Die Jungs von der Tonne

Jetzt wird wieder vor die Tore gespuckt: Mit dem Ende der Friedenspflicht weiten die Unternehmer ihre Appelle zum Maßhalten aus und die IG Metall ihre Warnstreiks

Da stehen sie nun wieder im eisigen Nordwind. Metaller mit grimmigen Gesichtern, die Hände und Fäuste tief in den Taschen vergraben, sich wärmend an der qualmenden Tonne - und sie denken nur an eines: mehr Kohle. Die Bilder sind bekannt, fast jede winterliche Tarifrunde beginnt so: Landauf, landab wird gewarnstreikt.

Die größte Einzelgewerkschaft der Welt, die IG Metall, läßt die Muskeln spielen, sagen die Nachrichtensprecher; das Angebot der Arbeitgeber ist eine Unverschämtheit, erklären die Gewerkschaftsfunktionäre; die Streiks treiben die Unternehmen in den Ruin und gefährden die Arbeitsplätze, sagen die, deren Personalabteilungen welche zu vergeben haben. Was also soll schon anders sein bei der diesjährigen Tarifrunde? Richtig, das Bündnis. Denn irgendwie wollen ja diesmal alle, die etwas dazu zu sagen haben - die Unternehmer, die Regierung, die Gewerkschaften - die Quadratur des Kapitalismus hinkriegen: Bündnis für Arbeit. In Zeiten weiterer Rationalisierung neue Arbeitsplätze schaffen, die sich auch noch rechnen sollen.

Zunächst einmal aber wird weiter verhandelt, protestiert, gepokert und wieder demonstriert. Die Positionen liegen dabei, wie nicht anders zu erwarten war, noch weit auseinander. Die Gewerkschaft möchte 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt; die Unternehmer offerieren gerademal zwei Prozent plus eine ertragsabhängige Einmalzahlung. Zwei Prozent mehr, das finden die Gewerkschafter ungerecht. Schließlich hätten sich die Beschäftigten in den letzten Jahren mit sinkenden Reallöhnen begnügen müssen - bei überwiegend rasanten Gewinnsteigerungen der Unternehmen. Da wollen wir auch was von abkriegen, sagen die Jungs von der Tonne. Und harren weiter aus.

Ihr Freund und Helfer in der Regierung, Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, sieht das ähnlich. Denn der hofft, daß die Jungs von der Tonne das sauer erstreikte Geld schnell wieder in Autos, Lampenschirme oder Spielzeugeisenbahnen investieren und damit das abnehmende Wirtschaftswachstum in Deutschland ankurbeln. Konsumterror hieß das früher bei den Linken, aber die Zeiten sind glücklicherweise vorbei, seit das mit der Staatsknete immer schwieriger geworden ist. Damit aber die Jungs von der Tonne und ihre Freundinnen im Büro oder zu Hause nicht übermütig werden, hält auch Lafontaine nichts mehr von 6,5 Prozent. Zwischen 2,5 und drei Prozent mehr Lohn sollten sich die Tarifabschlüsse in diesem Jahr bewegen, so der Finanzminister.

Prompt bekommt Lafontaine Beifall von der falschen Seite. Der Chef des Unternehmerverbandes Gesamtmetall, Werner Stumpfe, lobt den lohnpolitischen Teil des Jahreswirtschaftsberichtes der Bundesregierung. "Daran sehen wir, wie weit sich die IG Metall mit ihrer 6,5-Prozentforderung verrannt hat", so Stumpfe. Den Chefökonom der Bundesregierung ficht diese Aussage nicht an. Schließlich muß Lafontaine mitbezahlen, was bei der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst herauskommt - und die orientiert sich traditionell an den Ergebnissen in der Metall- und Elektroindustrie. Auch Innenminister Schily, dem man ansieht, daß er sich als Arbeitgeber nicht sonderlich wohlfühlt - schließlich verteidigte er jahrelang Leute, die einen Arbeitgeberpräsidenten töteten -, hat angekündigt, daß bei ihm nicht viel zu holen sei.

Das empört natürlich den Chef der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Herbert Mai. So warnt er die Regierung vor der "Illusion", daß die Gewerkschaftsmitglieder nicht kampfbereit seien, nur weil viele von ihnen sozialdemokratische Parteibücher in der Schublade hätten. Ein Tarifabschluß müsse deutlich über der Inflationsrate liegen. Die Zurückhaltung der ÖTV in den vergangenen Jahren zugunsten von Arbeitsplätzen habe sich schließlich nicht ausgezahlt.

Die IG Metall sieht das ähnlich. Sie hat aber noch mit einem weiteren Problem zu kämpfen: den sogenannten ertragsabhängigen Einmalzahlungen, die ihnen die Unternehmer angeboten haben. Gemeint sind damit Zahlungen wie das Weihnachtsgeld, aber auch eine lohnartige Sonderzahlung. Der Clou: Die Unternehmer wollen von der wirtschaftlichen Lage des einzelnen Unternehmens abhängig machen, ob die darin Beschäftigten in den Genuß des Geldes kommen oder nicht. Das stellt das ganze Tarifsystem in Frage, mit dem ursprünglich der Tariflohn als unterste Grenze innerhalb einer Branche etabliert werden sollte, um auch für die Unternehmen auf der Lohnkostenseite gleiche Konkurrenzbedingungen zu schaffen.

Nun sollen also die Beschäftigten jährlich anhand ihrer Kontoauszüge sehen können, ob sich ihre Manager verkalkuliert haben oder nicht. Diese Aussicht ist, wenn auch nur partiell, die Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf die Beschäftigten - ohne daß diese jemals die Gelegenheit bekämen, an den ebenso möglichen Gewinnen zu partizipieren.

Mit solchen Tricks wollen die Unternehmer, so sagen jedenfalls ihre Verbandsfunktionäre, die Bindungskraft der Tarifverträge aufrecht erhalten. Denn immer mehr Unternehmer verlassen ihre Verbände, um nicht mehr tarifgebunden zu sein und die Beschäftigten mit noch weniger Lohn und schlechteren Arbeitsbedingungen abspeisen zu können: Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschug (IAB) sank der Anteil der tarifgebundenen Privatunternehmen in Westdeutschland von 52 Prozent im Jahr 1995 auf 49 Prozent zwei Jahre später. In Ostdeutschland unterlagen 1997 nur 26 Prozent der Privatunternehmen einem Flächentarifvertrag, so das Ergebnis des mit der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit verbundenen Instituts.

Im Osten könnte dieser Anteil bald noch geringer sein. Die dortigen Unternehmerverbände drohen bereits mit einem freiwilligen Aderlaß, sollten nicht genügend niedrige Löhne bei den Verhandlungen im Westen herauskommen. Zwar hatten noch im September vergangenen Jahres IG Metall und Gesamtmetall vereinbart, die westdeutschen Abschlüsse dem Volumen nach auch im Osten zu übernehmen, doch stört das den thüringischen Metallarbeitgeberverband wenig. "Ich habe große Zweifel, daß ein Abschluß zustande kommt, der die ostdeutsche Situation der Unternehmen berücksichtigt", droht Hauptgeschäftsführer Lothar Schmidt im Handelsblatt. Sollte ihm der Tarifabschluß nicht passen, will Schmidt den Mitgliedsunternehmen des Verbandes ein sofortiges Sonderkündigungsrecht gewähren, damit der Tarifvetrag für die Unternehmen nicht rechtswirksam wird.

Politische Unterstützung bekommt Schmidt dafür von - der SPD. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Klaus Schucht, bezeichnete in der vergangenen Woche die Forderung der IG Metall als "tödlich" für ostdeutsche Betriebe. "Es ist gefährlich, im Osten mit dem Feuer einer ungezügelten Lohnpolitik zu spielen." Hauptsache, es macht wenigstens ein bißchen warm, denken derweil die Jungs von der Tonne.