Die Hessen könnten Koch in die Suppe spucken

Bei den Landtagswahlen in Hessen steht für Rot-Grün die Bundesratsmehrheit auf dem Spiel. Die CDU setzt ganz auf ihre Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft

Seit Wochen hetzt der Mann durchs Hessenland. Sein Konterfei grinst hinter dem Buchstabenraster KOCH von den Plakatwänden, doch das Wahlvolk will den Kandidaten Roland Koch (CDU) nicht so recht wahrnehmen. Bei einer letzte Woche veröffentlichten Umfrage gaben lediglich 69 Prozent der Befragten an, Roland Koch zu kennen. Das ist wenig im Vergleich mit dem Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD), der immerhin auf einen Bekanntheitsgrad von 92 Prozent kommt.

Am Sonntag wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt und Koch, Fraktionschef der hessischen CDU, würde gar zu gerne anstelle von Eichel in Wiesbaden regieren. Bei einem Regierungswechsel in Hessen hätte die Union zudem eine Sperrminorität im Bundesrat gewonnen und damit endlich die Gelegenheit, die rot-grüne Bundesregierung zu piesacken - nicht mehr nur per Unterschriftensammlung auf der Straße.

Doch an einen Wechsel glaubt niemand zwischen Rheingau und Spessart, Kassel und Odenwald. Die Auguren sehen einen Vorsprung von sieben Prozent für Rot-Grün gegenüber Schwarz-Gelb und prognostizieren der CDU sogar, ihren Status als stärkste Fraktion zu verlieren. Der Opposition fehlen die durchschlagenden Wahlkampfthemen. Ihr "klassisches" Terrain Wirtschaft war schon besetzt: Rot-Grün kann auf eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik verweisen. Hessen ist der größte Netto-Einzahler in den Länderfinanzausgleich, hat das höchste Bruttoinlandsprodukt unter den Flächenländern und eine Arbeitslosenquote unter dem Bundesdurchschnitt. Weil auch Wirtschaft und Industrie, trotz manchem Gegrummel in Detailfragen, wohl ganz gut mit der jetzigen Landesregierung leben können, suchte die CDU ihr Heil in den Themen Bildung und Sicherheit. Doch Versprechen wie "Die beste Bildung in Deutschland" oder "Der schärfste Strafvollzug in Deutschland" erwiesen sich nicht als die Reißer, Rot-Grün in Massen die Wähler abspenstig zu machen.

Von gepflegter Langeweile war der Wahlkampf geprägt: Von Ministerpräsident Hans Eichel, seit acht Jahren im Amt, ist bekannt, daß er in diesem Leben nicht mehr zum Eintänzer wird. Öffentliche Auftritte sind dem einstigen Studienrat noch immer Pflicht und niemals Kür. Im Rampenlicht wirkt Eichel häufig wie der Storch im Salat. Sein Herausforderer Koch hat ihm an Strahlkraft nichts voraus. Der 40jährige Jurist wird zwar für seinen Intellekt und sein rhetorisches Talent gelobt, doch eine Menge begeistern kann er nicht. Es mutet sowieso als großes Mißverständnis an, warum gerade Koch als "Junger Wilder" und Erneuerer der CDU gehandelt wurde. Ganz dem klassischen Rechts-Links-Schema verhaftet, folgt der Kandidat eher der harten Linie seines Mentors Manfred Kanther.

In diesen Zusammenhang paßt jene Aktion, die den verschlafenen Wahlkampf in Hessen in den letzten beiden Wochen gehörig aufgeheizt hat. Weil die Union merkte, daß Koch zwar noch so fleißig durchs Land eilen kann, aber trotzdem keinen Blumentopf gewinnt, brauchte es schnellstens ein Thema, das an die Emotionen appelliert. Die Vordenker bei CDU und CSU kamen auf den Gedanken, eine bundesweite Unterschriftenaktion gegen das von der Bundesregierung geplante neue Staatsbürgerschaftsrecht zu starten. Die hessische CDU griff die Idee untertänig auf und begann die Aktion sogar eine Woche vor den übrigen Landesverbänden. Das Resultat ist bekannt.

Obwohl die doppelte Staatsbürgerschaft nichts mit der Landespolitik in Hessen zu tun hat, ist der Doppel-Paß das bestimmende Thema. Die Frankfurter Allgemeine meldet, nach CDU-Angaben hätten binnen zwölf Tagen rund 212 000 Menschen ihre Unterschrift geleistet - etwa fünf Prozent der 4,3 Millionen Wahlberechtigten in Hessen. Doch viele Beobachter interessieren nicht die Zahlen, sondern die Zustände auf den Straßen. Ausländerfeindliche Parolen, Pöbeleien und Raufereien an den Unterschrifts-Ständen brachten der CDU den Vorwurf ein, die Fremdenfeindlichkeit zu schüren und rechtsradikalen Parteien Vorschub zu leisten, die mit ähnlichen Unterschriftslisten ihre Rattenfängerei betreiben. Solch wüster Krach war in Frankfurt, Darmstadt, Offenbach, daß sich die Frankfurter Rundschau bemüßigt fühlte, eine eigene Unterschriftenaktion ("Frankfurter Aufruf zur Toleranz") zu starten, die mittlerweile ebenfalls von Tausenden unterstützt worden ist.

Eichel und Koch hielten sich zu dem Thema erst bedeckt. Dem Ministerpräsidenten wäre es ohnehin am liebsten gewesen, wenn er das heiße Eisen nicht hätte anfassen müssen. Seiner Meinung nach soll die doppelte Staatsbürgerschaft im Bundestag und nicht auf der Straße diskutiert werden. Koch hat nun zwar die gewünschten Schlagzeilen und verteidigt die Aktion, doch von den rassistischen Ausfällen scheint er nichts wissen zu wollen. Den Dreck können sich ja die Wahlhelfer an den Ständen anhören, deren "Integrationsfähigkeit" dann eben gefordert sei.

Während Koch auf einen Popularitätsschub setzt, scheint anderen Unionspolitikern in Hessen die Kampagne eher Unbehagen zu bereiten. Petra Roth, Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt, meidet seit Tagen eine klare Äußerung. Schließlich kokettiert Frankfurt gerne mit seiner Internationalität, und da ist es unangenehm, wenn Gäste sich befremdet über die Aktion zeigen, die von ausländischen Zeitungen auch schon als "Dummheit" bezeichnet wurde.

Es ist gut möglich, daß die CDU am Sonntag auf unliebsame Weise die Quittung für diese "Dummheit" erhält. Etliche Beobachter sind überzeugt, daß vor allem die kleineren Parteien im jeweiligen Lager von der Unterschriftenaktion profitieren. Bürgerliche Wähler könnten zur FDP tendieren, weil deren Entwurf zum Staatsbürgerschaftsrecht (Doppelte Staatsbürgerschaft für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr) laut Umfrageergebnissen die meisten Sympathien genießt. Grüne Wähler dürften eh hochmotiviert sein, der CDU-Aktion eine Absage zu erteilen. Den Grünen kann eine motivierte Anhängerschaft nur recht sein, wurde doch dann und wann schon über eine sozial-liberale Koalition in Hessen orakelt. Vielleicht bedanken sie sich irgendwann bei Roland Koch für die Wahlhilfe.