»Recycler - d'accord?«

Während die regierenden Sozialdemokraten nach dem deutschen Atomausstieg auf Entschädigungszahlungen hoffen, wittern Frankreichs Grüne Morgenluft

Die Castor-Transporte bleiben uns nicht nur erhalten, sie werden sogar zunehmen: Nicht nur innerhalb Deutschlands werden die skandalträchtigen Atommüll-Behälter in den kommenden Jahren öfter rollen als bisher, um gebrauchte Brennelemente aus den Kraftwerken in die Zwischenlager Ahaus und Gorleben zu bringen; auch aus dem Ausland werden künftig deutlich mehr Castor-Behälter nach Deutschland zurückkommen.

Allein aus Frankreich werden einem Bericht der Pariser Tageszeitung Le Figaro zufolge in den nächsten zehn Jahren jährlich zwei bis drei Transporte zu je sechs Behältern nach Deutschland rollen, die aufbereiteten Atommüll in Glaskokillen enthalten. Nach Angaben der deutschen Atomindustrie werden aus Frankreich und Großbritannien insgesamt 3800 Tonnen Müll erwartet - "mehrere hundert Transporte" würden notwendig. Schon seit vergangenem März steht ein beladener Zug auf dem Gelände der Wiederaufbereitungsanlage im normannischen La Hague bereit. Noch in diesem Jahr soll dieser Zug seine Fahrt antreten. Beim Paris-Besuch des deutschen Umweltministers Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) Ende vergangener Woche zeigte sich die französische Regierung erfreut, daß Trittin die Rücknahme des deutschen Atommülls aus La Hague zusicherte.

Weniger begeistert war die französische Seite über eine weitere Ankündigung des Gasts aus Bonn: Vom 1. Januar 2000 an würden keine Atomtransporte aus Deutschland mehr nach La Hague und ins britische Sellafield gehen, da das neue Atomgesetz von diesem Zeitpunkt an die Wiederaufarbeitung verbiete. Und, schlimmer noch: Weder Frankreich noch Großbritannien dürften mit Entschädigungszahlungen rechnen. "Wenn Deutschland die Wiederaufarbeitung gesetzlich verbietet", so Trittin, "gibt es keine rechtliche Grundlage für Enschädigungen."

Damit hatten sich die schlimmsten Befürchtungen der La Hague-Betreiberin Cogéma bewahrheitet. Die für die Wiederaufarbeitung zuständige Filiale des staatlichen Kommissariats für Atomenergie (CEA) rechnet mit Verlusten in Höhe von rund 4,6 Milliarden Euro. Eine der beiden Atomfabriken in La Hague könnte ohne deutschen Atommüll überhaupt nicht mehr rentabel arbeiten und müßte vermutlich schließen. Und wegen des von Frankreichs grüner Umweltministerin Dominique Voynet erreichten Baustopps für den Schnellen Brüter Superphénix droht auch der anderen Fabrik das Aus.

Trittins Gesprächspartner, der Industrie-Staatssekretär Christian Pierret, der zu den bekanntesten Lobbyisten der französischen Atomindustrie zählt, hatte die ihm gewiß nicht unangenehme Aufgabe, Trittin das Beharren der französischen Regierung auf Entschädigungszahlungen für die Cogéma mitzuteilen: Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn selbst hatte sich mit wichtigen Terminen entschuldigt - er müsse am folgenden Tag nach Frankfurt.

Zwei Serien von Verträgen binden die deutsche Nuklearindustrie an die WAA am Ärmelkanal. Die erste betrifft die Zeit von 1990 bis 2000 und die Verarbeitung von insgesamt 3 000 Tonnen deutschen Atommülls. Bis auf 560 Tonnen, die noch in La Hague auf ihre Verarbeitung warten, ist dieser Vertrag erfüllt. Die zweite Vertragsserie betrifft die Periode von 2000 bis 2010 und hat die Wiederaufarbeitung von 1 400 bis 2 100 Tonnen zum Gegenstand. Diese Vertragsserie betrachtet Deutschland als hinfällig, wofür eine juristische Begründung herangezogen wird, die sich als etwas wackelig herausstellen könnte: Das vom Bundeskabinett am 13. Januar beschlossene Verbot der Wiederaufarbeitung stelle einen Fall von höherer Gewalt dar, der die Vertragsparteien von ihren Verpflichtungen entbinde.

Paris dagegen verweist auf das im April 1990 geschlossene Abkommen, in dem beide Staaten sich verpflichten, "dem Zugang deutscher Unternehmen zu den WAA-Kapazitäten in La Hague keine Hindernisse entgegenzusetzen". Die französische Regierung betrachtet diesen Vertrag als völkerrechtliches Abkommen, das in der Rechtsordnung höher stehe als innerstaatliches Recht und daher die BRD nach wie vor binde. Auch Cogéma-Chef Jean Syrota verwies am Wochenende darauf, daß sich aus diesem Vertrag Schadensersatzansprüche ableiten ließen. Und Großbritanniens Wirschaftsminister Stephen Byers besteht ebenfalls auf der Verbindlichkeit der Verträge, die die deutschen Atomkonzerne mit British Nuclear Fuels, dem Betreiber der WAA Sellafield, geschlossen haben.

Die französische Regierung weiß natürlich, daß sie Deutschland nicht zwingen kann, abgebrannte Kernbrennstäbe zur Wiederaufarbeitung nach La Hague zu schicken. Daß man gegenüber Trittin lediglich auf pflichtgemäßer Erfüllung der Verträge beharrte, ist wohl eher der Tatsache geschuldet, daß man den deutschen Umweltminister nicht für den besten aller möglichen Gesprächspartner zur Frage von Entschädigungszahlungen hält. Besser hofft man mit der gemeinsamen Arbeitsgruppe zu fahren, die am 3. Dezember vergangenen Jahres auf dem Gipfel von Potsdam gebildet wurde. Diese Gruppe soll nun "die technischen Fragen im Zusammenhang mit der Rückführung von Atommüll nach Deutschland klären und die wirtschaftlichen Folgen der deutschen Entscheidung zum Ausstieg aus der Atomkraft untersuchen", ließ Strauss-Kahn im Anschluß an Trittins Besuch erklären.

Sollten diese Fragen in der bilateralen Kommission besprochen werden, dann hätte das für Frankreichs Regierung einen weiteren Vorteil: Das Thema wäre damit der öffentlichen Diskussion entzogen; eine weitere Politisierung der Atom-Diskussion innerhalb Frankreichs könnte vielleicht vermieden werden. Schon jetzt freut sich Dominique Voynet, die Regierungsbeteiligung der deutschen Grünen habe "in drei Monaten in der Atomfrage mehr bewegt, als wir in zehn Jahren vermochten".

Im eigenen Land steckt die französische Atomindustrie zur Zeit in ihrer ersten schweren Glaubwürdigkeitskrisen: Messungen von Greenpeace deckten radioaktive Einleitungen in den Ärmelkanal auf, während eine vielbeachtete Studie britischer Ärztezeitungen zur Häufung von Leukämiefällen in der Umgebung von La Hague publiziert wurde. Fast gleichzeitig gab ein Richter zwei Klagen von Grünen und Atomkraftgegnern gegen die illegale Lagerung von Atommüll auf dem Gelände von La Hague statt.

In weiser Voraussicht hatten die Wiederaufarbeiter schon seit längerem eine zwei Millionen Euro teure Aktion vorbereitet, mit der für die nukleare Wiederaufarbeitung geworben werden soll. In allen wichtigen Tageszeitungen stoßen die Franzosen in diesen Tagen auf halbseitige Anzeigen, in denen die Cogéma fragt: "Papier recyceln - einverstanden?", um dann zu behaupten: "Nuklearen Brennstoff recyceln - auch das heißt, unsere natürlichen Ressourcen erhalten." Sollten noch weitere Skandalmeldungen aus La Hague eintreffen, so dürfte auch in Frankreich die Zahl derer wachsen, die diese Behauptung nicht mehr für bare Münze nehmen.