Sieben Jahre Sühne

Nach einer Wohlverhaltensperiode können sich seit Anfang Januar auch Privatpersonen von ihren Schulden befreien lassen

Der Weg in die Schuldenfreiheit ist steinig: Anders als Firmen müssen Privatpersonen, die Restschulden loswerden wollen, einen ganzen Wust von Bestimmungen einhalten. Ohne juristische Vorkenntnisse kann man sich im Dschungel der Vorschriften kaum zurechtfinden. Hilfe bieten lediglich kommunale Schuldnerberatungsstellen oder die Schuldnerberatung der örtlichen Verbraucherzentralen. Die kommunalen Stellen bieten ihre Beratung kostenlos an, so daß zumindest hier ärmere Leute nicht benachteiligt sind.

Seit Anfang Januar die Möglichkeit eröffnet wurde, auch als Privatperson Bankrott anzumelden, verzeichnen die Schuldnerberatungen verstärkten Zulauf: Ohne die Bescheinigung einer staatlich anerkannten Beratungsstelle, die belegt, daß eine Einigung mit den Gläubigern gescheitert ist, weigern sich die Gerichte, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen.

"Nach Aufklärungsgesprächen mit den Schuldnern, die wir betreuen, laufen die ersten Fälle langsam an", berichtet Jürgen Neumann von der Schuldnerberatungsstelle beim Bezirksamt Eimsbüttel in Hamburg. Er glaubt ganz optimistisch, daß ein Großteil seiner Klientel für das Insolvenzverfahren in Frage kommt. Voraussetzung für ein Verfahren ist die Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen oder eine Überschuldung -

d.h., trotz Vermögen und Einkommen sind die Forderungen der Gläubiger so gewaltig, daß eine Begleichung der Schulden nicht absehbar ist. Im Moment sind bundesweit schätzungsweise 2,7 Millionen Haushalte überschuldet. Allein in Hamburg sind nach einer Schätzung der dortigen Justizbehörde rund 50 000 Haushalte betroffen.

Der erste Schritt zur Entschuldung sind Verhandlungen mit den Gläubigern. Nur wenn der Versuch, sich friedlich zu einigen, nachweislich gescheitert ist, kann der Verschuldete beim zuständigen Gericht, in der Regel einem Amtsgericht, einen Antrag auf Schuldenbefreiung stellen. Dem ausgefüllten Formular muß er weitere Unterlagen beifügen: ein genaues Einkommens- und Vermögensverzeichnis, eine Liste sämtlicher Gläubiger und ihrer jeweiligen Forderungen und einen Plan, in dem der Betroffene vorschlägt, wie er gedenkt, die Schulden zu tilgen. Bringt keiner der Gläubiger einen Einwand dagegen vor, gilt der Schuldenbereinigungsplan als angenommen. Ist zumindest die Hälfte der Gläubiger dafür, dann eröffnet das Gericht das vereinfachte Insolvenzverfahren, also den privaten Konkurs.

Natürlich haben auch hier diejenigen, die über ein halbwegs vernünftiges Einkommen verfügen und finanziell nicht ganz so schlecht gestellt sind, bessere Karten. Bei ihnen ist die Chance einer Einigung mit den GläubigerInnen schon bei den ersten Verhandlungsschritten viel größer, so daß es häufig gar nicht erst zum Konkursverfahren kommt.

Von vornherein vom Insolvenzverfahren ausgeschlossen sind die völlig Mittellosen, die nicht einmal die rund 2 000 Mark Gerichtskosten aufbringen können. Ein Anrecht auf Prozeßkostenhilfe gibt es im Insolvenzrecht nämlich nicht. Solange die Prozeßkostenhilfe noch nicht gesetzlich geregelt sei, liege es im Ermessen des zuständigen Richters, sie zu gewähren, erklärt Annette Pflaum, Sprecherin der Justizbehörde Hamburg. Aber auch dann ist es fraglich, ob die Gläubiger mitspielen. "Schließlich soll das Insolvenzverfahren ja auch den Gläubigern helfen", betont Schuldnerberater Neumann.

Das war wohl auch die Hauptintention der neuen Schuldenbereinigungsregelung. Konsumentenkredite kurbeln die Konjunktur an und sind daher politisch gewollt. Sich über beide Ohren zu verschulden, ist ein Kinderspiel - eine Erwerbstätigkeit zu finden oder auch nur zu behalten, die den zügigen Abbau des Schuldenbergs gewährleistet, schon eher die Ausnahme. Natürlich steckt hinter dem neuen Insolvenzrecht auch das Interesse, die überschuldeten Privatpersonen wieder ins normale Leben zurückzuholen. Wenn das Einkommen bis auf einen kärglichen Rest weggepfändet wird, verlieren viele die Lust, überhaupt noch erwerbstätig zu sein - vor allem, wenn kein Ende abzusehen ist. Im Gegensatz zu Betrieben, die sich nach ihrem Konkurs in der Regel auflösen, werden private Schuldner 30 Jahre lang von den Forderungen ihrer Gläubiger verfolgt. Der Erlaß der Restschulden nach einer siebenjährigen Wohlverhaltensphase ist somit auch der wichtigste Unterschied zu den Unternehmenskonkursen. Als Anreiz für die vielen überschuldeten Haushalte ist die Wohlverhaltensperiode für diejenigen, die sich vor dem 1. Januar 1999 verschuldeten, sogar auf fünf Jahre reduziert.

Die Wohlverhaltensperiode beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Während dieser Zeit muß der Verschuldete den pfändbaren Teil seines Einkommens an einen Treuhänder abgeben, ebenso sein gesamtes Vermögen. Nur von einer Erbschaft darf er immerhin die Hälfte behalten. Der Treuhänder verteilt das Geld nach einem vorher festgelegten Schlüssel an die Gläubiger. Der Schuldner muß sich die ganze Zeit über einer Kontrolle seiner Lebensführung unterwerfen. Jeden Arbeitsplatzwechsel oder Umzug hat er dem Treuhänder und dem Amtsgericht zu melden. Falls er arbeitslos wird, ist er verpflichtet, jede zumutbare Beschäftigung (sprich: jeden Scheißjob) anzunehmen. "Man muß ja sehr diszipliniert sein", gibt Jürgen Neumann zu. "Ob das alle Schuldner die ganze Zeit durchhalten, weiß ich nicht."

Wenn ein Schuldner sieben Jahre lang all diese Bedingungen brav erfüllt hat, wenn er keinen Zusatzverdienst verschwiegen und auch sonst nicht gelogen hat, dann befreit ihn das Gericht von der Restschuld. Das Insolvenzgericht ist aber nicht die gute Fee, und bei der Schuldenbefreiung handelt es sich nicht um eine Märchengeschichte, sondern um ein komplizierteres Verfahren, das relativ langwierig und demütigend ist. Einschließlich der Vorverfahren und Überprüfungen kann es neun Jahre und länger dauern, bis die Restschulden erlassen werden.

Immerhin müssen Verschuldete jetzt ihren Schuldenberg nicht mehr 30 Jahre mit sich herumschleppen und können in einem Aufwasch sämtliche Einzelschulden erledigen. Der Erlaß der kompletten Restschulden ist für manche sicher ein Ausweg aus ihrer verfahrenen Situation. Aber wer auch danach nicht die Finger von Versandhauskatalogen oder supergünstigen Bankkrediten - den beiden Hauptursachen für private Verschuldung in Deutschland - lassen kann, der sollte vorsichtig sein: Erst nach zehn Jahren kann er erneut ein Insolvenzverfahren beantragen.