Krankes Haus

Gefährliche Orte LII: Die Streichlisten von Gesundheitssenatorin Beate Hübner sorgen für Unruhe im OP

Berlin ist um eine Attraktion reicher: Für "Das Hübnersche Würfelspiel" mußte die Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) ungefragt ihren guten Namen hergeben, der in der vergangenen Woche jedoch für schlechte Laune beim Berliner Krankenhauspersonal sorgte. Sieben Krankenhäuser will Hübner bis zum Jahre 2002 schließen und über 3 500 Betten abbauen, um die Kosten im Gesundheitsbereich zu senken. Mehr als 6 000 Arbeitsplätze würden dadurch wegfallen.

Hübners Vorschläge orientieren sich an einer Auftragsstudie des Kieler Instituts für Gesundheits-System-Forschung, deren Ergebnisse Chef-Gutachter Fritz Beske im vergangenen Sommer dem Berliner Abgeordnetenhaus vorlegte. Neben der Schließung von sechs Kliniken müßten weitere 16 Standorte aufgegeben und elf kommunale Kliniken privatisiert werden. 770 Millionen Mark könnten durch die Privatisierung, weitere 500 Millionen durch Grundstücksverkäufe eingespart werden, heißt es in dem "Beske-Gutachten".

Durch die Einsparungen will der Senat die Klinikkosten senken, damit die Berliner Krankenkassen ihre Beitragssätze stabil halten können: "Momentan transferieren die Krankenkassen bundesweit eine Milliarde Mark nach Berlin", erläutert AOK-Pressesprecherin Gabriele Rähse gegenüber Jungle World. Wenn der Senat bis zum Frühjahr kein neues Konzept für die Krankenhäuser vorlegt, drohen die Bundeskassen, diese finanzielle Unterstützung einzustellen. Massive Beitragserhöhungen für alle Versicherten wären die Folge.

Doch welche Kliniken Hübner nun schließen will, steht nicht fest. Zum Jahresbeginn legte sie dem Planungsbeirat, bestehend aus Krankenkassen, Krankenhausgesellschaft und Gewerkschaften, zwei Streichlisten vor: Während die eine Liste die kommunalen Krankenhäuser erhalten möchte, orientiert sich die andere Liste am "Beske-Gutachten" und fordert die Schließung dieser Einrichtungen. Krankenhäuser, die das Gutachten zur Schließung empfiehlt, wurden von der Streichliste heruntergenommen, andere Kliniken, denen eine hohe Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit attestiert wurde, kamen dazu.

"Dadurch wurde ein Klima der permanenten Verunsicherung und Demotivation erzeugt", beschreibt Stationsarzt Christoph Arntzen vom Neuköllner Krankenhaus die Situation. "Wir erfuhren lediglich über die Medien, daß in unserem Haus mehrere Hundert Betten eingespart werden sollen. Dabei sind wir das einzige Krankenhaus in einem Bezirk mit 300 000 Menschen." Er vermutet, daß auch Krankenhäuser auf die Streichliste gesetzt werden, die dafür gar nicht vorgesehen sind. "Dann sind die Mitarbeiter später froh, wenn nur gekürzt und nicht geschlossen wird."

Die Meldungen über die beabsichtigten Krankenhausschließungen lösten in der vergangenen Woche zahlreiche Proteste aus. Am Dienstag vormittag legten mehr als 500 Mitarbeiter des Krankenhauses Moabit, das in beiden Listen zur Schließung vorgesehen ist, für eine halbe Stunde den Verkehr auf der Turmstraße lahm. 300 Beschäftigte des Max-Bürger-Zentrums, spezialisiert auf Altenpflege, blockierten nachmittags den Spandauer Damm.

Am abend demonstrierten die Mitarbeiter des Sankt-Hedwigs-Krankenhauses in Berlin-Mitte vor der Gesundheitsverwaltung. "Die Stimmung ist kämpferisch. Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben", so Pressesprecherin Viola Unverfehrt gegenüber Jungle World. "Während einer SFB-Fernsehsendung, an der wir am Mittwoch abend teilnahmen, erfuhren wir dann, daß wir von der Streichliste runter sind." Die Senatorin hatte sich entschlossen, das Katholische Krankenhaus zu erhalten, die Einsparungen müßten jedoch von anderen Häusern erbracht werden. Aber von welchen?

Am Mittwoch morgen protestierten mehrere Hundert Krankenhaus-Beschäftigte vor der Gesundheitsverwaltung in Kreuzberg. Hier sollte der Planungsbeirat über die Krankenhausschließungen beraten. Nachdem die Sitzung ohne Ergebnis endete, löste Hübner den Beirat ohne Vorankündigung auf.

Schon vorher hatte die ÖTV mit einem Ausstieg aus der Klinikplanung gedroht: "Es gibt keine solide Planung und keine objektiven Kriterien, die Entscheidungen sind nicht nachvollziehbar", sagt ÖTV-Chefin Susanne Stumpenhusen. Sie hält eine Senkung der hohen Krankenhauskosten auch ohne die Schließung von Häusern für möglich: "Einsparungen können durch Kooperation, regionale Verbünde, eine gemeinsame Nutzung von Großgeräten und eine Verbesserung der Grund- und Regelversorgung erfolgen." So konnte das Krankenhaus Moabit in den letzten fünf Jahren die Bettenzahl um 34 Prozent reduzieren und die Kosten um 12,5 Millionen Mark senken - ohne Entlassung von Mitarbeitern.

Auch die Berliner PDS-Fraktion kritisiert Hübners Reformpläne: "Mit Amputationen und Notschlachtungen lassen sich die Mängel und Fehlentwicklungen in der Berliner Krankenhausversorgung nicht beheben", heißt es in einem Positionspapier der Fraktion. Doch Kritik erhält die CDU-Gesundheitssenatorin nicht nur von der Opposition. Ihre Fraktion verlangt ein schlüssiges Konzept, CDU-Mitglieder forderten den Erhalt von Kliniken, die auf der Streichliste standen.

Bisheriger Höhepunkt der Proteste war am Freitag nachmittag eine Demonstration der katholischen Kliniken. Bei strömendem Regen zogen mehr als 6 000 Krankenhausmitarbeiter mit Erzbischof Kardinal Sterzinsky an der Spitze zum Roten Rathaus. Das Hübnersche Würfelspiel wurde dabei praktisch vorgeführt: Auf zwei großen Schaumstoffwürfeln standen die Namen der von Schließung bedrohten Krankenhäuser. Pflegedienstleiter Clemens Beck griff dieses Bild in seiner Abschlußrede auf: "Eine Politik, die Krankenhäuser und damit Tausende von Arbeits- und Ausbildungsplätzen ohne Vorgespräche, ohne plausible Begründungen zur Disposition stellt, läßt als Leitlinie nur Willkürakte oder Würfelspiele erkennen."

Innerhalb der nächsten 14 Tage wollen CDU und SPD endgültig über die Schließungen entscheiden. Dann geht es weiter: Bis zur Abgeordnetenhauswahl im Oktober will der Senat noch andere Aufgaben erledigt haben: die Wasserbetriebe privatisieren, den Flughafen ausbauen und ein neues Schulgesetz verabschieden. Mal sehen, was dann gespielt wird.