TEP, Tac, Toe

Beziehungskrisen: Der MAI-Klon NTM mutiert zur transatlantischen Partnerschaft

Wagt sich der "Vampir, der das Tageslicht nicht überlebt" (Lori Wallach, Public Citizen) in das Rampenlicht internationaler Vertragsverhandlungen? War die Verhinderung des Multilateralen Abkommens über Investitionen (MAI - die "Lizenz zum Plündern für die Multis") nur ein Etappensieg? Die Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft (TEP) zwischen der Europäischen Union und den USA gilt als der neueste Versuch, die internationale Rechtsordnung nach den Wünschen einflußreicher Industrielobbyisten umzuschreiben.

Eine gigantische Freihandelszone namens New Transatlantic Marketplace (NTM), in der 60 Prozent des Weltsozialprodukts erstellt werden könnte, war das ursprüngliche Projekt. Dort sollten bis zum Jahr 2010 sämtliche Schranken für den transatlantischen Güter- und Dienstleistungsverkehr fallen und ausländische Unternehmen in ihren Gaststaaten mit ähnlich weitgehenden Rechten ausgestattet werden, wie sie auch das MAI vorsah. Statt den bisher üblichen Trippelschritten in Richtung eines gemeinsamen transatlantischen Marktes fand der EU-Kommissar Leon Brittan, daß die Zeit für den großen Wurf reif sei. Allein, einen derartigen "Big Bang" für die Weltwirtschaft, wie er sein Lieblingsprojekt beschrieb, traut man sich jetzt nicht mehr zu.

Nachdem es im April 1998 einer breiten Protestbewegung gelungen war, ein vorläufiges Ende der Verhandlungen für das MAI bei der Pariser Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu erzwingen, begann auch in Brüssel und Washington das Nachdenken. Vor allem Frankreich widersetzte sich plötzlich dem Entwurf für einen "Neuen Transatlantischen Markt" und verdächtigte die USA, die Verhandlungen nur deshalb aufzunehmen, um den Zugang auf den europäischen Film- und Landwirtschaftsmarkt für US-Unternehmen freizuräumen.

Zudem haben "Big Bang"-Verträge wie MAI und NTM wenig Chancen im sozialdemokratisch regierten Europa: Nicht nur Frankreich (wieder-)entdeckte die Gefahr für die nationalstaatliche Souveränität und die weitreichenden Konsequenzen einer einseitigen Deregulierung im Namen der Marktwirtschaft, auch die SPD-Fraktion im deutschen Bundestag findet das MAI "völlig überzogen". Erleichterungen für die Konzerne müßten mit einer Verpflichtung auf soziale und ökologische Mindeststandards verbunden werden.

Bis zum Gipfeltreffen zwischen EU und USA im Mai war aus NTM dann TEP geworden. Statt mit einem großen Wurf will man es jetzt wieder mit kleinen Schritten versuchen: Nach wie vor sollen die EU- und US-Märkte für Dienstleistungen, Landwirtschaft und öffentliche Aufträge für Firmen jenseits des Ozeans geöffnet werden. Außerdem wollen Washington und Brüssel bei der Ausarbeitung aller regulierenden Eingriffe eng zusammenarbeiten - etwa bei der Genehmigung besonders risikoreiche Produkte. Auf eine eigene Gerichtsbarkeit, wie sie der Entwurf für den NTM noch vorsah und die vermutlich die größten Proteste hervorgerufen hätte, wird verzichtet. Entsprechende Vereinbarungen sollen noch in diesem Jahr unterschriftsreif sein.

Der straffe Zeitplan ist nicht zufällig gewählt: Auf der nächsten Vollversammlung der Welthandelsorganisation (WTO) sollen die Themen für die nächste Verhandlungsrunde festgelegt werden. Dann müssen die teilnehmenden Staaten klären, ob sie neue Umwelt- und Sozialklauseln bei der Genfer "Weltwirtschaftsregierung" einführen oder ob sie lediglich die bisherigen Vereinbarungen vollständig umsetzen wollen. Es könnte aber ebenso beschlossen werden, daß das MAI weiterverhandelt wird.

Bis dahin wollen die Unterhändler aus USA und EU gemeinsame Positionen erarbeiten - und damit eine Vorentscheidung über die Zukunft der Genfer Organisation treffen. Gegen eine Koalition aus den USA und den EU-Ländern haben in diesen "Jahrtausendverhandlungen" weder die asiatischen Ex-Tigerstaaten noch die Entwicklungsländer etwas zu melden.

Anders als das ursprüngliche Vorhaben NTM ist die Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft TEP nicht das MAI in neuer Verkleidung. Statt einer neuen "Verfassung für eine einheitliche Weltwirtschaft" (so WTO-Chef Renato Ruggiero über das MAI) sehen die TEP-Vereinbarungen "nur" vor, daß sich EU und USA über die Tagesordnung verständigen, bevor sich andere Staaten - wie bei der WTO - einmischen können und offene Konflikte entstehen.

Die Themenliste allerdings ist brisant. Der im Oktober beschlossene "Aktionsplan" zur TEP, in dem die Verhandlungsziele konkretisiert wurden, sieht beispielsweise Verhandlungen zur Landwirtschaft und Biotechnologie vor. Dabei geht es auch um die Frage, ob die EU ihren Widerstand gegen gentechnisch erzeugte Lebensmittel aus den USA aufrechterhält und ob man sich auf ein gemeinsames Verfahren zur Abschätzung der Risiken biotechnologischer Produktion einigt. Die US-Regierung vertritt hier die Interessen großer Agrarkonzerne wie Monsanto und Novartis, deren Absatzchancen durch europäische Bedenken gegen gentechnisch veränderte Pflanzen- und Tierprodukte gemindert werden. Daß tatsächlich "hohe Standards in der Nahrungsmittelsicherheit und dem Verbraucher- und Umweltschutz" vereinbart werden sollen, ist schwer zu glauben.

Die scheinbare Abkehr von totaler Deregulierung und die Berücksichtigung von industriekritischen Positionen ist vor allem deshalb unglaubwürdig, weil die treibende Kraft hinter den EU-US-Vertragsverhandlungen nicht etwa die Parlamente, Regierungen oder gar die sozialen Bewegungen sind. Auf den Treffen des "Transatlantic Business Dialogue" (TABD), mit Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp als Vorsitzender auf europäischer Seite, werden den Repräsentanten der EU und der US-Regierung regelrechte Wunschlisten präsentiert. Die gegenseitige Anerkennung der Test- und Genehmigungsverfahren in den USA und der EU, seit Jahren Wunsch des TABD, wird in den TEP-Verträgen als eines der dringendsten Vorhaben genannt. Einmal genehmigte Produkte sollen auf diese Weise ohne erneuten Test auch auf den europäischen bzw. amerikanischen Märkten eingeführt werden können.

Bereits im Mai vergangenen Jahres wurden die ersten Verträge für sechs Industriezweige - darunter pharmazeutische Produkte und Telekommunikation - unterzeichnet. Besonders schwer hatten es die Bosse vom TABD dabei nicht. US-Handelsminister William Daley beschrieb das Vorgehen so: "Der TABD sagte, daß es wichtig sei; wir hörten und handelten."

Von derart unkomplizierter "Zusammenarbeit" können Gewerkschafter, Nicht-Regierungsorganisationen, Verbraucher- und Umweltschützer nur träumen. Immerhin wollen EU und USA gesellschaftliche Organisationen künftig stärker in ihre Vertragsverhandlungen einbeziehen. Unter den verschiedenen Gruppen aus der Anti-MAI-Bewegung ist es umstritten, ob sich eine Beteiligung an den neuen Dialog-Treffen mit hohen Beamten aus der US-Regierung und der Europäischen Kommission lohnt. Die Beteuerungen von Leon Brittan, daß man aus den Fehlern während der MAI-Verhandlungen gelernt habe und jetzt mehr Transparenz und Offenheit befürworte, hält Olivier Hoedeman vom Amsterdamer Corporate Europe Observatory für pure Taktik und den Versuch, Protest zu vermeiden.

Derzeit ist sowieso weder in Sachen Umweltschutz und soziale Grundrechte noch für ein anderes Thema ein gemeinsames Konzept von USA und EU zu erwarten: Die USA legen sich derzeit mit so gut wie allen ihren Handelspartnern an, der Streit mit der EU über deren Regeln für den Import von Bananen steht kurz vor einem echten Handelskrieg (Jungle World, Nr. 3/99).

Die transatlantische Partnerschaft steckt in einer tiefer Krise. US-Präsident William Clinton, der vor einigen Monaten noch gemeinsam mit seinen europäischen "Partnern" große Reformpläne für die großen Institutionen der Weltwirtschaft schmieden wollte - mehr Bürgernähe bei der WTO und mehr Rücksichtnahme auf soziale Probleme - steht innenpolitisch unter Druck.

Viele US-Unternehmen leiden unter der sinkenden Nachfrage in Asien. Die Währungsabwertungen im letzten Jahr bewirken außerdem, daß asiatische und russische Produkte im Vergleich zu US-amerikanischen billiger und damit konkurrenzfähiger geworden sind. Schritte in Richtung einer transatlantischen Freihandelszone, die weitere Konkurrenz aus Europa mit sich brächte, stehen bei US-Gewerkschaften und Industrieverbänden derzeit nicht besonders hoch im Kurs.

Statt dessen soll Clinton dafür sorgen, daß ein größerer Anteil der asiatischen und russischen Produkte in Europa landet. Unverhohlen droht er mit Sanktionen, wenn die EU nicht bald den US-Forderungen nach sofortiger Marktöffnung nachgibt. Und die EU-Kommission kontert: Die USA sollten ihren Hang zu selbstherrlichen Aktionen endlich aufgeben.