Weltwirtschaftsforum in Davos

Tanzende Mäuse

Bankiers haben den Ruf, graue Mäuse zu sein, die nie unkontrollierte Gefühle zeigen. Auf Bruce Steinberg, Chefökonom des Investmenthauses Merrill Lynch in New York, trifft dies sicher nicht zu: Als er letzten Freitag die neuesten amerikanischen Konjunkturdaten erfuhr, geriet er völlig aus dem Häuschen: "Die US-Wirtschaft ist das Weltwunder!"

Nicht weniger gut gelaunt zeigen sich Steinbergs Landsleute. Die weltweiten Finanzturbulenzen können sie nicht verunsichern: Voller Optimismus füllen sie ihre Einkaufswagen bis zum Rand. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres expandierte die Wirtschaft um 5,6 Prozent, die Nachfrage nach langlebigen Gütern stieg sogar um 21 Prozent, der Hausbau um zehn Prozent.

Auch die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums in Davos versetzte die Meldung in Sektlaune. Die Kapitulation der brasilianischen Zentralbank vor einer Woche und die rasante Abwertung des Real, der Bankrott von Chinas zweitgrößter Investmentbank Gitic - alles längst vergessen. Heiner Flassbeck, Oskar Lafontaines rechte Hand, stand bei dem Treffen der Wirtschaftselite mit seiner Angst vor einer Deflation allein auf weiter Flur. Die anderen Finanzpolitiker aus Europa, Amerika und Japan waren zuversichtlich, daß die Weltkonjunktur stramm auf dem Wachstumspfad wandeln wird. Die Ansteckungsgefahr der Krisen könne eingedämmt werden, hieß es großspurig. Bei solch rosigen Aussichten wäre jede Vorsichtsmaßnahme natürlich völlig überflüssig.

Wen wundert es da, daß der britische Finanzminister Gordon Brown in der ökonomischen Haupttendenz der letzten Jahre, dem Neoliberalismus, nicht etwa die Ursache für die derzeitigen Krisen sieht, sondern das wirksamste Mittel zu deren Eindämmung. Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes sei das Gebot der Stunde, verkündete er. Völlig anachronistisch die Frage, was sich denn hinter diesem schönen Begriff verbirgt: Brown will den Beschäftigten alle Sicherheiten nehmen, was soviel heißt wie: Wer nicht arbeiten kann, soll gefälligst hungern.

Die leisen pessimistischen Zwischentöne konnten die gute Laune in Davos nicht trüben. Geoffrey Sachs, Wirtschaftswissenschaftler an der amerikanischen Elite-Universität Harvard, äußerte sich sehr besorgt über die Situation in Brasilien: Die falsche Politik des Internationalen Währungsfonds drohe, auch dieses Land zum Kollaps zu führen, die hohen Zinsen würgten die Konjunktur ab.

Auch um die US-Konjunktur ist es nicht ganz so gut bestellt, wie es scheint. Für das jetzige Quartal erwarten private Konjunkturinstitute ein Plus von nur noch zwei Prozent.

Und wie sich die drastische Abwertung des brasilianischen Real auf die US-Konjunktur auswirkt - sowohl direkt als auch vermittelt über die lateinamerikanischen Nachbarländer - weiß niemand so genau zu sagen. US-Notenbankchef Alan Greenspan warnte daher, daß die amerikanische Wirtschaft nicht länger verschont bleibe, wenn diese Krise fortdauere und die betroffenen Länder sich nicht bald erholten.