New Deals With Keynes

Aus der Versteinerung lösen - die Ideologiekritik alleine bietet für die Linke keine Perspektiven.

Die königliche schwedische Akademie der Wissenschaft griff 1997 bei der Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften voll daneben. Die US-Amerikaner Merton und Scholes wurden für eine Formel zur Wertbestimmung diverser Spekulationsfonds ausgezeichnet. Knapp ein Jahr später machte der Fonds LTCM Pleite, deren Hauptgesellschafter die beiden Preisträger waren. Das muß bei den Hütern des ehrwürdigen Preises, der seit Jahren fest in neoliberaler Hand war, Denkprozesse ausgelöst haben: Im vergangenen Jahr verliehen sie die Auszeichnung an den indischen Ökonomen Amartya Sen, der Hungersnöte weniger in einer realen Knappheit an Lebensmitteln begründet sieht, sondern sie vielmehr als eine Folge niedriger Kaufkraft, sprich unbezahlbarer Preise begreift. Keynes läßt grüßen.

Tatsächlich scheint es heute einen Paradigmenwechsel zu geben. In fast ganz Europa sind sozialdemokratische Regierungen an die Macht gekommen. Fast euphorisch forderte Robert Misik in der taz: "Intellektuelle, lest Keynes!" Die Linke täte gut daran, dieser Aufforderung zu folgen. Allerdings muß Keynes aus der dogmatischen Versteinerung gelöst werden. Er wird nahezu einmütig - von Ideologiekritikern, Neoliberalen und auch Gewerkschaftlern - auf ein Modell reduziert, das auf die Versöhnung der Marktwirtschaft mit einer starken staatlichen Politik abzielt. Was der Markt nicht regelt, soll ein allmächtiger Staat erledigen - je nach Verständnis zur Maximierung des Gemeinwohls oder zur Rettung des Kapitalismus vor seinem Untergang.

Dabei bietet die neue Situation für die europäische Linke durchaus Chancen. Der Neoliberalismus redete uns ein, die freie Entfaltung des Marktes sei ein quasi natürlicher Vorgang, bei dem der Mensch nicht stören dürfe. Jetzt ist wieder von einem politischen Projekt die Rede. Für die Arbeit an einer Europäisierung der Sozialbeziehungen von unten, die auch Süd/Nord-Verhältnisse mit einbezieht, gibt es nun andere Ansprechpartner und Möglichkeiten. Die neue rot-grüne Regierung kann von links unter Druck gesetzt werden.

Das freilich interessiert die ideologiekritische Linke einen feuchten Kehricht. Das Schlüsselwort in Jörg Späters Diskussionsbeitrag lautet "Totalität". Teile der marxistischen Linken können von einer Überdosis Hegel nicht lassen. Der philosophische Hintergrund manifestiert sich in der zentralen Unterscheidung zwischen "Erscheinung" und "Wesen", die nötig sei, um eine saubere Wissenschaft von der bloßen Ideologieproduktion unterscheiden zu können. Keynes ist in diesem "System" eben auch nur ein Ideologe.

Doch Keynes muß auch vor seinen Freunden in Schutz genommen werden. Sozialdemokratische und grüne Modernisierer entdeckten vor wenigen Jahren den "Rheinischen Kapitalismus". Romantisch verklärt man sich den Beginn der sozialen Marktwirtschaft, zu deren wahrem Hüter man sich nun aufschwingt.

Dagegen gilt es mindestens zwei Punkte zu setzen. Erstens wird es keinen Keynesianismus der alten Schule mehr geben. Gegen den Neoliberalismus zu polemisieren und von den guten alten Zeiten mit Papa Staat zu träumen, ist weder realistisch noch wünschenswert. Der Staat wurde in den letzten Jahren vom Sicherheits- zum Wettbewerbsstaat transformiert, dem in erster Linie die Funktion zukommt, die Verwertungsbedingungen so zu gestalten, daß eine nationale Ökonomie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleibt. Und zweitens ist das Projekt eines Euro-Keynesianismus ein sehr vages. Der Maastrichter Vertrag, das Konzept der Europäischen Zentralbank und der Standortdiskurs sind stählerne neoliberale Rahmenbedingungen, an denen nicht mit Keynes, sondern mit Kosmetik gearbeitet wird.

Die Links-Keynesianerin Joan Robinson nannte die Reduzierungen des Theorieklassikers auf eine orthodoxe Lehre schon zu Beginn der siebziger Jahre einen "Bastard-Keynesianismus". Robinson wollte die Aussteuerung von Konjunktur- und Wachstumskrisen mit Überlegungen über gesellschaftlich gewollte und nützliche Produktion verknüpfen. Einem demokratisch-ökologischen Umbau konnte mit Robinson theoretisch der Weg geebnet werden. Joan Robinson löste Keynes aus seinen Versteinerungen. Das könnte auch heute eine spannende Angelegenheit sein.

Die Krise der Arbeitsgesellschaft ist nicht mehr zu lösen, indem man Arbeitslose Löcher buddeln und dann wieder zuschippen läßt, wie es der historische Keynesianismus empfahl. Auch wäre es befremdlich, angesichts der ökologischen Gefahren bedenkenlos eine Verstärkung des Konsums zu fordern. Was wir benötigen, ist eine gesellschaftliche Diskussion über die Rahmenbedingungen der Produktion und Distribution, die einen Wechsel vom arbeits- zum gebrauchswertorientierten Akkumulationsregime einläutet.

Hier ist auch der Staat gefragt. Ihm kommt als Verwalter öffentlicher Güter die Aufgabe zu, den neuen prekären Arbeitsformen zu begegnen. Ein neo-keynesianischer Staat hat die sozialen und kulturellen Grundrechte zu garantieren und neue Formen der ArbeitnehmerInnenbeteiligung zu fördern.

Das sind alles kontrovers zu diskutierende Punkte. Die Linke muß sich aber die Frage nach ihren Zukunftsperspektiven jetzt stellen, auch wenn sie die "Association freier Menschen" (Marx) zum Ziel hat. Reine Ideologiekritik verschiebt die Suche nach Problemlösungen auf St. Nimmerlein. John M. Keynes hat dazu einen klaren Satz geprägt: "In the long run we are all dead!"