Eröffnung ohne Marulanda

Im Vorfeld der Verhandlungen zwischen kolumbianischer Regierung und Farc traf sich die Guerilla mit Vertretern der USA

Der weiße Plastikstuhl vor dem Gelb-Blau-Rot der kolumbianischen Flagge blieb leer: Manuel Marulanda Vélez, der legendäre Führer der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc), kam nicht zur offiziellen Eröffnung der Friedensgespräche in der vergangenen Woche im Städtchen San Vicente del Cagu‡n, 700 Kilometer südlich von Bogot‡. Nach einer Dreiviertelstunde vergeblichen Wartens auf den Chef der größten Guerilla seines Landes entschied Präsident Andrés Pastrana, sich den historischen Moment dadurch nicht verderben zu lassen, und erklärte die Konsultationen für eröffnet. Marulanda hatte Vertreter geschickt, die erklärten, ihr Chef habe es aus Sorge um seine Sicherheit vorgezogen, nicht zu erscheinen. Farc-Kommandant Raœl Reyes etwa sagte: "Wir haben von einem geplanten Attentat auf sein Leben erfahren und wollten den Prozeß sicher beginnen."

Unter den 400 Journalisten aus aller Welt und den 2 000 geladenen Gästen machten sofort Gerüchte die Runde, der 69jährige Marulanda sei ernsthaft krank und die Sicherheitsbedenken nur vorgeschoben - ein Attentat vor den Augen der Weltöffentlichkeit schien ihnen doch zu unwahrscheinlich. Zumal die Farc selbst mit 3 000 Männern und Frauen die Sicherheitslage in der Region um San Vicente unter ihrer Kontrolle hat, seit vor zwei Monaten Armee und Polizei aus San Vicente und vier weiteren Großgemeinden im Süden des Landes - insgesamt ein Gebiet von der Größe der Schweiz - abgezogen sind.

Der Abzug war eine der Forderungen der Guerilla, um sich überhaupt mit der Regierung von Pastrana an einen Tisch zu setzen und über einen Frieden in dem von einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg zerrütteten Land zu sprechen. Kurz vor Weihnachten hatte der konservative Präsident den Abzug einer letzten Gruppe von 120 - angeblich unbewaffneten - Soldaten aus einer Kaserne in San Vicente angeordnet und so den letzten Stolperstein auf dem Weg zu direkten Gesprächen zur Seite geräumt.

"Die Regierung kommt zur Eröffnung der Gespräche mit einer offenen Tagesordnung, ohne die Absicht, Themen auszuklammern oder aufzudrängen", versicherte Pastrana und schlug den Guerilleros gleich einen Verhandlungspunkt vor, den sie kaum ablehnen würden: Die Rebellen sollen mitbestimmen dürfen, wie in den kommenden drei Jahren 3,6 Milliarden US-Dollar in den Konfliktzonen investiert werden. Das Aufbauprogramm mit dem Namen "Plan Kolumbien" soll nach den Vorschlägen der Regierung vor allem dazu dienen, den Kokabauern den Umstieg auf legale Produkte zu erleichtern. Aber auch das Gesundheits- und das Erziehungswesen sollen Finanzspritzen bekommen.

Entscheidender Haken des ehrgeizigen Projekts: Noch ist das Geld nicht in der Kasse. Die Regierung spekuliert dabei auf großzügige Hilfe aus den USA und Europa. "Die internationale Hilfe wird dann kommen, wenn der Friedensprozeß Früchte trägt", ließ der Chef des staatlichen Planungsamts im Dezember schon wissen und spielte den Ball damit der Guerilla zu.

Die geht mit klareren Vorstellungen in die Gespräche als die Regierung: Eine Agrarreform soll die Konzentration des Bodens in den Händen weniger Großgrundbesitzer aufheben, Schlüsselindustrien sollen verstaatlicht und die Ausgaben für Soziales erhöht werden. Eine verfassunggebende Nationalversammlung, die jenseits des Establishments und seiner zwei Parteien alle Bereiche der kolumbianischen Gesellschaft repräsentiert, soll schließlich über das Friedensabkommen entscheiden.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, der schon auf den ersten Metern einige Hürden bereithält. Zwei heikle Punkte hat die Farc ganz oben auf ihre Agenda gesetzt: Zum einen den Austausch von 450 inhaftierten Guerilleros gegen 300 Soldaten und Polizisten, die sich in der Gewalt der Farc befinden. Zum anderen den Umgang mit den paramilitärischen Gruppen: Die Rebellen fordern, daß der Staat hart gegen diese Söldnertrupps der Großgrundbesitzer und Drogenbarone vorgeht. Dies hatte zwar Pastranas Vorgänger Ernesto Samper auch schon versprochen, jedoch war es bei Lippenbekenntnissen geblieben.

Menschenrechtler beklagen schon seit Jahren die enge Kooperation zwischen der Armee und den Paramilitärs. Als "Staatsterrorismus" verurteilte denn auch Farc-Chef Marulanda dieses Phänomen in einer Botschaft zur Eröffnung der Friedensgespräche.

Als sein Sprecher Joaqu'n G-mez in San Vicente dieses Schreiben des Guerillaführers vortrug, dürfte zumindest einer der Gäste die Fäuste geballt haben: Curtis Kamman, US-Botschafter in Kolumbien. Der Kampf gegen den Drogenhandel werde "von einigen Regierungen benutzt, um ihre wahren Interessen zu verbergen, nämlich den Kampf gegen die Aufständischen", ließ Marulanda die Versammelten wissen. Die US-Regierung gebe viel Geld dafür aus, um mit Hilfe der kolumbianischen Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung und deren Interessen vorzugehen.

Die harte Rhetorik des Guerillachefs schien verdecken zu wollen, was wenige Tage zuvor durchgesickert war: Mitte Dezember hatten sich Farc-Vertreter mit US-Regierungsfunktionären in Costa Rica an einen Tisch gesetzt. Eine kleine Sensation, denn jahrelang hatten die USA die Farc wegen ihrer Nähe zum Drogengeschäft als "Narco-Guerilla" beschimpft, und noch immer stehen die Rebellen bei den Nordamerikanern auf der schwarzen Liste der terroristischen Organisationen. Hauptthema der geheimen Gespräche in San José war der Drogenhandel: Die Farc soll dabei angeboten haben, innerhalb von drei bis fünf Jahren mit dem Drogenanbau in ihren Einflußzonen Schluß zu machen. Ihre Bedingung: Finanzielle Hilfe für die Campesinos beim Umstieg auf andere, legale Produkte. Die US-Vertreter machten im Gegenzug klar, daß sie zwar einen Friedensprozeß unterstützen wollen, jedoch den Kampf gegen das Drogengeschäft nicht aufgeben werden. Immerhin: Beide Seiten ließen verlauten, daß sie zu weiteren Treffen bereit seien.

Zugleich wollen die USA aber ihre Militärhilfe für Kolumbien aufstocken: Nach Informationen der Tageszeitung El Espectador von 289 Millionen Dollar im vergangenen Jahr auf 420 Millionen Dollar in diesem. Anfang Dezember vereinbarten die Verteidigungsminister beider Länder eine verstärkte Kooperation im Anti-Drogenkampf. Im Süden Kolumbiens soll eine Militärbrigade mit Hubschraubern und Flugzeugen neu ausgestattet werden. Ihre Soldaten sollen von 300 US-Spezialisten ausgebildet werden. Eine andere Militärbasis in der Region wird mit hochwertigen Geräten zur elektronischen Aufklärung ausgerüstet.

Offiziell dient diese Aufrüstung nur dem Kampf gegen die Drogenproduktion im Süden des Landes. Doch daran zweifeln nicht nur die Guerilleros der Farc, die dort weite Gebiete kontrollieren. "Kann man mit noch mehr Bataillonen die objektiven Gründe für den Konflikt beseitigen?" ließ Rebellenchef Marulanda die Gäste in San Vicente fragen. Daß die Regierung bis zu einem möglichen Waffenstillstand weiter auf das Militär setzt, dürfte ihn aber nicht verwundern: Immerhin hat er selbst als Devise ausgegeben, nur "inmitten des Krieges" zu verhandeln.