zu vertreiben, und die Flüchtlinge werden nicht glauben, daß sie in Europa leicht zu Geld kommen. Eine politische Beurteilung des Flüchtlingsproblems ist ebenso wie eine politische Beurteilung des Kurdenproblems eine Herausforderung für Europa." Als Diplomat eines fiktiven Staates geht Öcalan dabei mit dem Europa des Schengener Abkommens d'accord. Gerade in den letzten Wochen erregte sich die Europäische Union über die Flüchtlingsschiffe an der italienischen Ostküste.

Die Kurdistan-Solidarität trägt die One-Man-State-Diplomatie Öcalans weitgehend unkritisch mit. Es ist kein Zufall, wenn unter den Solidaritätsflugblättern für den PKK-Chef viel von "Bewegungsfreiheit für Abdullah Öcalan" die Rede ist, aber nicht von einem Bleiberecht für alle. Statt dessen heißt es: "Solidarität mit dem kurdischen Volk in seinem Kampf für Selbstbestimmung und Befreiung!" Oder: "Solidarität mit der PKK!"

Im Kampf gegen die Repression in Kurdistan und der BRD wird eine eigenständige Einschätzung häufig durch die Übernahme von Durchhalte- und Erfolgsparolen ersetzt. Die in der Linken seit Jahren geäußerte Kritik an der PKK-Politik wird in der Soliarbeit ignoriert. Vielmehr wird die Kritik an der Politik der PKK schlicht als Spaltung interpretiert und - wie bei einem Aufruf zur Kurdistan-Solidaritätsdemonstration im November in Hamburg, die eher eine Bilderschau von Öcalan-Portraits war - zustimmend das ZK der PKK zitiert: Öcalans Ziel sei "nicht das Suchen nach einem sicheren Aufenthaltsort, ein Aufenthaltsort kann für unsere nationale Führung in erster Linie in unserem Land gefunden werden." Die Forderung nach Asyl oder Bleiberecht taucht nicht auf, statt dessen die Versicherung: "Die jetzige Phase beweist, wie sehr das kurdische Volk hinter dem Befreiungskampf der PKK und ihrem Vorsitzenden Abdullah Öcalan steht."

Die Verwendung von Identität und dem "Selbstbestimmungsrecht der Völker" als positive Kategorien geht einher mit dem Bezug auf "Scholle" und "Heimat". Die ethnopluralistische Kategorie "Volk" führt direkt zum Dogma "jedeR an Ihrem Platz". Das Begriffspaar "Verwurzelte/Vertriebene" steht einem Ansatz, der von den Interessen geflüchteter Menschen ausgeht, entgegen.

Öcalan hatte den Rassismus gegen kurdische Flüchtlinge in Deutschland bereits früher mit der illegalen Flucht dieser Menschen erklärt und sich dafür entschuldigt, daß Kurden mit ihren Aktionen "die Gefühle des deutschen Volkes verletzt" hätten. Die kritiklose politische Praxis des Großteils der Kurdistan-Solidarität trifft sich mit den homogenisierenden Tendenzen des PKK-Befreiungsnationalismus.

Gerne wird beim Kampf für einen kurdischen Staat das "Völkerrecht" beschworen. Es wird suggeriert, eine "faire Kriegführung" sei möglich - gerade so, als könnten nicht unter Berufung auf die Haager Landkriegskonvention von 1907 staatliche Armeen gegen PartisanInnen "völkerrechtlich" abgesichert zehn PartisanInnen pro getötetem Soldaten hinrichten. Die Absurdität des "Völkerrechtsbezuges" wird deutlich an der Debatte um einen Internationalen Strafgerichtshof, die von der deutschen Außenpolitik forciert wird: Unter der scheinbaren Legitimation, Völker zu vertreten, wird eine neue Institution zur Absicherung der Geschäftsbedingungen des Weltmarktes Gerichtssitzungen abhalten.

Als ideologisches Konstrukt, hinter dem ein Gewaltverhältnis verschwinden soll, wirkt das internationale Recht auch bei der heuchlerischen Ausschlachtung des Ermittlungsverfahrens gegen den Ex-Diktator Chiles, Augusto Pinochet. Nachdem er seine Aufgabe erfüllt hat, die sozialistische Bewegung in Chile mit offener Gewalt zu unterdrücken, lassen ihn jetzt seine früheren Protegés aus Westeuropa fallen. Er ist für die Europäische Union nützlich bei ihrem Versuch, gegenüber der Ordnungsmacht USA mit einem internationalen Strafgerichtshof aufzutrumpfen, in dem die EU künftig internationales Recht mitdefinieren will.

Die einzige Kritik der Kurdistan-Solidarität bezieht sich nicht etwa auf die Ausblendung sozialer Widersprüche zu dem Zweck, die Illusion eines homogenen Volkes zu nähren. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, daß die PKK der Diplomatie einen zunehmend höheren Stellenwert beimißt als der linksradikalen Solidarität.

Dabei hat eine dermaßen auf offizielle internationale Anerkennung und Staatlichkeit ausgerichtete Befreiungsbewegung wie die PKK im Rahmen der diplomatischen Logik gar keine Alternative. Öcalan formulierte das in Rom freilich etwas offensiver: "Wir sind aus Ankara herausgegangen und haben die Partei gebildet, wir gingen in den Nahen Osten und wurden zur Armee, nun werden wir auf die Weltbühne treten und zum Staat werden." (nach: Die Woche, 20. November 1998)