Après-Gedenk-Show

Pop Holocaust

Im "World War III-Café" der Galerie Le Manège in der Kulturbrauererei in Berlin-Prenzlauer Berg wurde am Abend des 29. Januar zu "Post Holocaust Pop" getanzt. Handelte es sich hierbei a) um ein Event der akzeptierenden Jugendsozialarbeit, b) um das Chill out der "Generation Berlin" nach den Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar oder c) um popkulturellen Protest gegen eben dieses Gedenken, ähnlich dem Sketch der Kölner Stunksitzung, der aus der Farce der Entschädigung einen Ulk auf Kosten der Opfer machte (Jungle World, Nr. 5/99)?

Ist auch egal, das Programm wäre in jedem Falle ein und dasselbe: Die Musik ein grauenvoller Mix aus Hits der letzten fast 54 Jahre mit Samples aus Roman Herzogs Rede vom 27. Januar. Zwischen "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" und "Der lachende Vagabund" der Satz: "Wer je einen Gedanken an ein Ende des Erinnerns erwogen hat, der sollte davon so schnell wie möglich ablassen." Bei den Coverversionen aus der Holocaust-Pop-Ära - Extrabreit: "Flieger, grüß mir die Sonne" - grunzt unverwechselbar unser Bundespräsident: "Wir müssen das Mahnmal um unserer selbst willen bauen, nicht für das Ausland oder (als) Demonstration dauerhafter Schuld." Danach, zu "Ein bißchen Frieden", mit der Bedächtigkeit eines Morphinisten: "Feigheit ist das letzte, was ich von meinem Volk erleben möchte."

Die Gäste: ein paar Jungnazis mit ihrem Sozialarbeiter und einige SVD-Schwule, die eigentlich schon nach ihrem Gedenktagsausflug - mit der Firma "Spritztours" zum KZ Sachsenhausen - am Abend des 27. Januar eine Party im Connection feiern wollten, was aber wg. Pietät leider ausfiel. Dazu Jörg Magenau von der taz, der aus gegebenem Anlaß "Begriffskeulen" um die Hüfte trägt und nach einigen Cocktails auch seine Metapher von den "Schlagworten mit Schlagseite" in einer Art expressionistischem Ausdruckstanz zum besten gibt (die Jungnazis rufen "Ausziehen!"). Und schließlich noch Arnold Schölzel von der jungen Welt (jW), der aber unsichtbar bleibt, um nicht wie Walser ins "Visier von Ignatz Bubis" zu geraten, und der unvermeidliche Mathias Wedel, Autor von konkret und jW: "Zur Feier des Tages hat er sich einen tollkühnen Lidstrich zugelegt. Trotz Kälte trägt er Rock und (graue) Nylons."*

Der folgenschwerste Zwischenfall: Mathias Wedel spricht in völliger Verkennung der biologischen Tatsachen den Frau-zu-Mann-Transsexuellen Norbert an: "Das ist ja hier trocken wie in der Gaskammer."* Die beiden "werden bestaunt wie zweiköpfige Kälber"*. Die Diskussion um die transsexuelle Ex-Bürgermeisterin von Quellendorf und die Walser-Bubis-Kontroverse endet schließlich in einem Schwanz-Vergleich, den Norbert gewinnt. Wedel versteht die Welt nicht mehr: "Aber sie kann doch nicht, sie hat doch nicht ..." - "Schon wieder ein Mißverständnis zwischen uns beiden. Aber gut, wenn Sie den nächsten und den übernächsten Schoppen bezahlen, reden wir lieber von Frauen mit dicken Hintern"*, versucht Manfred zu beschwichtigen. Als Wedel mit Standing ovations aufgefordert wird, dem Publikum seine jW-Glosse zum Walser-Bubis-Gespräch vorzutragen (Jungle World, Nr. 52/98), bittet er Norbert, den Bubis zu lesen, "mit fester schöner Männerstimme"*.

Der Abend wird ein voller Erfolg gewesen sein, eben ein Stück neugewonnener Normalität in diesem Land, wo Männer Männer, Frauen Frauen und vor allem alle Deutsche sind. Ich habe mich an diesem Abend im "Wegdenken" (Walser) geübt.

* Zitate von Mathias Wedel aus konkret, Nr. 1/99 (über die Abwahl Michaela Lindners) und jW vom 17. Dezember 1998