Keine Frage der Religion

Es geht nicht um den Koranunterricht, sondern darum, ob die Fremden Fremde bleiben.

"Fundamentalist Stoiber auf Rechtskurs - Die neuen Radikalen", titelte der stern letzte Woche und zeigte den bayerischen Ministerpräsidenten als Ayatollah. Dieses Titelbild macht zumindest eins klar: Der entfachte Streit um das neue Staatsbürgerschaftsgesetz hat sich für die christlichen Parteien schon jetzt eher als kontraproduktiv erwiesen.

Die Regierung hat das "Modernisierungs"-Banner gehißt, und dagegen kann man kaum ankommen. Die CDU versucht nun - nach 16 Jahren Regierung! - mit eigenen "positiven" Vorschlägen zur Integration dagegenzusteuern. Allerdings könnte man auch deren Vertreter dabei satirisch in Turban und Vollbart stecken: Das erste, was Fraktionsvize Jürgen Rüttgers zum Thema einfällt, ist die Einführung von islamischem Religionsunterricht an deutschen Schulen. Sekundiert wird ihm dabei von den beiden christlichen Kirchen. In Islamfragen sind die Christen sich offenbar einig wie nie zuvor. Wenn das Eingliedern schon unumgänglich ist, dann aber wenigstens möglichst konservativ: Jeder soll so bleiben, wie er ist. Und außerdem: Wenn "die" es dürfen, dann dürfen "wir" es eben auch.

Da auch an dieser Stelle über Islamunterricht diskutiert wird, ist das "Agenda-Setting" der Konservativen zunächst gelungen. Der Islamunterricht ist durchaus eine offene Frage, aber steht sie bezüglich der Schule auch an erster Stelle?

Fünfzig Jahre nach dem Beginn der Migration tut die deutsche Schule insgesamt immer noch so, als sei sie eine Schule für (ethnisch) Deutsche. Auch wenn sich die Situation insgesamt verbessert hat: Besondere Bedürfnisse werden praktisch nicht berücksichtigt, der Sprachunterricht ist nicht ausreichend, ein staatsbürgerlicher Pluralismus nicht existent. Darüber hinaus ist die Zahl der Schulabbrecher unter den Migrantenjugendlichen wesentlich höher als unter den Eingeborenen und ihre Bildungsabschlüsse sind im Durchschnitt weniger wert, weil die meisten eben nur die Hauptschule beenden. Und schließlich ist "Ausländer" kein Synonym für Türke. Wenn es um den Weg der Migranten in die Gesellschaft geht und die Rolle, welche die Schule dabei spielen sollte, dann ist der Islamunterricht wirklich nicht der erste Tagesordnungspunkt.

Zwei Gründe allerdings gibt es doch, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Erstens: In Deutschland existiert kein Laizismus und deswegen wäre der islamische Religionsunterricht eine Frage der Gleichberechtigung. Selbstverständlich wäre ein noch besserer und einfacherer Weg zur Gleichberechtigung die Einführung eben dieses Laizismus - also Schluß auch mit christlichem Religionsunterricht, Kruzifixen, kirchlicher Jugendfürsorge und staatlichem Eintreiben der Kirchensteuer. Otto Schily hat ja bereits Vorschläge in dieser Richtung gemacht, als er ein konfessionsübergreifendes Ersatzpflichtfach "Ethik" anregte. Das versetzt die Kirchen selbstverständlich in einigen Aufruhr. Aber da schon das berüchtigte "Kruzifixurteil" gezeigt hat, daß solche Maßnahmen in Deutschland zu apokalyptischen Visionen vom Untergang des Abendlandes führen, scheint die Durchsetzung eher fraglich.

Solange allerdings konkrete Schritte zu einer definitiven Trennung von Staat und Religion nicht unternommen werden, führt an islamischem Religionsunterricht wohl kein Weg vorbei. Allerdings bedeutet das: Die gesamte Lehrerausbildung muß in Deutschland stattfinden. Verhängnisvoll ist dagegen eine Entwicklung wie in Nordrhein-Westfalen oder Bayern, wo das Fach "Islamunterricht" in den (ohnehin dubiosen) muttersprachlichen Unterricht integriert wird und die Auswahl der Lehrer das türkische Konsulat übernimmt. Oder eine solche wie jetzt in Berlin, wo dann wohl Milli Görüs den Unterricht gestalten soll. So wird einfach die nächste Generation "Fremde" produziert und aus der Allgemeinheit hinausgetrieben.

Der zweite Grund, warum man sich mit dem Islamunterrricht befassen muß, sind die Befindlichkeiten der Migranten muslimischen Glaubens. Wenn man die Reaktionen aus der türkischen Gemeinde hört, dann gibt es ein Interesse an der Einführung des Unterrichts. Zudem läßt sich eine islamische Subkulturbildung feststellen, bei der zum Teil fundamentalistische Gruppen die Dramaturgie entwerfen. Gerade diese Gruppen sind mit ihrer Orientierung auf einen "wahren Islam" und ihren oft engen Beziehungen zur Türkei zweifelsohne ein Ergebnis jahrzehntelanger Ausgrenzung und "Entfremdung". Allerdings existieren sie nun mal und stellen leider einen immensen Aktivposten in der politischen Artikulation von Migranten dar. Diese Gruppen dürfen freilich weder zu bevorzugten Ansprechpartnern werden, noch sollte man sie dämonisieren.

Um zusammenzufassen: 1. Der Islamunterricht ist in bezug auf den Komplex Schule und Migration mitnichten Thema Nummer eins. 2. Man bräuchte sich mit Islamunterricht gar nicht weiter zu beschäftigen, wenn es Laizismus gäbe. 3. Wenn 2. nicht durchsetzbar ist (wonach es aussieht), dann muß wohl oder übel eine pragmatische Lösung für die zweitgrößte Religion in Deutschland gefunden werden. Allerdings nicht nach dem "christlichen" Motto: "Wir" geben diesen "Fremden", was "sie" sowieso schon haben und dann bleiben "sie", wo "sie" sind. Dagegen lautet der erste Grundsatz für Änderungen: Die Schule muß die Voraussetzung dafür schaffen, daß die neuen Bürger endlich "ihren" Platz verlassen können.