Mehr Schnitzel in Warschau

Die polnischen Bauern zwingen ihre Regierung zum staatlichen Großeinkauf

"Kauft Fleisch!" - "Ja, machen wir." - "Dann kauft jetzt auch Getreide!" - "Mal sehen." - "Und Milch, was ist mit der Milch?" - "Hm."

Polens Bauern treiben ihre Regierung vor sich her. Kauft dies, bezahlt das, erlaßt uns die Schulden. Und das polnische Kabinett läßt sich darauf ein, Schritt für Schritt. Mitte letzter Woche war es Landwirtschaftsminister Jacek Janiszewski, der unterstützt von der gesamten liberal-konservativen Regierungskoalition, das Versprechen zu mehr staatlichem Fleischankauf abgab. Während unklar blieb, was der polnische Staat mit so viel Fleisch anfangen will - wird es künftig in den Behörden-Kantinen Warschaus täglich Schnitzel geben? -, war zumindest der Zweck des Vorgehens klar: Die seit Wochen anhaltenden Blockaden von Straßen und Grenzübergängen durch mehrere Tausend Bauern samt Traktoren und Dreschmaschinen müssen aufhören.

Doch die Bauern denken gar nicht daran, wieder auf ihre Höfe zurückzukehren, da die Regierung schon halb nachgegeben hat. Im Gegenteil setzte der an den Blockaden maßgeblich beteiligte und extrem nationalistische Bauernverband Samoobrona (Selbstverteidigung) Ende vergangener Woche auf Konfrontationskurs: Samoobrona-Chef Andrzej Lepper, der sich mittlerweile als gesamt-polnischer Bauernführer präsentiert, stellte der Regierung kurzerhand ein Ultimatum bis Anfang dieser Woche: Er forderte neben einem verstärkten staatlichen Ankauf von Getreide und Milch auch noch einen Schuldenerlaß für alle Bauern sowie Straffreiheit für alle Blockade-Teilnehmer. Solange nicht jede Forderung erfüllt sei, würden die Blockaden fortgesetzt.

Samoobrona nennt sich selbst Gewerkschaft und verfügt über gute Kontakte zu allen Seiten. Vor allem zur Bauernpartei (PSL), die bis zum Herbst 1997 an der Regierung beteiligt war, besteht ein tradionell enges Verhältnis. Ebenso zur früheren Regime-Gewerkschaft OPZZ (Allpolnische Verständigung der Gewerkschaften), einem linksnationalistischen Gewerkschafts-Dachverband mit Nähe zur Vereinigten Linken, der stärksten Oppositionspartei. Doch auch zur konservativen Regierungspartei AWS gibt es dank der engen Zusammenarbeit mit den ebenfalls an den Blockaden beteiligten Solidarnosc-Bauernverbänden einen guten Draht - schließlich ging die AWS aus der Gewerkschaft Solidarnosc hervor.

Zudem befürchtet die AWS, einen Teil ihrer Stammwählerschaft zu verlieren: Die mehrheitlich katholische Bauernschaft stellt nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 25 und 33 Prozent der polnischen Bevölkerung und hatte der AWS maßgeblich zum Wahlsieg im September 1997 verholfen. Immerhin hatte Parteichef Marian Krzaklewski versprochen, die Bauern gegen die Vorgaben, Strukturanpassungsmaßnahmen und vor allem die Exporte aus der EU in Schutz zu nehmen und die Kriterien des Internationalen Währungsfonds zur Kreditaufnahme "sanft" umzusetzen.

Doch einmal an der Regierung, gelten andere Maßstäbe: Eine an der deutschen Mark orientierte harte Währung, die Senkung der Inflationsrate auf unter zehn Prozent (1998: 8,6 Prozent) sowie eine Steigerung von Wachstumsraten und Bruttoinlandsprodukt. Kurz: Der Versuch, westliche Stabilitätskriterien zu übernehmen, somit Investoren anzuziehen und dabei nach und nach die eigene Gesellschaftsstruktur zu verändern. Wer braucht schon Millionen Bauern, zumal Agrarprodukte aus Brüssel viel billiger sind?

Dagegen wiederum stellt sich nun Andrzej Lepper mit einer Mischung aus antikapitalistisch-völkischen und linksnationalistischen Parolen, die nicht nur an die Bauern adressiert sind: "Kampf der EU" wird auch von den von Zeit zu Zeit streikenden Bergleuten, Stahl- und Werftarbeitern verstanden, die vom Reformkurs der polnischen Regierung bislang ebenfalls nicht gerade profitiert haben. "Kampf der Regierung" hat sich schon länger zur Losung von zum Teil dauerstreikenden Lehrern, Medizinern und Angestellten im Staatsdienst entwickelt.

Lepper, der bereits 1993 an der Spitze eines Bauern-Mobs das Rathaus der Kleinstadt Praszka stürmte und - unter allgemeinem Gelächter - den behinderten Bürgermeister in einer Schubkarre die Treppen herunterfuhr, sieht sich als Sprecher aller vom wirtschaftlichen Transformationsprozeß Benachteiligten. Den Bauern sollen, wie ein Samoobrona-Sprecher vergangene Woche forderte, ihre angeblichen Verluste aus den letzten Jahren in Höhe von 1,8 Milliarden Zloty (rund 900 Millionen Mark) ersetzt werden, für die Bergleute müßten "mehr öffentliche Mittel" zur Verfügung stehen und auch die Beschäftigten im Bergbau dürften nicht zu kurz kommen.

Keine dieser Forderungen wird von der polnischen Regierung in der nächsten Zeit auch nur ansatzweise zu erfüllen sein. Auch kann sie nicht auf den Trick zurückgreifen, mit dem jüngst die rumänische Regierung die streikenden Bergleute kurz vor Bukarest erstmal ruhigstellen konnte: EU-Gelder für EU-Gegner wird es in Polen nicht geben.